Viel Populismus, wenig strategisches Denken
Am 14. Juni um sechs Uhr morgens rückte eine Hundertschaft der Polizei vor der Millatu-Ibrahim-Moschee in Solingen an und räumte das Gebetshaus leer. Wenige Stunden später verkündete Innenminister Friedrich das Verbot des gleichnamigen Vereins, dessen Anhänger sich offen zu al-Qaida bekannten, und ließ dessen Webseite vom Netz nehmen.
Abu Usama al-Gharib, bis vor ein paar Monaten Prediger an der Moschee und jetzt wahrscheinlich in Ägypten weilend, meldete sich umgehend auf seinem Blog zu Wort: "Zwischen uns und euch herrscht offensichtlich FEINDSCHAFT UND HASS für IMMER bis ihr an Allah alleine glaubt. Millatu Ibrahim kann man nicht verbieten. Denn Millatu Ibrahim tragen wir in unseren Herzen. Entweder Sieg oder Märtyrertum."
Seitdem ist es still geworden um die islamischen Extremisten. Fragt sich nur wie lange. "Die Auseinandersetzung mit dem Salafismus hat erst begonnen", sagt Guido Steinberg, Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Millatu Ibrahim hat offen Werbung für al-Qaida gemacht. Viel schwieriger ist der Umgang mit den Salafisten, die den Dschihad befürworten, das aber nicht offen äußern."
"Nährboden des Terrorismus"
Wie also soll man mit den Salafisten umgehen? Seit sie vor ein paar Monaten damit anfingen, Koran-Ausgaben auf deutschen Straßen zu verteilen, ist die Angst vor ihnen gewachsen. Der Salafismus, warnte der Verfassungsschutz, sei der ideologische "Nährboden des Terrorismus", der Innenminister fasste in einem Interview die Position der Sicherheitsbehörden zusammen: "Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber fast jeder islamistische Terrorist hat einen irgendwie gearteten salafistischen Bezug."
Anfang Mai eskaliert die Lage, nachdem die anti-islamische Partei PRO NRW, selbst vom Verfassungsschutz beobachtet, sich vor Moscheen aufbaute, um öffentlich umstrittene Mohammed-Karikaturen zu zeigen. Eine gezielte Provokation der Extremisten auf der Gegenseite.
Überall bleibt es ruhig, nur nicht in Bonn und Solingen. Aufgebrachte Salafisten, darunter Mitglieder der Millatu-Ibrahim-Moschee, gehen mit Latten und Messern auf die Polizei los, es gibt zahlreiche Verletzte und Festnahmen. Der Innenminister ist seitdem offensichtlich entschlossen, die Salafisten mit Verboten in die Schranken zu weisen. Friedrich nennt die Razzien "außerordentlich erfolgreich", selbst die Grünen spenden Beifall. Alle sind einer Meinung: Religiöse Extremisten, die zu Gewalt aufrufen, haben in Deutschland nichts zu suchen.
Spricht man allerdings mit Experten aus Verfassungsschutz und Polizei, die seit Jahren mit dem Thema zu tun haben, stößt man auf weniger Übereinstimmung als in der Politik, dafür aber auf erstaunlich viel Kritik – auch Selbstkritik. Sie richtet sich nicht nur gegen den Innenminister und die Analysen der Sicherheitsbehörden, sondern auch gegen die Medien. Keiner hat Sympathien für die Salafisten, jeder sucht nach Wegen, wie man diese demokratiefeindliche und in Teilen gewaltbereite Bewegung eindämmen kann.
Doch viele Verfassungsschützer sind ratlos darüber, wie die Politik auf das Phänomen reagiert. Zu viel Populismus, zu wenig strategisches Denken, falsche Kommunikation – das sind die Hauptvorwürfe der Sicherheitsexperten.
Eine streitsüchtige Bewegung
Der Salafismus ist eine streitsüchtige Bewegung, die den Spaltpilz in sich trägt. Diverse Prediger kämpfen um die Meinungshoheit, jeder von ihnen behauptet, nichts als die eine wirkliche Wahrheit zu vertreten. Interessant wird das, wenn es um die Gewaltfrage geht. Denn die meisten Salafisten lehnen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ab, sei es aus taktischen oder aus ideologischen Erwägungen.
In jedem Fall greifen sie jeden an, der ihnen widerspricht. Bestes Beispiel ist der Leipziger Prediger Hassan Dabbagh, der nach den Ausschreitungen im letzten Mai den Solinger Abu Usama al-Gharib in einer Videobotschaft in die Mangel nahm. Ein Unwissender sei das, ein Schandmaul, der einen Psychiater bräuchte. "Bei Allah, ich schwöre bei Gott: Er vertritt nicht die Wahrheit." Deutschland sei ein gutes Gastgeberland, so Dabbagh, und überhaupt, nicht alle Ungläubigen seien Feinde des Islams.
Die These, der Salafismus sei der "Nährboden des Terrorismus", übertüncht diese Unterschiede. Sie wird seit der Koranverteilung gebetsmühlenhaft von Politik und Medien wiederholt. "Ich halte das für absolut kontraproduktiv", sagt ein Islamexperte bei der Polizei. "Man muss zwischen Gewalt und Nicht-Gewalt unterscheiden. Deswegen darf man die Koranverteilung nicht skandalisieren, man darf sie nicht mit Terrorismus in Verbindung bringen. Das spielt den Salafisten in die Hände, es bestätigt sie in ihrem Verfolgungswahn. Das ist der Treibstoff der Bewegung."
Friedliche Salafisten könnten sich angesichts der Eskalation mit ihren gewaltbereiten Brüdern solidarisieren, der Spaltpilz, der im Salafismus wächst, würde mithin seine Wirkung verlieren.
Fehlen einer richtigen Kommunikationsstrategie
Was fehle, so der Islamexperte, sei eine richtige Kommunikationsstrategie. "Der Innenminister müsste eine doppelte Botschaft an die Salafisten senden", sagt er. "Er müsste sagen: Als Innenminister stehe ich für Pluralismus und den Schutz von Minderheiten. Ich mag euch nicht, wir beobachten euch, aber ihr habt das Recht, hier zu agieren, wie andere Fundamentalisten auch. Es gibt jedoch eine rote Linie, und das ist die Gewalt."
Aber welcher Politiker will sich in Zeiten wie diesen vor die Salafisten stellen? Punkten kann er damit bei den Wählern kaum. Eher ist das Gegenteil der Fall. "Unsere Gesellschaft ist islamskeptisch bis islamfeindlich geworden", sagt der Politologe Sebastian Huhnholz vom Geschwister-Scholl-Institut in München. "Die Öffentlichkeit ist durch die Salafisten verunsichert, der Innenminister glaubt, diese Ängste bedienen zu müssen."
Andere Politiker wiederum, wie Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann, nutzen das Thema offensichtlich dazu aus, um sich als Hardliner zu profilieren. Sie scheuen auch nicht davor zurück, vorschnell Vermutungen zu äußern, die sich dann als falsch erweisen. So behauptete Schünemann, die Koranverteilungsaktion sei möglicherweise von Saudi-Arabien finanziert worden. In diesem Fall müsste man über den Stopp von Waffenlieferungen an das Königreich nachdenken, so der Minister. "Das stimmte aber nicht", sagt ein Verfassungsschützer, „das Geld kommt aus Deutschland. Das ist reiner Populismus, das hilft uns in unserer Arbeit nicht weiter."
Das Verbot von Millatu Ibrahim in Solingen, eines Vereins, der offen für al-Qaida Werbung gemacht hat, trifft in Sicherheitskreisen aber auf breite Zustimmung. Das sei ein Signal an die Dschihad-Salafis: Bis hierhin und nicht weiter. Sebastian Huhnholz hingegen bevorzugt das angelsächsische Modell. In England dürfen islamische Extremisten verbal viel weiter gehen als hier, Prediger, die den Dschihad glorifizieren, gibt es zuhauf.
"Es wäre wahrscheinlich klüger, solchen Extremisten Plattformen zu überlassen, die die Sicherheitsbehörden gut überwachen können", sagt Huhnholz. "Ansonsten besteht der Anreiz, sich in ausländische Netzwerke abzusetzen. Das kann nicht die Lösung sein. Der Dschihad-Salafimsus ist mehr eine Ideologie als eine Organisation, man kann ihn nicht verbieten. Die werden wahrscheinlich jetzt noch geheimer arbeiten. Das macht die Überwachung durch die Sicherheitsbehörden nur schwerer."
Albrecht Metzger
© Qantara.de 2012
Albrecht Metzger ist Islamwissenschaftler und Publizist in Hamburg. Zuletzt erschien sein Buch: "Der Himmel ist für Gott, der Staat für uns – Islamismus zwischen Gewalt und Demokratie" im Lamuv-Verlag.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de