Kurs auf Gaza

Diese Wochenende wollen sich tunesische Aktivist*innen der Global Sumud Flotilla anschließen, einer internationalen Initiative, die Israels Blockade des Gazastreifens durchbrechen und humanitäre Hilfe leisten will.
Die Mission unterstreicht die breite internationale Unterstützung für Palästina, insbesondere in Staaten mit kolonialer Vergangenheit. Zugleich verweist sie auf die historische Rolle Tunesiens in der pro-palästinensischen Bewegung, die lange vor den jüngsten Solidaritätsbekundungen in Europa begann.
Die Flottille ist bereits auf erhebliche Hindernisse gestoßen. Ursprünglich sollte sie schon am 4. September aus dem Hafen von Tunis auslaufen, doch Wetterbedingungen führten zu einer Verzögerung. Am vergangenen Montag wurde das Hauptschiff, das derzeit im Hafen von Sidi Bou Said liegt, Berichten zufolge Ziel eines Drohnenangriffs, bei dem ein Brand an Bord ausgebrochen sein soll.
In der darauffolgenden Nacht führte laut weiteren Berichten ein zweiter Drohnenangriff erneut zu einem Brand auf einem Schiff. Die tunesischen Behörden bestreiten, dass es sich um Drohnenangriffe handelte. Die Organisatoren der Flottille zeigen sich entschlossen, ihre Mission fortzusetzen.
„Dieses Mal werden Dutzende von Schiffen dabei sein. Wir rechnen mit einer größeren Chance, Gaza zu erreichen, da es für die Besatzungstruppen schwierig sein wird, alle diese Schiffe auf einmal zu stoppen“, erklärt Wael Naouar, einer der Organisatoren des tunesischen Konvois.
Mehr als 50 Schiffe mit Hunderten von Teilnehmer*innen aus 44 Ländern nehmen an der Aktion teil. Der tunesische Konvoi soll sich einer Flotte von Schiffen anschließen, die von Barcelona, Sizilien und weiteren Mittelmeerorten aus in See gestochen ist. An Bord befinden sich Aktivist*innen, Journalist*innen und Ärzt*innen.

Tauschhandel und Kaffeeersatz
In Gaza herrscht Hunger. Während einige Palästinenser:innen versuchen, Hilfe von der umstrittenen Gaza Humanitarian Foundation zu erhalten, greifen andere zu verzweifelten Mitteln. Ein Bericht aus Gaza.
Die israelische Regierung reagierte bereits im Vorfeld. Vergangene Woche präsentierte der israelische Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir einen Maßnahmenkatalog, um die Flottille am Erreichen des Gazastreifens zu hindern.
Geplant ist, die Schiffe zu beschlagnahmen und die Aktivisten an Bord festzunehmen, die Ben-Gvir als Unterstützer von Terrorismus einstuft. Seit der Abriegelung Gazas im Jahr 2007 haben mehrere See- und Landkonvois versucht, die Enklave zu erreichen. Im Jahr 2010 griffen israelische Streitkräfte die Besatzung der Mavi Marmara an, töteten zehn Aktivist*innen und verletzten Dutzende weitere.
Naouar ist sich der Risiken der aktuellen Expedition bewusst. „Wir müssen heute für die palästinensische Sache alles tun, was in unserer Macht steht“, sagt er.
Eine globale Koalition
Die Sumud-Flottille vereint mehrere Aktivistennetzwerke, unter ihnen das Free Gaza Movement. Die Bewegung wurde 2006 ins Leben gerufen, nachdem Israel nach dem Wahlsieg der Hamas die Beschränkungen für den Gazastreifen verschärft hatte, und ist besonders stark von westlichen Stimmen geprägt.
Auch andere Initiativen haben versucht, die Blockade zu durchbrechen. Im Juni organisierte die Kampagne March to Gaza einen internationalen Protestmarsch via Ägypten zum Grenzübergang Rafah. Der Versuch scheiterte, als Hunderte von Aktivist*innen nach ihrer Ankunft in Ägypten festgenommen und abgeschoben wurden.
Zeitgleich hatten tunesische Aktivist*innen den Sumud-Konvoi mobilisiert, einen Landmarsch mit über 1.000 Demonstrant*innen aus ganz Nordafrika. Der Konvoi endete in Sirte, Libyen, wo die Truppen von Chalifa Haftar den Weiterzug nach Rafah verhinderten.
Nach Angaben der Organisatoren spiegeln diese Bürgerbewegungen die Unzufriedenheit in den Bevölkerungen wider. Viele werfen ihren Regierungen vor, auf Verbrechen Israels nicht zu reagieren.
In diesem Jahr gab es drei weitere Versuche, den Gazastreifen mit einzelnen Schiffen zu erreichen: Im Mai wurde die Conscience in internationalen Gewässern vor der maltesischen Küste von Drohnen angegriffen. Die Madleen und die Handala wurden wenige Seemeilen vor der palästinensischen Küste von israelischen Streitkräften gestoppt.
Trotz dieser Rückschläge wächst das internationale Interesse an der aktuellen Flottille. Nach Angaben des italienischen Aktivisten Tony Lapiccirella, der auch an Bord der Handala war, gingen rund 30.000 Bewerbungen aus aller Welt ein.
„Die Idee war es (diesmal), Kräfte zu bündeln und unterschiedliche Fähigkeiten zusammenzubringen“, erklärt er. „Die globale Initiative gewann zunächst über den March for Gaza Unterstützung durch Aktivist*innen aus Nordafrika, stieß aber bald auch in Südamerika auf Resonanz, in Ländern wie Kolumbien und Mexiko, die in Flottillenmissionen normalerweise weniger vertreten sind.“
Tunesien und Malaysia zählen laut Lapiccirella ebenfalls zu den zentralen Akteuren. Antonio Mazzeo, sizilianischer Autor und Journalist, der ebenfalls an der Handala-Mission teilnahm, fügt hinzu: „In Europa haben wir immer noch eine eurozentrische Perspektive, als ob Europa das Zentrum globaler Entwicklungen wäre. Ich lade die Menschen ein, den Blick zu weiten und zu sehen, was im globalen Süden geschieht“.
Palästina ist ein „Lackmustest“
Sumud (Arabisch für „Standhaftigkeit“) ist ein zentraler Begriff im palästinensischen Widerstand. Er steht für Widerstand und Bewahrung von palästinensischem Land und palästinensischer Kultur. „Es ist mehr als nur ein Wort, es ist eine tief verwurzelte kulturelle Praxis und eine Lebensweise“, erklärt Ramzy Baroud, Journalist und Herausgeber von The Palestine Chronicle.
Sumud umfasse „Trotz, historisches Bewusstsein und den Zusammenhalt der Gemeinschaft“, betont Baroud. „Es ist die unerschütterliche Geisteshaltung, die es den Palästinenser*innen ermöglicht, auf ihrem Land zu bleiben, sich gegen Auslöschung zu wehren und ihre Identität trotz aller Widrigkeiten zu bewahren.“
Aktivist*innen wie Toni Lapiccirella sehen in Sumud zudem eine globale Dimension: „Wer sich eingehender mit der palästinensischen Frage auseinandersetzt, erkennt schnell, dass die Gewalt Israels und die Komplizenschaft unserer Regierungen mit einer ganzen Reihe imperialistischer, kolonialistischer und kapitalistischer Dynamiken zusammenhängen, die auch in unseren eigenen Ländern und auf der ganzen Welt wirken.“
Die palästinensische Sache reicht weit über die arabische Welt hinaus. Besonders in ehemals kolonialisierten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas findet der palästinensische Widerstand Widerhall. Jede Solidaritätsbewegung bringt dabei ihre eigene Geschichte mit, geprägt von Anti-Apartheid-Aktivismus, indigenen Befreiungskämpfen oder Kampagnen gegen Militärdiktaturen. So entsteht ein vielfältiges, aber eng verbundenes Unterstützungsnetzwerk. „Es ist tief verwurzelt in einer gemeinsamen Geschichte antikolonialer und antiimperialistischer Kämpfe“, erklärt Baroud.
„Für viele Nationen im Globalen Süden ist die palästinensische Erfahrung von Enteignung und militärischer Besatzung ein Spiegel ihrer eigenen Vergangenheit. Palästina ist zu einem Lackmustest geworden für eine Welt, die nationale Souveränität und Selbstbestimmung ernst nimmt“, so Baroud.
Ein Beispiel für diese globale Verbundenheit ist die enge Beziehung zwischen Südafrika und Palästina. Die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zeigt laut Baroud, dass das Engagement für Palästina über geopolitische Interessen hinausgeht.
Tunesien: langjähriger Unterstützer Palästinas
„Tunesien wurde als Ausgangspunkt gewählt, weil es die palästinensische Sache offiziell unterstützt und die Bevölkerung seit langem für die Rechte der Palästinenser eintritt“, erklärt Aktivist Wael Naouar.
Die Verbundenheit Tunesiens reicht tief. Nach dem erzwungenen Abzug der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) aus dem Libanon im Jahr 1982 wurde Tunis für mehrere Jahre zum Sitz der Bewegung. Die Solidarität verstärkte sich weiter, nachdem Israel 1985 das PLO-Hauptquartier in der tunesischen Hauptstadt bombardierte.
Wie in weiten Teilen der muslimischen Welt ist jedoch auch in Tunesien die Solidarität mit Palästina Teil eines vielschichtigen politischen Gefüges. Journalist Baroud beschreibt die Dynamik als komplex: „Das Leid der Palästinenser berührt die einfachen Menschen tief“, sagte er.
Zugleich sieht sich der tunesische Präsident Kais Saied in diesem Zusammenhang wachsender Kritik ausgesetzt. „Er kann keine glaubwürdige Bilanz in der Unterstützung der palästinensischen Sache vorweisen“, schreibt der tunesische Politikexperte und Aktivist Alwar Al Gharbi. Zwar würden auf seiner offiziellen Präsidentschaftsseite Solidaritätsbekundungen veröffentlicht, es gebe jedoch keine offizielle Erklärung oder Ankündigung konkreter Maßnahmen.

Zivilgesellschaft im Überlebensmodus
Seit 2024 zieht der tunesische Präsident Kais Said das Tempo an: Seine autoritäre Kontrolle nimmt Andersdenkende und gesellschaftliche Minderheiten ins Visier. Die EU sollte die Zivilgesellschaft fördern, anstatt Saids populistische Rhetorik zu verstärken.
Einige politische Entscheidungen Saieds hätten der palästinensischen Sache sogar geschadet, meint Al Gharbi. Er verweist auf das jüngste Vorgehen gegen Boykott-Initiativen, die sich gegen israelische Unternehmen richten, sowie auf Saieds Weigerung, Südafrikas Völkermordklage gegen Israel zu unterstützen.
„Angesichts seiner engen Beziehungen zu anderen nordafrikanischen Staatschefs hätte er problemlos zum Telefon greifen und Tausenden tunesischen und internationalen Aktivist*innen die Einreise nach Ägypten ermöglichen können“, während des Marsch für Gaza, so Al Gharbi. „Aber natürlich hat er kein Interesse daran, eine wirklich aktive Rolle zu übernehmen.“
Saieds Haltung reiht sich ein in das, was Baroud als „eine seit Langem bestehende Dichotomie zwischen starker öffentlicher Empörung und oft wirkungslosen offiziellen Reaktionen“ in der arabischen Welt beschreibt. „Während einige Regierungen echte Solidarität zeigen, nutzen viele die palästinensische Sache, um ihre eigene Legitimität zu stärken.“
„Diese Position verhilft dem (tunesischen) Regime zu Legitimität und Unterstützung in der Bevölkerung, während die demokratischen Freiheiten immer weiter eingeschränkt werden. Man kann das als eine Art populistische Taktik sehen, bei der das sehr beliebte Thema genutzt wird, um von innenpolitischen Problemen und der Festigung der autoritären Macht abzulenken.“
Dieser Text ist eine Übersetzung des englischen Originals. Übersetzung Annalena Heber.
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