Gefangen zwischen Besatzung und Bürgerkrieg

Im Dezember 1981 wurden die Golanhöhen von Israel besetzt. Zu dieser Zeit ergriffen viele der syrischen Einwohner die Flucht. Von denen, die geblieben sind, gehören die meisten der Gemeinschaft der Drusen an. Ylenia Gostoli informiert über die Lage der Drusen auf den Golanhöhen, ihr Verhältnis zum syrischen Regime und zu ihren Glaubensbrüdern in Israel.

Von Ylenia Gostoli

Für die Bewohner des drusischen Dorfes Majdal Shams in den von Israel besetzten Golanhöhen bedeutet der Bürgerkrieg jenseits der Grenze mehr als die Schüsse, deren Lärm fast täglich zu hören ist.

Mit 10.000 Einwohnern ist Majdal Shams das größte der vier Dörfer, die übrig geblieben sind, nachdem über 130.000 syrische Drusen aus ihrem Land vertrieben wurden. Das ehemals syrische Gebiet wurde während des Sechstagekrieges 1967 durch Israel erobert und später besetzt – eine Annexion, die von der internationalen Staatengemeinschaft nie anerkannt wurde. Ansonsten befinden sich auf den Golanhöhen insgesamt 33 jüdische Siedlungen, die laut internationalem Recht illegal errichtet worden sind.

Zwischen den drusischen Bewohnern der Golanhöhen und dem syrischen Mutterland bestehen immer noch enge Verbindungen – nicht zuletzt deshalb, weil die überwiegende Mehrheit von ihnen in Syrien Verwandte hat. Viele getrennte Familien treffen sich in Jordanien oder auf dem sogenannten "Rufberg", wo sie Stimmkontakt mit der anderen Seite aufnehmen. Quneitra, der einzige Grenzübergang zwischen Syrien und den von Israel besetzten Golanhöhen, war bislang nur für Studenten, Bräute und Pilger geöffnet. Das einzige Handelsgut zwischen den beiden Seiten waren Äpfel von den Golanhöhen. Doch durch den syrischen Bürgerkrieg haben sich einige dieser Verbindungen inzwischen unweigerlich verändert.

Verstärkte Spannungen

Als im letzten Juni die mit Al-Qaida verbundene Gruppe Jabhat al-Nusra 23 Bewohner – darunter auch Kinder – des drusischen Dorfes Qalb Luza in der Provinz Idlib massakriert hatte, gingen drusische Bewohner Israels auf die Straße und forderten die israelische Regierung auf, zum Schutz der Drusen – einer schiitischen Minderheit, die von orthodox-sunnitischen Gruppen als Ketzer angesehen werden – in Syrien zu intervenieren.

Israelisches Sicherheitspersonal überprüft einen israelischen Militärkrankenwagen, der in der israelischen Siedlung Neve Ativ in der Nähe von Majdal Shams von israelischen Drusen angegriffen wurde. Der Wagen war am 22. Juni 2015 mit zwei verletzten Syrern auf dem Weg zu einem Krankenhaus; Foto: STR/AFP/Getty Images
Israeli security personnel check an Israeli military ambulance that was attacked by Israeli Druze in the Israeli settlement of Neve Ativ, near Majdal Shams, as it was on its way to a hospital carrying two injured Syrians for treatment on 22 June 2015. It was reported that around 200 Druze from Majdal Shams pelted the ambulance with stones, forcing it to stop, and dragged the wounded Syrians from the vehicle leaving one dead and the other in a serious condition

Ebenfalls im Juni belagerten Rebellengruppen die Stadt Hadar, nur wenige Kilometer von Majdal Shams entfernt, auf der anderen Seite des Berges Hermon – der letzten verbleibenden Bastion der syrischen Regierung entlang der Golan-Waffenstillstandslinie.

Die Spannungen in der Region eskalierten schließlich, als eine Meute von 200 Menschen aus Majdal Shams einen Krankenwagen mit verletzten Syrern angriffen, die sie für syrische Rebellen hielten. Einer der Verletzten wurde zu Tode geprügelt, ein weiterer schwer verletzt. Der Angriff wurde weitgehend verurteilt. In den letzten beiden Jahren hat die "Disengagement Observer Force" (UNDOF) der Vereinten Nationen, deren Mandat in der Durchsetzung des Waffenstillstandes zwischen israelischen und syrischen Truppen auf den Golanhöhen besteht, die Interaktion zwischen oppositionellen Kämpfern und der israelischen Armee dokumentiert. Israel behauptet zwar, die Intervention dort erfolge aus rein "humanitären" Gesichtspunkten und beschränke sich auf die Behandlung von Verwundeten in israelischen Krankenhäusern, Kritiker beschuldigen jedoch das Land, die Nusra-Front zu unterstützen.

Die Drusen auf den Golanhöhen und in Israel

Abgesehen von dem oben beschriebenen Protest haben sich die meisten Drusen des Golan jedoch von der Position ihrer Glaubensbrüder in Israel distanziert.

"Während der letzten Jahrzehnte war das Verhältnis zwischen den Drusen in Israel und ihren Glaubensbrüdern auf den Golanhöhen sehr distanziert", sagt Tobias Lang, Politikwissenschaftler und Verfasser eines Buches über die drusische Minderheit in Syrien und im Libanon. "Die Mehrzahl der Drusen in Israel dient in der Armee und hat eine besondere israelisch-drusische Identität angenommen, während die Drusen auf dem Golan ihrem Mutterland gegenüber loyal geblieben sind."

Members of the Druze community in the Golan Heights during a demonstration in support of Syrian President Bashar al-Assad's army, Majdal Shams, 15 June 2015 (photo: MENAHEM KAHANA/AFP/Getty Images)
Members of the Druze community of the Israeli-annexed Golan Heights wave their community's flag in support of Syrian President Bashar al-Assad's army and calling for the protection of their relatives in Syria during a demonstration in the Druze village of Majdal Shams on 15 June 2015

"Die meisten ihrer Forderungen unterstützen wir nicht", sagt Salman Fakhr Edeen, ein Anwohner und Mitarbeiter einer lokalen Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte. "Ich persönlich bin gegen den Krieg. Die Todesopfer auf der anderen Seite in die Höhe zu treiben widerspricht friedlichen Einstellungen. Es geht um unsere Familien, unsere Landsleute", meint Edeen und fügt hinzu: "Es ist natürlich richtig, dass wir [auf den israelisch besetzten Golanhöhen] von der syrischen Regierung sehr viele Vorteile erhalten haben und diese Regierung nun an Einfluss verliert."

Über viele Jahre hinweg sind etwa 400 bis 500 junge Menschen aus den israelisch besetzten Golanhöhen nach Syrien gereist, um dort die Universität zu besuchen. Dies wurde durch den Umstand gefördert, dass es keine Studiengebühren gab und die syrische Regierung ihnen sogar ein kleines monatliches Stipendium gewährte. Aufgrund von Sicherheitsbedenken haben die Studenten jetzt nur noch zwei Möglichkeiten: sich an israelischen Universitäten einzuschreiben oder ins Ausland zu gehen.

Äpfel von den Golanhöhen

Seit 2005 hilft das Internationale Rote Kreuz den Golan-Bauern, ihre Äpfel in Syrien zu verkaufen, dessen Regierung etwa 20 Prozent der Gesamtproduktion abnimmt. Aber die Äpfel der Golanhöhen waren mehr als nur ein Handelsobjekt: Die syrische Regierung zahlte einen höheren Preis dafür, als die Bauern auf dem israelischen Markt erzielen konnten.

Apple processing plant, Golan (photo: Ylenia Gostoli)
Students and apples used to be some of the few things allowed to cross Quneitra, the border checkpoint between the Israeli-occupied Golan Heights and Syria. "We used to sell up to 20 percent of the product to Damascus," said Tayseer Maray, director of the NGO Golan for Development. "But since Jabhat al-Nusra first attacked the Quneitra crossing two years ago, trade stopped. We are still searching for alternatives"

"Im Jahr 2013 verkauften wir immerhin noch 14.000 Tonnen Äpfel nach Syrien", erklärt Asaad Safadi, Manager einer Apfelverarbeitungsanlage in Majdal Shams gegenüber Qantara.de. "Aber dieses Jahr und die vergangene Saison waren sehr problematisch. Wir hatten sehr viele Äpfel, doch die Preise auf dem israelischen Markt waren äußerst niedrig. Mit den Äpfeln der Siedler können wir nicht konkurrieren. Erstens bekommen sie viermal so viel Wasser als wir, und zweitens sind wir alle Kleinbauern und haben einfach nicht dieselbe Vermarktungsmacht", erklärt Safadi und fügt hinzu, dass in manchen Jahren die Kosten der Bauern höher waren als ihr Einkommen.

"Ich halte trotzdem am Anbau fest, weil ich damit mein Land schütze", sagt Sameh Ayoub, ein Kleinbauer und Aktivist aus Majdal Shams, "und für viele andere Bauern hier ist es genauso. Sehr wenige Menschen besitzen genug Land, um davon noch leben zu können. Also arbeiten wir in Tel Aviv oder in den Siedlungen, um das Geld zu verdienen, das wir brauchen, um die Höfe zu schützen", erklärt er. Nach israelischem Recht geht Land, das 15 Jahre lang nicht bewirtschaftet wurde, in Staatseigentum über.

Spaltung zwischen Unterstützern und Gegnern des syrischen Regimes

Samir Owidat in his flower shop in Majdal Shams (photo: Ylenia Gostoli)
Even though expenses exceed income for farmers some years, many still work the land in order to prevent it from becoming government land: "Very few people own enough land to still make a living out of it. So we go to work in Tel Aviv or the settlements in order to bring in money to protect the farms," says Sameh Ayoub, a small farmer. Pictured here: Samir Owidat in his flower shop in Majdal Shams

Der 55-jährige Samir Owidat interessiert sich weniger für Äpfel. An den Wochentagen ist er Elektriker, und als Hobby pflanzt und verkauft er Blumen. "Natürlich betrifft es uns alle, was in Syrien passiert. Die Menschen wurden gegeneinander aufgebracht", sagt er, und bezieht sich dabei auf die wachsende Spaltung zwischen Unterstützern und Gegnern des Regimes. Ein Teil seiner Familie lebe immer noch in Damaskus. "Während meiner Studienzeit in Damaskus wusste ich nicht, wer Druse, wer Christ oder Muslim war. Es hat mich auch nicht interessiert. Wir alle waren Syrer."

Im Jahr 1981 versuchte Israel, den Drusen des Golan die israelische Staatsbürgerschaft aufzuzwingen. Die Antwort der vier drusischen Dörfer bestand darin, aus Protest ihre blauen Personalausweise auf der Straße zu verbrennen und sechs Monate lang zu streiken, woraufhin die Regierung schließlich nachgab. Daher besitzen die meisten der Einwohner bis heute keinen Pass und keine Staatsangehörigkeit – sie tragen ein Reisedokument bei sich, dass ihre Nationalität als "undefiniert" ausweist. Doch laut Berichten israelischer Medien haben in den letzten Jahren mehr Menschen, insbesondere unter der jüngeren Generation, die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. Ein Grund dafür ist die bessere Möglichkeit, in Israel Arbeit zu finden.

Ylenia Gostoli

© Qantara.de 2015