Staatenlos im eigenen Land
"Ich habe einen Traum. Darin führen mein Kind und Ihr Kind ein Leben auf Augenhöhe. Mein Kind fühlt sich Ihrem Kind nicht unterlegen." Diese Botschaft hat Alaa al-Saadoun in den letzten Tagen über soziale Netzwerke verbreitet.
Auch hunderte, vielleicht tausende kuwaitische Staatsbürger empfingen den Tweet, mit dem Saadoun die Anerkennung der Bürgerrechte für die staatenlosen "Bidun" forderte.
Auch Alaa al-Saadoun selbst gehört zu dieser Gruppe. Als "Bidun" - der arabische Begriff für "ohne" - gelten jene in Kuwait lebenden Personen, die keine Ausweispapiere haben und damit auch nicht über die kuwaitische Staatsangehörigkeit verfügen.
Saadoun macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder, deren staatsbürgerliche Identität offiziell nicht bestätigt ist. Noch sind sie zu jung, um eine Schule zu besuchen. Doch Saadoun fürchtet, dass ihnen dies aufgrund ihres Status als "Bidun" grundsätzlich nicht möglich sein könnte.
Wie alle Bidun leidet auch Saadoun darunter, keine Staatsangehörigkeit zu haben. "Wir Bidun sind der Menschenrechte beraubt. Ich habe zwar einen Bachelor-Abschluss in englischer Literatur an der Kuwait University, konnte aber aufgrund meines juristischen Status keinen Job finden".
Fragwürdige Anschuldigungen
Saadoun gehört zu jenen Demonstranten, die nach einer Kundgebung von den kuwaitischen Behörden verhaftet wurden. Anlass der Proteste war der Selbstmord eines jungen Mannes.
Auch er war ein Bidun, ihm war es zuvor nicht gelungen, vom Staat offizielle Ausweispapiere zu erhalten. Dies wiederum führte dazu, dass er seine Arbeitsstelle verlor.
Im Umfeld der Demonstration wurden mindestens 15 Bidun verhaftet. Unter ihnen befindet sich auch der prominente Menschenrechtsanwalt Abdelhakim al-Fadhli.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet, dass sie mehrerer Vergehen beschuldigt werden: der Teilnahme an nicht autorisierten Protesten, des Missbrauchs von Kommunikationsgeräten, der Verbreitung falscher Nachrichten sowie der Gefährdung der nationalen Sicherheit.
Die Geschichte der Bidun
Die Geschichte der Bidun beginnt 1961, jenem Jahr, in dem Kuwait unabhängig wurde. Damals hielten es eine Reihe von Bürgern - insbesondere aus den Reihen der Beduinen - nicht für nötig, die Staatsangehörigkeit zu beantragen. Nach kuwaitischem Recht besitzen sie eine "unbestimmte Staatsangehörigkeit".
Nach der Unabhängigkeit verzichtete der Staat auf eine Reform des Gesetzes. Zugleich versäumte es ein Teil der Betroffenen weiterhin, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Doch seit dieser Zeit kämpfen sie und ihre Nachkommen mit dem Problem der Staatenlosigkeit.
Nach den Protesten ging der kuwaitische Staat offenbar mit teils fragwürdigen juristischen Mitteln gegen die "Bidun" vor: Auf dem offiziellen Twitter-Konto des kuwaitischen Innenministeriums war über einen der Verhafteten zu lesen, er sei in Kuwait "illegal ansässig".
They are in prison now only because they want freedom@UN @UNarabic @RefugeesMedia @UNNewsArabic @Kuwaitmoj #الكويت #البدون_في_الكويت #البدون #bidon #bedoon
#الحريه_للمعتقلين_البدون5#الحريه_للمعتقلين_البدون6 pic.twitter.com/o1FrzRB3uK— ⛔️Kuwaity Bedoon⛔️ (@BedoonKuwaity) July 17, 2019
Einem 2018 veröffentlichten HRW-Bericht zufolge gibt es in Kuwait rund 100.000 Bidun. Aufgrund ihres "illegalen" Status in Kuwait würden den Betroffenen die kuwaitischen Bürgerrechte vorenthalten, heißt es in dem Bericht. Die für diese "Illegalen" zuständige Behörde stellt für die Bidun Sicherheitskarten aus. Diese werden von der Behörde zwar regelmäßig erneuert, gelten allerdings nicht als Identitätsnachweis des jeweiligen Inhabers.
Ein unhaltbarer Zustand
Die kuwaitische Gesellschaft für Menschenrechte bezeichnet den Status der Bidun in einer offiziellen Erklärung als "schlechter als je zuvor". Dies gehe vor allem auf eines zurück: "Die für sie zuständige Behörde hat willkürliche Maßnahmen ergriffen und auf die überwiegende Mehrheit der Bidun Druck ausgeübt."
Während der irakischen Invasion in Kuwait 1990 stellten sich einige Bidun auf Seiten des Irak. Seitdem gelten sie bei Teilen der kuwaitischen Bevölkerung als "illoyal". Daran ändert auch der Umstand nichts, dass andere Bidun das Land an der Seite der regulären kuwaitischen Staatsbürger verteidigten. Wieder andere zogen es vor, vor den Kämpfen nach Saudi-Arabien zu fliehen.
Die jüngsten Verhaftungen "verschlimmern eine ohnehin angespannte Situation", sagt Lynn Maalouf, Nahost-Forschungsdirektorin von Amnesty International. "Die Behörden, die den Bidun nun die Staatsbürgerschaft vorenthalten, verweigern ihnen seit Langem eine ganze Reihe von Grundrechten, einschließlich ihres Rechts auf Gesundheit, Bildung und Arbeit. Zudem machen sie es ihnen unmöglich, als integraler Bestandteil zu einer lebendigen kuwaitischen Gesellschaft beizutragen."
These arbitrary arrests primarily targeting peaceful protesters, activists and human rights defenders in #Kuwait are not only unlawful, but are set to exacerbate an already tense situation brought to the fore by the young man’s suicide- @lynn_maalouf https://t.co/8qMpLIBorR
— Amnesty Gulf (@amnestygulf) July 17, 2019
"Es ist an der Zeit, das Problem zu lösen"
"Das Staatsbürgerschaftsrecht ist in Kuwait die Grundlage aller anderen Rechte", sagt Alaa al-Saadoun. "Darum möchte ich dieses Problem möglichst schnell lösen, um meinen Kindern schwierige Situationen zu ersparen."
Kuwaits ehemaliger Emir, Scheich Jaber al-Ahmad al-Sabah, erließ 1999 ein Dekret, auf dessen Grundlage 2000 Bidun jährlich die Staatsbürgerschaft erhalten. Medienberichten zufolge profitieren die Bidun jedoch kaum von diesem Gesetz, da es sich an einen zu kleinen Personenkreis richtet.
"Es ist an der Zeit, dass die Behörden dieses Problem gezielt und nachhaltig angehen. Dazu sollten sie sicherstellen, dass alle Bidun Zugang zu unabhängigen, schnellen und fairen rechtlichen Verfahren haben, wenn sie die Staatsbürgerschaft beantragen", so Lynn Maalouf.
Ende der Leidenszeit in Sicht?
Der stellvertretende Sprecher der Nationalversammlung, Thamer al-Suwait, fordert ebenfalls, das Problem der Bidun zu lösen. "Dazu müsste der Staat die bürgerlichen und sozialen Rechte der Bidun anerkennen und sie zugleich darauf hinweisen, das Gesetz zu respektieren."
Auf dem offiziellen Twitter-Account des Parlaments war zuletzt zu lesen, dass mehrere staatliche Instanzen sich darum bemühen, das Problem der Bidun zu lösen. Ergebnisse sollen in der kommenden Legislaturperiode präsentiert werden. Für die Bidun würde es das Ende einer jahrzehntelangen Leidenszeit bedeuten.
Dina El Basnaly
© Deutsche Welle 2019
Aus dem Arabischen von Kersten Knipp