Terrorfreiwillige aus Deutschland
Anfang März 2008 verübte der in Deutschland geborene Türke Cüneyt Ç. ein Selbstmordattentat auf einen amerikanischen Stützpunkt in der afghanischen Provinz Khost. Zwei amerikanische Soldaten und zwei Afghanen kamen ums Leben. Die erst seit 2007 an die Öffentlichkeit getretene Islamische Jihad-Union (IJU) bekannte sich zu dem Anschlag und veröffentlichte Videoaufnahmen, die den Täter bei der Vorbereitung und Ausführung des Attentats zeigten.
Das Attentat war dabei nur der letzte mehrerer Hinweise, dass die IJU eine Reihe von deutsch-türkischen Rekruten gewonnen hat, die sie im pakistanischen Waziristan ausbildete und die anschließend in ihrem Auftrag terroristische Anschläge planten.
So bekannte sich die IJU zu den Planungen der sogenannten "Sauerlandzelle". Dabei handelte es sich um eine kleine Gruppe von deutschen Konvertiten und Deutsch-Türken, die Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland plante und deren Kern im September 2007 im nordrhein-westfälischen Sauerland verhaftet wurde.
Die Ereignisse warfen die Frage auf, wer genau die bisher weitgehend unbekannte IJU ist und welche Auswirkungen ihre Zielvorstellungen, Strategie und Rekrutierungsbasis auf die Bedrohungslage in Deutschland haben.
Eine Splittergruppe der Islamischen Bewegung Usbekistans
Die IJU ist eine usbekische Organisation und aus der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) hervorgegangen, die bereits seit den 1990er Jahren den usbekischen Staat bekämpft. Ab 1998 hatte die IBU ihr Hauptquartier in Afghanistan und anschließend im pakistanischen Süd-Waziristan.
Die Abspaltung der IJU war das Ergebnis einer langen Strategiedebatte innerhalb der IBU, die sich vor allem um die Ziele der Organisation drehte. Bis heute hält die Führung der IBU daran fest, in erster Linie das Regime Karimov in Usbekistan zu bekämpfen. Ihr widersprach schon 2001 ein stärker internationalistischer Flügel, der die Ausweitung des "Heiligen Krieges" zunächst nach Zentralasien und anschließend auch gegen den Westen forderte.
Da sie sich innerhalb der IBU nicht durchsetzen konnten, gründeten einige Abweichler im Jahr 2002 die IJU. Ebenso wie die IBU hielt sich ihre Führung in Pakistan auf, allerdings im Norden Waziristans, wo sie bis heute in Mir Ali ihr Hauptquartier unterhält.
Im Frühjahr und Sommer 2004 verübte die neue Gruppierung – damals noch unter den Namen Islamische Jihad-Gruppe – Selbstmordanschläge auf usbekische, israelische und amerikanische Ziele in Usbekistan.
In den folgenden Jahren gelangen der IJU keine Anschläge in Zentralasien mehr. Vielmehr erklärte sie 2007 Afghanistan zu ihrem Hauptkampfgebiet und unterstützte vermehrt die Taliban und al-Qaida. Die Anschlagsplanungen in Deutschland waren ein Versuch, den Kampf in Afghanistan zu unterstützen.
Bündnis mit Taliban und al-Qaida
Der IJU-Führung ging es in erster Linie darum, die deutsche Debatte über die Verlängerung der beiden Afghanistan-Mandate zu beeinflussen. Anschläge kurz vor den Abstimmungen im Bundestag im Oktober und November 2007 hätten – so offensichtlich das Kalkül der Auftraggeber – die Verlängerung verhindern und einen Truppenabzug erzwingen können. Deutschland galt den Taliban und al-Qaida bereits seit längerem als schwächstes Glied in der Kette der größeren Truppenstellernationen.
Die IJU ist eine sehr kleine Organisation, deren Anhängerzahl nicht über 100 bis 200 hinausgehen dürfte. Die meisten von ihnen stammen aus Usbekistan, aber auch Tadschiken, Kirgisen und Kasachen sind vertreten.
Da die bis heute sehr viel stärkere IBU ebenso wie die IJU ihr Hauptquartier in Waziristan unterhält, hat die IJU große Probleme ein eigenes Profil zu gewinnen. Sie versucht sich von der Mutterorganisation abzugrenzen, indem sie die Taliban in Afghanistan aktiv unterstützt und sich eng an die al-Qaida anbindet.
Für die Taliban und al-Qaida ist die IJU ein attraktiverer Bündnispartner als die IBU, weil sie deren gemeinsamen Kampf gegen die ausländischen Truppen in Afghanistan sowie den globalen Jihad vorbehaltlos unterstützt. Die IBU hingegen nahm – trotz anders lautender Rhetorik – nur selten an den Kämpfen der Taliban und ihrer pakistanischen und arabischen Unterstützer in Afghanistan teil.
Das Bindeglied zwischen al-Qaida und IJU war bis Anfang 2008 der Libyer Abu Laith al-Libi, einer der wichtigsten Feldkommandeure Bin Ladens. Er kam Ende Januar infolge eines Luftangriffs ums Leben, bei dem eine US-amerikanische Drohne eine Rakete auf ein Wohnhaus in Mir Ali abfeuerte. Neben Libi starben mehrere IJU-Mitglieder.
Libi, den die IJU als "unseren Shaikh" bezeichnet, dürfte der strategische Kopf der IJU und auch der Hintermann der geplanten Anschläge in Deutschland gewesen sein. Er verfügte über besonders enge Kontakte zu den Taliban und war eine Art "Zentralasienbeauftragter" der al-Qaida-Führung.
Eine usbekisch-türkische al-Qaida?
Ab Oktober 2007 geriet die IJU unter Druck der pakistanischen Armee und der USA. Sie reagierte durch eine bis dahin präzedenzlose Öffentlichkeitskampagne. Auf einer türkischen Internetseite (www.sehadetvakti.com) veröffentlichte sie Videos von Trainingsmaßnahmen, militärischen Aktionen in Afghanistan und schließlich auch das "Märtyrervideo" von Cüneyt Ç.
Dass die IJU eine türkische Webseite als Sprachrohr nutzt, weist darauf hin, dass sie sich vor allem an Türken und türkischstämmige Europäer wendet. Das Umfeld der Sauerland-Gruppe ist weitgehend von türkischen Jihadisten geprägt. Türkeitürken und Usbeken sind miteinander verwandte Turkvölker und sprechen ähnliche Sprachen.
Eine transnational operierende und internationalistisch argumentierende usbekische Organisation ist deshalb ein ideales Instrument für die Rekrutierung von Türken. Insbesondere weil al-Qaida weiterhin eine stark arabisch geprägte Organisation ist, der es bisher nicht gelungen war, Türken in größerer Zahl anzuwerben, musste sie an einer Kooperation mit der IJU interessiert sein.
Die Integration von Türken würde einen seit 2003 zu beobachtenden Trend stärken: al-Qaida wird von einer im Jahr 2001 noch stark arabischen zu einer globaleren Organisation, die sogar Pakistanis, Kurden und eine steigende Zahl europäischer Muslime rekrutiert. Ob die IJU diesen Trend fortsetzen kann, hängt stark von der weiteren Entwicklung in den pakistanischen Stammesgebieten ab.
Die Liquidierung Libis auf pakistanischem Territorium zeigt, dass die USA bereit sind, Konflikte mit der Regierung in Islamabad in Kauf zu nehmen, um ein weiteres Erstarken der Jihadisten in den Stammesgebieten zu verhindern. Zudem ist die IJU eine denkbar kleine Organisation, die nach einigen schweren Rückschlägen wie dem von vergangenem Januar auch schnell wieder von der Bildfläche verschwinden kann. Ihr größter Vorteil ist, dass sie die Unterstützung der afghanischen Taliban und der al-Qaida hat.
Ob die IJU ein neues, von Usbeken und Türken geprägtes terroristisches Netzwerk aufbauen und längerfristig aufrechterhalten kann, bleibt unklar. Noch ist die Zahl ihrer Anhänger sehr klein. Dennoch sind die Ereignisse des Jahres 2007 ein deutliches Warnsignal. Steigt die Bedeutung von Usbeken und Türken im internationalen Terrorismus weiter, wird neben der Türkei vor allem Deutschland betroffen sein.
Guido Steinberg
© Qantara.de 2008
Dieser Artikel ist eine gekürzte Version von: "Die Islamische Jihad-Union. Zur Internationalisierung des usbekischen Jihadismus", Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2008 (SWP-Aktuell 23/2008)
Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und arbeitet seit Herbst 2005 für die Stiftung Wissenschaft und Politik, wo er sich mit der arabischen Welt und dem islamistischen Terrorismus beschäftigt. Zuvor war er Referent im Bundeskanzleramt und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
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