Respekt und Fairness für die islamische Welt

Fünf Jahre nach dem Irakkrieg reiste der Medienmanager und ehemalige CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer in den Irak und interviewte dort "Widerstandkämpfer" und Al-Qaida-Terroristen. Seine Erlebnisse schildert er in seinem jüngst erschienen Buch "Warum tötest du, Zaid?". Mit ihm sprach Hisham Adem.

Ihr gerade erschienenes Buch "Warum tötest du, Zaid?" ist das Resultat einer gefahrvollen Recherchereise im Krieg im Irak. Was hat Sie dazu veranlasst, diese Reise zu unternehmen?

Jürgen Todenhöfer: Die Tatsache, dass die Berichterstattung der letzten Jahre über die Ereignisse im Nachkriegsirak ausschließlich aus der Sicht der Besatzer erfolgte, hat mich dazu veranlasst, diese Reise zu unternehmen. Ich wollte die Sicht der Besetzten zeigen.

Wie unterscheiden sich die irakischen Realitäten vor Ort – nach Ihren Erlebnissen – von dem Bild, das westliche Medien vermitteln?

Todenhöfer: Wir sehen nicht den wahren Krieg. Es gibt jeden Tag rund 100 Militäraktionen der amerikanischen Streitkräfte gegen die irakische Bevölkerung – Bombardierungen, Razzien, Schießereien. Die sehen wir nicht, weil das Pentagon sonst zugeben müsste, dass es weiter Krieg gegen die irakische Bevölkerung führt.

Es gibt ferner täglich rund 100 Militäraktionen des irakischen Widerstands gegen die Besatzer. Die bekommen wir auch nicht zu sehen, weil die amerikanische Regierung sonst zugeben müsste, dass es einen starken militärischen Widerstand gegen die amerikanische Besatzung gibt, der von der Mehrheit der irakischen Bevölkerung unterstützt wird.

Daneben gibt es noch jeden Tag zwei bis drei kriminelle Selbstmordanschläge der knapp 1.000 übrig gebliebenen ausländischen Al-Qaida-Terroristen. Obwohl Al-Qaida militärisch kaum noch eine Rolle spielt, bekommen wir sie fast täglich zu sehen, weil die amerikanische Regierung sie braucht, um zu behaupten, sie führe im Irak einen Krieg gegen Al Qaida. In Wirklichkeit kämpften die USA nach wie vor ums Öl, Al Qaida ist nur ein "nützlicher" Vorwand.

Im Mittelpunkt Ihres persönlich gehaltenen Buches steht der 22-jährige "Widerstandkämpfer" Zaid, dessen Brüder auf fahrlässige Art von amerikanischen Soldaten getötet worden sind. Verkörpert dieses persönliche Schicksal das Dilemma der US-Besatzungsmacht im heutigen Irak und anderswo?

Todenhöfer: Ja, Zaids Schicksal ist symbolisch für das Schicksal der irakischen Bevölkerung. Er wollte diesen Krieg nicht und greift erst zu den Waffen, als die amerikanischen Streitkräfte seine zwei Brüder erschießen.

Sie konstatieren, dass die Antiterrorpolitik des Westens deshalb nicht so erfolgreich sei, "weil sich die meisten Politiker nie ernsthaft mit dem Phänomen des Terrorismus beschäftigt haben". Sind die westlichen Eliten wirklich so blind für die Realitäten dieser Welt?

Todenhöfer: Die meisten westlichen Politiker kennen die muslimische Welt nicht. Sie haben noch nie ein paar Tage in einer muslimischen Familie verbracht. Sie erkennen nicht, dass es unsere eigene Gewalt ist, die heute in Form des Terrorismus auf uns zurückschlägt.

Brennendes Auto in Kirkuk wird gelöscht; Foto: AP
"Nichts fördert den Terrorismus mehr als die 'Antiterrorkriege' des Westens", so Todenhöfer. "Die muslimischen Länder müssen ihre Probleme mit dem radikalen Islamismus selber ausfechten."

​​Sie sind der Meinung, der Westen sei "nicht legitimiert, überall auf der Welt gegen radikal-islamische Bewegungen vorzugehen und habe nicht das Recht, "die Welt in ein blutig-chaotisches Schlachtfeld zu verwandeln, um seine Vorstellungen von der Welt durchzusetzen". Wer wäre denn dazu legitimiert bzw. in der Lage, diese ordnende Rolle zu übernehmen?

Todenhöfer: Die einzelnen Länder selbst. Nur in Ausnahmefällen können UN-Sondereinheiten eingreifen. Die USA sind nicht im Irak, um Menschen zu helfen, sondern um ihre Rohstoffinteressen zu sichern.

Sie plädieren dafür, dass westliche Kampftruppen den Irak, Afghanistan, aber auch Somalia verlassen sollten, denn "der Kampf gegen den Terrorismus werde nicht militärisch entschieden, sondern in den Herzen der 1,4 Milliarden Muslime". Wie kann man in der konkreten Politik die Herzen der Menschen in den islamischen Ländern gewinnen?

Todenhöfer: Wir müssen die muslimische Welt genauso behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen – mit Respekt und Fairness. Wenn wir die muslimische Welt morgen genauso großzügig behandeln, wie wir zu Recht Israel behandeln, gibt es morgen keinen islamisch getarnten Terrorismus mehr.

Interview: Hisham Adem

© Qantara.de 2008

Der Jurist und Medienmanager Jürgen Todenhöfer saß fast zwanzig Jahre für die CDU im Bundestag. Für seine Partei fungierte er als Experte für Entwicklungs- und Verteidigungspolitik. Im Vorfeld des Irakkriegs avancierte er zur Symbolfigur der deutschen Kriegsgegner. Heute steht er als stellvertretender Vorstandschef an der Spitze des Medienkonzerns Burda.

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