Zwischen Kreativität und Kalligraphie

Zehn Tage lang besuchten Leipziger Studenten für Graphik und Buchkunst in Damaskus. Gemeinsam mit ihren syrischen Kommilitonen entdeckten sie westliches Kunstverständnis und orientalische Kunstformen.

Von Kristin Helberg

​​„Hier, das ist für dich zum Abschied.“ Ruba überreicht Jakob einen Papierbogen mit arabischen Schriftzeichen. Der rotblonde Student ist überrascht: „Noch mehr Geschenke?“ Zehn Tage lang haben 24 deutsche und 24 syrische Kunststudenten in Damaskus zusammengelebt, zusammengearbeitet, sich ausgetauscht. Sich anfangs vorsichtig beschnuppert, am Ende über alles geredet.

„Im Vordergrund stand für mich der Dialog“, sagt Rayan Abdullah, Professor für Typographie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. „Ich wollte mit meiner Klasse in die arabische Welt, um das seit dem 11. September sehr negative Orient-Bild zu korrigieren.“

Gemeinsamer Workshop

Damit die Studenten nebenbei auch etwas für ihr Studium lernen, organisierte Abdullah mit Hilfe des Goetheinstituts Damaskus einen Workshop mit syrischen Kunststudenten. In der Fakultät für Schöne Künste der Universität Damaskus lernten die Deutschen Grundzüge der arabischen Schrift und Kalligraphie, die Syrer vertieften ihre Kenntnisse der lateinischen Schrift.

Abdullah und sein syrischer Kollege Ahmad al Mufti stellten jeweils einen deutschen und einen syrischen Studenten vor große braune Packpapierbögen, die sie gemeinsam gestalten sollten.

Ruba und Jakob waren zunächst etwas ratlos und unsicher. „Wir haben uns erst mal gegenseitig gezeigt, was wir gemacht haben und darüber diskutiert“, erzählt die 22-Jährige. „Das war neu für mich. Bei uns arbeitet jeder für sich, wir fragen uns nicht gegenseitig nach unserer Meinung.“

Unterschiedliche Herangehensweise

​​Normalerweise schreiben Kalligraphiestudenten in Syrien Texte ab und perfektionieren dabei ihre Schönschrift. Es geht weniger darum, einen eigenen Stil zu entwickeln oder kreativ etwas Neues zu schaffen als bestehende Kunstformen nachzuahmen.

Jakob findet das komisch. „Die syrischen Studenten beherrschen zwar ihr Handwerk, aber sie haben wenig Mut zum Experimentieren. Bei uns will jeder seinen eigenen Stil finden und was Individuelles machen, das ist hier nicht gefragt.“

Ruba und Jakob haben trotzdem etwas Neues gewagt, sie haben ihren Papierbogen mit Komikelementen gefüllt und Worte wie „hüstel“, „knack“ oder „knurr“ auf Deutsch und Arabisch dargestellt. Bis abends saßen sie an ihrem Werk, sagt Ruba, „bis man das Licht ausgeschaltet hat“.

Der Traum von Europa

Auch Yasir hätte gerne länger mit den Deutschen zusammengearbeitet. Wie die meisten seiner Kommilitonen träumt der 24-Jährige davon, zu reisen und die Welt zu sehen. „Wir alle wollen raus aus Syrien, um andere Kunstformen kennen zu lernen und um der Welt unsere Kunst zu zeigen.“

Kaum jemand könne sich jedoch ein Flugticket nach Europa leisten, außerdem sei es aussichtslos, ein Visum zu beantragen. Umso wichtiger war für Yasir der Austausch mit den Leipziger Studenten. „So kam die Welt eben zu uns. In Gesprächen und Diskussionen haben wir eine Menge erfahren über deutsches Kunstverständnis, deutschen Geschmack, deutsches Design, deutsche Wahrnehmungen.“

Mit neuem Blick durch die Stadt

Rula hat daneben ihr eigenes Land neu entdeckt. Wann immer die Studenten gemeinsam durch Damaskus zogen, blieben die Deutschen bei Dingen stehen, die die Syrer überhaupt nicht interessierten. „Jakob und die Anderen waren begeistert von alten und kaputten Dingen: schrottreife Autos, zerfallene Häuser und so was. Wir wussten nicht, dass das etwas Besonderes ist, wir finden es einfach nur hässlich.“

„Wann immer ich einen alten Straßenkreuzer fotografiert habe“, so Jakob, „meinten die Syrer, guck mal da, dieses neue BMW-Modell, das ist viel schöner.“ In solchen Momenten fühlte sich der 23-Jährige Dresdner an die Zeit nach der Wende erinnert.

Erinnerungen an die Zeit nach der Wende

„Damals bin ich auch auf alles Neue abgefahren, möglichst bunt, clean und aus dem Westen.“ Inzwischen sei er übersättigt, Damaskus war für Jakob deshalb eine einzigartige Inspirationsquelle.

„Hohe Kunst interessiert mich nicht, mich fasziniert der Alltag, das Leben auf der Strasse. Wie Werbung hier zelebriert wird, mit gigantischen Plakaten. Dass in jedem Laden Bilder des Präsidenten hängen, auf jedem Taxi der syrische Adler klebt, dass die Fernsehansagerinnen meterweite Ausschnitte tragen und in der Omayyaden-Moschee Kinder spielen.“

Überwältigt von syrischer Gastfreundschaft

Sein Kommilitone Hendrik hatte sich die Stimmung in Syrien aggressiver vorgestellt. „Die Leute hier sind absolut friedlich und aufgeschlossen“, sagt der 25-Jährige. „Natürlich starren sie uns an, wenn da so eine Horde Europäer vorbeiläuft, groß und blond und in komischen freakigen Klamotten. Aber sie waren immer freundlich zu uns, niemals ablehnend."

Überwältigt waren die Leipziger von der syrischen Gastfreundschaft. Jeder von ihnen wohnte bei einem der Damaszener Studenten. „Sie haben mich von Anfang an wie einen Sohn und Bruder behandelt“, erzählt Jakob. „Und genau so habe ich mich gefühlt, wir waren uns unglaublich nahe.“

Lina, die aus Westberlin stammt, war überrascht von der Offenheit ihrer Gastfamilie. „Ich dachte, das wäre hier alles verkrampfter, so dass man über manche Themen gar nicht reden könnte. Aber die Stimmung war ganz locker, sie haben mir alles erklärt und mich viele Dinge gefragt, zum Beispiel, ob europäische Jugendliche wirklich so viele Drogen nehmen.“

Dialog mit Händen und Füßen

Sprachbarrieren waren dabei schnell überwunden. Vor allem mit Händen und Füßen. Einige der Syrer können Englisch, manche ein wenig Deutsch, ansonsten entwickelten die Studenten ihr eigenes Kauderwelsch.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell eine Form der Kommunikation finden“, sagt Rayan Abdullah, selbst gebürtiger Iraker. Schon nach einem Tag hätten sie ihn nicht mehr als Übersetzer gebraucht.

Neue Freundschaften

Der Professor ist „mehr als glücklich“ über seine Damaskusfahrt. Nur zu wenig Zeit hätten sie gehabt. „Viele haben mich gefragt, ob wir nicht länger bleiben könnten. Die Studenten haben hier wirklich Freundschaften geschlossen und ich hoffe, dass diese Kontakte sich vertiefen.“

Rula und ihre Zwillingsschwester Ranna meinen, ihr Leben habe sich durch den Austausch verändert. „Die Deutschen waren sehr direkt, aber niemals arrogant. Wir mochten sie von Anfang an, aber am Ende hatten wir sie richtig lieb gewonnen.“

Gegenbesuch unwahrscheinlich

Gerne würden sie ihre Kommilitonen in Deutschland besuchen, aber eine solche Fahrt muss politisch gewollt sein und sowohl von der deutschen als auch von der syrischen Regierung unterstützt werden.

„Ich hatte keine Ahnung, wie schwierig es für einen Syrer ist, nach Deutschland zu kommen“, meint Jakob. „Meinem Gastgeber habe ich gesagt, komm doch mal vorbei, kannst bei mir schlafen.“ Arroganz durch Unwissenheit, nennt Jakob das und ist froh, dass er „nicht nur als Gestalter, sondern vor allem als Mensch“ viel gelernt hat.

Kristin Helberg

© Qantara.de 2004