Den Krieg mit Kinderaugen sehen

Die libanesische Künstlerin Zeina Abirached wuchs während des 15-jährigen Bürgerkriegs im Libanon auf. In Comicbüchern beschreibt sie, wie ihre Familie den Schrecken des blutigen Konflikts erlebte. Mit ihr hat sich Juliane Metzker unterhalten.

Von Juliane Metzker

Frau Abirached, Sie waren zehn Jahre alt als der libanesische Bürgerkrieg endete. Wann entschieden Sie sich, Ihre Kindheit in einem Comicbuch zu erzählen?

Zeina Abirached: Nach dem Bürgerkrieg wurde sehr wenig darüber gesprochen, was eigentlich geschehen war. Bis heute verschweigen die libanesischen Schulbücher hartnäckig diese 15 Jahre unserer Vergangenheit. Während meines Studiums entschloss ich mich dann dazu, meine persönliche Geschichte in Form eines Comics aufzuzeichnen. Ich befragte Verwandte und Nachbarn und trug ihre Geschichten zusammen.

Wie sehr haben sich Ihre Erinnerungen von denen Ihrer Eltern unterschieden?

Abirached: Am Anfang verliefen die Gespräche sehr zäh. Meine Eltern sagten, dass sie sich kaum noch an etwas erinnerten. Aber irgendwann platzte der Knoten. Das muss auch schmerzhaft für sie gewesen sein. Ich war noch ein kleines Kind, als im Libanon Krieg herrschte. Damals verstand ich recht wenig, was mit uns passierte. Das Gespräch mit meiner Mutter trat dann eine Flut von Erinnerungen los und eine Geschichte führte zur nächsten. Wirklich schwierig war es dann, immer tiefer in die Situationen einzutauchen und sie zeitlich miteinander zu verbinden.

Zeina Abirached; Fotot: avant-verlag
Zeina Abirached: "Man sagt, dass die Libanesen sich an fast jede Situation anpassen können. Wenn man über Anpassung spricht, heißt das aber nicht, dass wir die Realität ignorieren. Im Gegenteil: Anpassung bedeutet auch Kampf und Widerstand"

In Ihrem Comicband "Das Spiel der Schwalben" nehmen Sie uns mit in eine Nacht im Bürgerkrieg. Sie lebten damals mit Ihren Eltern und Ihrem kleinen Bruder in Ost-Beirut. Vom Westen der Stadt trennten Sie nicht einmal drei Kilometer. Aber dazwischen lag die sogenannte Demarkationslinie, die Gefechtslinie. Wie groß kam Ihnen die Welt damals vor?

Abirached: Wir lebten in der Youssef-Semaani-Straße, wo uns eine hohe Wand von Sandsäcken vor Scharfschützen schützten sollte. Als Kind dachte ich, dass dort Beirut endete. Nach dem Krieg konnte ich die Straße das erste Mal überqueren und fand auf der anderen Seite eine Mauer mit dem Graffiti "Das Spiel der Schwalben". Mir wurde einige Zeit später klar, dass die Schwalben die Menschen im Krieg symbolisierten – ständig im Schwebezustand und beharrlich wartend auf bessere Zeiten. Wenn ich in Beirut bin, kehre ich immer wieder zu diesem Graffiti zurück. Es ist ein Stück Zuhause. Leider habe ich vor Kurzem erfahren, dass die Wand eingerissen wurde. Beirut befindet sich in einem ständigen Wandel. Neue Gebäude werden gebaut und das Alte muss dafür weichen.

Ihr Comic-Band "Ich erinnere mich" ist nun auch auf Deutsch erscheinen. Wollen Sie die Reihe noch weiterführen?

Abirached: Natürlich. In diesem Band erzähle ich von der Zeit vor und nach 1990 – dem Ende des Bürgerkriegs. 1989 entschieden sich meine Eltern nach West-Beirut zu fliehen, wo es für uns sicherer war. Ich konnte damals nicht begreifen, dass ich mich immer noch in ein und derselben Stadt befand. Es kam mir vor, als lebte ich nun in einem fremden Land, wo die Welt noch in Ordnung schien. Ich erinnere mich, wie überrascht und betäubt ich war, dass die Menschen auf der anderen Seite der Stadt auch Arabisch sprachen.

Der Zeichenstil in Ihren Comic-Bänden erinnert an die autobiografische Grafik-Novelle "Persepolis" und dem gleichnamigen Film der iranischen Künstlerin Marjane Satrapi. Sie handelt von ihrer Kindheit und Jugend zur Zeit der Islamischen Revolution im Iran. Warum haben auch Sie sich für die Farben Schwarz und Weiß als dominierendes Stilmittel entschieden?

Abirached: Als ich mit dem Zeichnen begann und einen Herausgeber suchte, kannte ich die Comics von Satrapi nicht. Diejenigen, die meine Illustrationen sahen, kamen zu mir und sagten, dass sie mein Stil an "Persepolis" erinnere. Ich begab mich daraufhin in eine Buchhandlung und las den Comic in nur zehn Minuten. Ich war begeistert. Im Libanon und Iran gibt es keine lange Comicbuchtradition. Wir ließen uns von europäischen und insbesondere französischen Künstlern inspirieren. Satrapi und ich schlagen eine Art Brücke zwischen den Kontinenten, weil wir unabhängig voneinander den Stil mit unseren Geschichten zusammenbringen.

Buchcover "Das Spiel der Schwalben von Zeina Abirached"; Foto: avant-verlag
Menschen im Schwebezustand, beharrlich wartend auf bessere Zeiten: "Das Spiel der Schwalben" ist die erste Graphic Novel von Abirached, in der sie den Alltag, die Entbehrungen und Erlebnisse ihrer Kindheit während des libanesischen Bürgerkriegs schildert.

Schwarz und Weiß sind sehr wichtig Stilelemente. Sie geben einem die Möglichkeit, die Realität symbolisch wiederzugeben. Bilder von Gewalt werden so neutraler. Man darf nicht vergessen, dass ich aus der Sichtweise eines Kindes erzähle. Woran ich mich nicht erinnere, symbolisieren komplett schwarze Seiten in meinem Buch.

In "Das Spiel der Schwalben" schreiben Sie, dass sich die Menschen in Beirut daran gewöhnt hatten mit dem Krieg zu leben. Der Libanon wird fast permanent von Bombenanschlägen oder bewaffneten Konflikten erschüttert. Wieviel können die Libanesen noch ertragen?

Abirached: Man sagt, dass die Libanesen sich an fast jede Situation anpassen können. Wir haben spezielle Reflexe entwickelt, um besser mit Krisen umzugehen. Ich denke aber, wenn man über Anpassung spricht, heißt das nicht, dass wir die Realität ignorieren und so tun als sei nichts gewesen. Im Gegenteil: Anpassung bedeutet auch Kampf und Widerstand.

Eine Illustration mit dem Titel "Ich erinnere mich an den Juli 2006" zeigt eine Schlucht, auf der einen Seite stehen Sie auf der anderen Ihre Familie während Bomben vom Himmel fallen. Schon im Verlauf des Israelkriegs lebten Sie in Paris und konnten die Geschehnisse nur in den Medien beobachten.

Abirached: In der Retrospektive ging es mir während des Bürgerkriegs verhältnismäßig gut, weil ich bei meiner Familie war. Meine Eltern wollten niemals woanders als in Beirut leben. Wir flohen während des Bürgerkriegs nach Zypern und Kuwait, kamen aber immer wieder zurück. Als der Krieg 2006 ausbrach und ich aufgrund meiner Arbeit nach Frankreich gezogen war, lebte ich in ständiger Angst um sie. Manchmal war ich so sehr in Gedanken bei ihnen, dass ich kurz vorm Einschalten einer Lampe erwartete, die Elektrizität wäre wieder ausgefallen. Im Libanon gibt es viele Probleme mit der Stromversorgung, besonders im Krieg. Ich war und bin in Paris, aber ein Teil von mir bleibt immer in Beirut.

Interview: Juliane Metzker

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Zeina Abirached: "Ich erinnere mich", avant-verlag München, Mai 2014, 96 Seiten, Schwarz-Weiß, ISBN: 978-3-939080-99-2