Sehnsucht nach Al-Andalus
Die israelische Verlegerin Yael Lerer veröffentlicht in ihrem Verlag Al-Andalus arabische Literatur auf Hebräisch. Mit ihr sprach Youssef Hijazi über die Hintergründe ihres Interesses für die arabische Literatur und über die Schwierigkeiten, mit denen sie als Verlegerin arabischer Literatur in Israel konfrontiert wird.
Yael Lerer, was veranlasste Sie zur Gründung des Verlags Al-Andalus?
Yael Lerer: Aus politischen und ideologischen Gründen habe ich vor zehn Jahren Arabisch gelernt. Ich schätze mich deshalb sehr glücklich, denn dadurch kann ich arabische Literatur lesen, die Sprache eröffnet mir einen besonderen Zugang zur arabischen Kultur. Aufgrund dieser persönlichen Erfahrung habe ich beschlossen, auch andere an dieser Gunst teilhaben zu lassen.
Als ich das Arabischstudium begonnen hatte, lernte ich mehr, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, entdeckte mein Interesse für arabische Literatur und Lyrik und wie fern mir die arabische Kultur zuvor gewesen war. Und das, obwohl ich seit Jahren viele arabische Freunde, Kollegen und Kampfgefährten habe.
Vor vier Jahren habe ich begonnen, einen neuen Verlag aufzubauen, eben den Verlag Al-Andalus, mit dem ich mir die Übersetzung arabischer Literatur ins Hebräische und die anschließende Veröffentlichung zur Aufgabe gemacht habe. Meine ursprüngliche Annäherung war nämlich eine kulturelle, sie geschah durch die Literatur, erst später wurde ich politisch aktiv.
Nach über fünf Jahren, während derer ich als Mitarbeiterin von Dr. Azmi Bishara täglich im israelischen Parlament gearbeitet hatte, entschloss ich mich, diese Arbeit aufzugeben, weil ich es einfach nicht mehr ertragen konnte. Die arabischen Mitglieder des israelischen Parlaments sehen sich tagtäglich mit dem Rassismus der Israelis konfrontiert. Das war für mich kaum auszuhalten.
Sie gingen also von rein politischer zu rein kultureller Arbeit über?
Lerer: Noch immer bin ich der Nationalen Demokratischen Allianz politisch verbunden und beteilige mich auch aktiv an ihren Aktionen. Allerdings musste ich während meiner Arbeit für die Knesset täglich die Reden der Rechten hören und auch die der so genannten Linken und des Zentrums.
Alle fahren die gleiche zionistische, undemokratische Linie und propagieren eine vollständige Rassentrennung. Jeden Morgen hatte ich drei Zeitungen zu lesen, musste die Nachrichtensendungen hören, war diesem ständigen Rassismus ausgesetzt.
Ich fragte mich dann: Was kann ich tun? Und so beschloss ich, zur Literatur zurückzukehren, und gründete Al-Andalus.
Ist die Wahl des Namens, Al-Andalus, Ausdruck von Nostalgie?
Lerer: Genau, das ist Nostalgie. Die andalusische Epoche verkörpert das Goldene Zeitalter der Gemeinsamkeit von arabischer und hebräischer Kultur. Es war eine Zeit, in der sehr viel übersetzt wurde und in der die eine Kultur die jeweils andere mit ihren Ideen befruchtete.
Als ich über einen Namen für den Verlag nachdachte, schien es mir nur natürlich, ihn Al-Andalus zu nennen. Ich wurde angegriffen wegen dieser Namenswahl, die Provokation bestand darin, so wurde behauptet, dass nicht die hebräische Bezeichnung "Andalusia" gewählt wurde. Man beschuldigte mich, ich sei eine Panarabistin, als sei Al-Andalus ein Symbol panarabistischer Wünsche!
Wie gelangen Sie an die Druckrechte? In der arabischen Welt besitzt im Allgemeinen der Autor die Rechte an einem Buch. Treten Sie in direkten Kontakt zu den Autoren?
Lerer: Wir pflegen keine direkten Kontakte. Denn das betrifft die Frage der "Normalisierung", also die Normalisierung der israelisch-palästinensischen Beziehungen, und das ist eine äußerst empfindliche und wichtige Angelegenheit. Allerdings habe ich von einer ganzen Menge arabischer Autoren während der Frankfurter Buchmesse gehört, dass sie das Ganze leid sind.
Ich persönlich bin es nicht leid. Dr. Azmi Bishara hat einmal gesagt, die Normalisierung habe sich von einer Idee zu einer Glaubensfrage gewandelt. Es gibt Leute, die sich gegen die Normalisierung aussprechen, und das bedeutet für sie, dass sie mit keinem Israeli sprechen und auch niemals gemeinsam mit Israelis den Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse aufnehmen würden.
Generell bin ich gegen die Normalisierung. Es bleibt allerdings die Frage, was das eigentlich ist? Der Ausdruck bedeutet, aus einer Situation, die als unnatürlich empfunden wird, eine natürliche, eine normale Situation zu machen. Die Besatzung ist unnatürlich, die Rassentrennung ist unnatürlich, und wir dürfen nicht so tun, als wäre beides normal.
Meist wird die Forderung zurechtgestutzt auf die Einrichtung und den Unterhalt wechselseitiger kultureller Beziehungen. Ist das denn überhaupt möglich? Meiner Meinung nach nicht. Es besteht keine Notwendigkeit, normale kulturelle Beziehungen zu pflegen, wie es jetzt auf der Frankfurter Buchmesse zwischen der arabischen Welt und dem Westen angestrebt wurde.
Ich finde, die Beziehung zum israelischen Staat und den israelischen Verlegern muss nicht normal sein. Trotzdem halte ich die Übersetzung arabischer Literatur ins Hebräische für notwendig, und ebenso die Suche nach Wegen, wie dies zu realisieren ist.
Können Sie das genauer erklären? Wie treten Sie mit den arabischen Schriftstellern in Kontakt?
Lerer: Die Kontakte mit den arabischen Autoren kamen über gemeinsame Freunde zustande, auch machten wir über einen Autor die Bekanntschaft eines anderen.
Nach dem so genannten Friedensabkommen begaben sich einige arabische Schriftsteller nach Israel. Das geschah auf Einladung des israelischen Außenministeriums, das ihnen diese Ehre erwies, um zu verdeutlichen, wie sehr man sich dort für die "Normalisierung" einsetzt. Alles läuft bestens, die arabischen Intellektuellen kommen ins Ministerium, und es werden Diskussionsrunden mit ihnen veranstaltet etc.
Es war mir wichtig, dass die arabischen Autoren, deren Werke wir veröffentlichen, wissen, dass wir einen anderen Hintergrund, ganz andere Ziele haben und dass wir prinzipiell nicht mit der israelischen Regierung oder dem israelischen Außenministerium kooperieren.
Wie handhaben Sie die Frage der Autorenrechte?
Lerer: Gegenwärtig gibt es keine offiziellen Verträge mit den Autoren, wir wahren ihre Rechte für die Zukunft. Man kann auf postalischem Weg miteinander in Kontakt treten, diese und andere Möglichkeiten stehen einem ja tatsächlich offen. Es bestehen Handelsbeziehungen, und es gibt ja auch tatsächlich so etwas wie eine israelisch-palästinensische Normalisierung.
All dies nützt dem Ansehen der Politik, die Israel offiziell betreibt. Dabei wollen wir nicht mitmachen. Wir wollen nicht, dass das israelische Außenministerium behauptet, die Schriftsteller und die arabische Linke hätten sich für eine Kooperation, für Beziehungen und Übereinkünfte und Ähnliches entschieden.
Ich habe den arabischen Autoren vorgeschlagen, dass wir ihnen ihre Rechte vorbehalten. Übrigens sprechen wir hier nicht über hohe Beträge, der israelische Markt ist nicht so groß wie der deutsche oder der englische.
Ich habe vorgeschlagen, dass die Einkünfte aus diesen Rechten in palästinensische Wohlfahrtsprojekte fließen, z.B. einer Bibliothek in einem Flüchtlingslager zugute kommen oder zu ähnlichen Zwecken verwendet werden.
Die meisten Autoren waren einverstanden und zeigten sich bereit, das Projekt zu unterstützen. Einer der Autoren bemerkte, immerhin hätten wir um Erlaubnis gebeten, im Gegensatz zu vielen anderen, und das sei doch lobenswert. Das Wenige, das man zuvor ins Hebräische übersetzt hatte, wurde ohne Erlaubnis der Autoren übersetzt. Es wurde also gestohlen, das gilt übrigens nicht nur für die Werke der Schriftsteller, sondern auch für Filme.
Das israelische Fernsehen zeigte jahrelang ägyptische Filme, Raubkopien, denn für die Rechte daran wurde nichts bezahlt. Beinahe erscheint mir dies eine israelische Tradition: Sie stehlen das Land, die Filme, die Literatur, alles ohne jedes Schuldbewusstsein.
So muss der Erfolg eines Autors die Veröffentlichung seiner Bücher sein, also ein ideeller und kein materieller Wert. Wie Edward Said sagte: "In eine ausländische Sprache übersetzt zu werden stellt immer einen Sieg für den Autor dar".
Wie wählen Sie den Text aus, dessen Übersetzung und Veröffentlichung Sie beabsichtigen?
Lerer: Das ist nicht schwer. Während 72 Jahren, also seit den dreißiger Jahren, als mit der Übersetzung aus dem Arabischen ins moderne Hebräisch begonnen wurde, bis ins Jahr 2000, wurden nur 32 Romane übersetzt.
Daher kann man auswählen, was man will. Unser Problem ist nicht zu entscheiden, was wir übersetzen wollen. Uns schweben Dutzende Titel vor, die wir übersetzen wollen, nur leider erlauben dies unsere finanziellen Möglichkeiten nicht.
Bis jetzt haben wir zehn Bücher übersetzt, die sich hinsichtlich des Genres und literarischer Vorlieben alle ganz stark voneinander unterscheiden. Wir haben sogar von Mahmud Darwisch einerseits "Warum hast du das Pferd allein gelassen", andererseits "Belagerungszustand" übersetzt, die zwei ganz unterschiedlichen Literaturgenres angehören.
Die ursprüngliche Idee war, ein wenig hiervon und ein wenig davon zu nehmen, um zu variieren, allerdings muss dabei eine hohe literarische Qualität immer das Maß sein.
Gleichzeitig würden wir dem Leser gerne die Möglichkeit bieten, einen Autor und sein Werk wirklich kennen zu lernen. Wir wünschen uns eine Übersetzung des Gesamtwerks von Mahmud Darwisch, von Huda Barakat, von Tajjib Salih, von Sahar Khalifa und so fort.
Wie wählen Sie die Übersetzer aus und wo liegen die Schwierigkeiten bei der Übersetzung?
Lerer: Gute Frage. Das Hebräische und das Arabische sind einander sehr ähnlich. Die meisten Übersetzungen, übrigens nicht nur die literarischen, sondern auch die journalistischen, sind nicht gut, weil die hebräische Übersetzung sich meist viel zu stark am arabischen Text orientiert.
Das gleiche Problem besteht bei Übersetzungen aus dem Hebräischen ins Arabische. Dies ist ein verbreitetes Phänomen bei Übersetzungen, wenn die beiden Sprachen einander ähnlich sind, z.B. auch beim Englischen und Französischen.
Einen arabischen Satz kann man unter exakter Beibehaltung des Satzbaus auf Hebräisch ausdrücken, aber das Ergebnis ist kein guter hebräischer Stil, das klingt altertümlich und artifiziell.
Wir bemühen uns um eine echte Übersetzung, das bedeutet, für die Übersetzung eines Texts von Mohamed Choukri ins Hebräische soll das Ergebnis klingen, als hätte Choukri selbst diesen Text auf Hebräisch geschrieben. Es soll Neuhebräisch mit der Charakteristik von Choukris Arabisch sein.
Das Problem ist, dass nur sehr wenig aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzt wurde, daher gibt es keine professionellen Übersetzer, die auf ausgedehnte praktische Erfahrungen zurückgreifen können. Sämtliche Übersetzer, mit denen wir arbeiten, sind eigentlich in anderen Bereichen tätig.
Und schließlich erfordert das Übersetzen nebst Sprachkenntnissen auch die Kenntnisse der anderen Kultur. So kam es beispielsweise dazu, dass "futur" als Frühstück übersetzt wurde und nicht, wie es richtig hätte lauten müssen, als "iftar des Ramadans", die Mahlzeit, mit der im heiligen Monat Ramadan am Abend das Fasten des Tages gebrochen wird.
Aus diesem Grund arbeiten wir auch gerne mit Palästinensern, die in Israel leben, zusammen, was wiederum andere Schwierigkeiten mit sich bringt, da sie nicht in ihre Muttersprache übersetzen.
Wie steht es um den Vertrieb? Von Elias Khourys Roman "Das Tor zur Sonne" sollen 3.000 Stück verkauft worden sein.
Lerer: Die israelischen Buchläden pflegen mit uns denselben Umgang wie mit allen anderen Verlagen auch. Allerdings ist der israelische Markt sehr beschränkt. Unsere Bücher werden von den Kritikern in allen Zeitungen besprochen.
Größtenteils sehen sie sich gezwungen, gute Kritiken zu schreiben, weil die Werke, die wir übersetzen, wie bereits erwähnt, alle hervorragend sind, sie haben keine Chance, die Bücher, die wir veröffentlichen, schlecht zu finden.
Wir erfüllen einen sehr hohen Qualitätsanspruch. Es gibt einige wenige Verlage, die auch so arbeiten, die alteingesessenen, großen und vermögenden Verlage beispielsweise. Aber diese haben ihr Stammpublikum, es ist, als trügen die von ihnen vertretenen Titel ein Gütesiegel.
Wir investieren die gleichen Anstrengungen und Kosten, um so dieselbe Qualität wie die großen Verlage zu erreichen, aber unsere Verkaufszahlen sind die eines kleinen Verlags.
Worin sehen Sie den Grund für den bescheidenen Absatz ihrer Veröffentlichungen?
Lerer: Wir haben ein Problem mit den Lesern. "Das Tor zur Sonne" beispielsweise wurde in allen Feuilletons der israelischen Zeitungen besprochen, alle Kritiker hielten es für großartig. Wenn israelische Schriftsteller ein Buch lesen, schreiben sie für gewöhnlich eine Kritik darüber.
Aber weder David Großmann, noch Abraham Jehoshua und auch nicht Amos Oz noch sonst irgend einer der israelischen Autoren schrieb einen Beitrag über "Das Tor zur Sonne" oder erwähnte es in einem Vortrag. Im Gegensatz dazu sprach Elias Khoury hunderte von Malen über diese Autoren.
Es gibt Literatur, deren Lektüre weltweit als eine kulturelle Pflicht aufgefasst wird, wenigstens was die gebildete Schicht angeht. Würde beispielsweise Günther Grass ins Hebräische übersetzt, wäre die Lektüre seines Werks eine kulturelle Verpflichtung.
Die arabische Literatur hingegen ist weder für Intellektuelle, noch für Schriftsteller oder Universitätsprofessoren Pflichtlektüre. Meiner Meinung nach ist das Problem hier nicht direkt die israelische Politik, vielmehr steckt es im generellen Rassismus, der in der Gesellschaft vorhanden ist.
Die Leute wollen qualitativ hoch stehende Literatur lesen und können sich einfach nicht vorstellen, dass arabische Autoren schöne, sogar überwältigende Texte schreiben können.
Soweit die Intellektuellen – wie sieht es auf offizieller Seite aus? Erfahren Sie Ablehnung oder akzeptiert man Ihre Arbeit?
Lerer: Wir pflegen keine Verbindung zu der Regierung nahe stehenden Personen. In Israel gibt es keine Zensur für Bücher, im Gegensatz zum Kino oder Theater – vor einigen Wochen mussten wir mit ansehen, wie die Vorführung von "Jenin, Jenin", dem Film von Muhammad Bakri, verboten wurde.
Wer über Atomwaffen schreiben will, muss den Text vor der Veröffentlichung einem staatlichen Zensor vorlegen, ansonsten ist Literatur zensurfrei. Würde die Literatur zensiert, so würden wir, denke ich, ernsthaft Probleme bekommen.
Angesichts des niedrigen Umsatzes, den Sie beklagen, fragt man sich, wie Sie sich finanzieren?
Lerer: Wir werden von verschiedenen europäischen Fonds unterstützt. Wir könnten damit wohl die Übersetzungskosten decken, besser finden wir es aber, wenn dieses Geld in den Erwerb und den Vertrieb unserer Bücher fließt, und zwar für öffentliche Bibliotheken und Gymnasien in Israel.
Von fünf unserer Bücher haben wir jeweils ein Exemplar an alle öffentlichen Bibliotheken sowie die Bibliotheken in den Gymnasien geschickt, insgesamt also an ca. 1.600 Einrichtungen.
Durch unser Projekt mit den öffentlichen Bibliotheken können Leser im ganzen Land an die Bücher gelangen. "Das Tor zur Sonne" beispielsweise hat, statistisch gesehen, auf diese Weise 20.000 Leser erreicht.
Es hat recht lange gedauert, bis wir die Geldgeber von dieser Idee überzeugen konnten. Nun aber werden wir das Projekt mit Unterstützung der Europäischen Union fortsetzen. Trotzdem sind wir auf zusätzliche Unterstützung angewiesen, auch wenn wir demnächst acht neue Bücher veröffentlichen, die bis Juni nächsten Jahres in den öffentlichen Bibliotheken stehen sollen.
Das Interview führte Youssef Hijazi
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara 2004
Yael Lerer, geboren in Tel Aviv, entstammt einer jüdisch-europäischen Familie. Sie studierte an der Universität von Tel Aviv und der Amerikanischen Universität in Kairo. Sie war offizielle Sprecherin von Dr. Azmi Bishara, Mitglied des israelischen Parlaments (Knesset) und ist Gründerin des Verlags Al-Andalus.