Gefangen zwischen Besatzung und Bürgerkrieg
Für die Bewohner des drusischen Dorfes Majdal Shams in den von Israel besetzten Golanhöhen bedeutet der Bürgerkrieg jenseits der Grenze mehr als die Schüsse, deren Lärm fast täglich zu hören ist.
Mit 10.000 Einwohnern ist Majdal Shams das größte der vier Dörfer, die übrig geblieben sind, nachdem über 130.000 syrische Drusen aus ihrem Land vertrieben wurden. Das ehemals syrische Gebiet wurde während des Sechstagekrieges 1967 durch Israel erobert und später besetzt – eine Annexion, die von der internationalen Staatengemeinschaft nie anerkannt wurde. Ansonsten befinden sich auf den Golanhöhen insgesamt 33 jüdische Siedlungen, die laut internationalem Recht illegal errichtet worden sind.
Zwischen den drusischen Bewohnern der Golanhöhen und dem syrischen Mutterland bestehen immer noch enge Verbindungen – nicht zuletzt deshalb, weil die überwiegende Mehrheit von ihnen in Syrien Verwandte hat. Viele getrennte Familien treffen sich in Jordanien oder auf dem sogenannten "Rufberg", wo sie Stimmkontakt mit der anderen Seite aufnehmen. Quneitra, der einzige Grenzübergang zwischen Syrien und den von Israel besetzten Golanhöhen, war bislang nur für Studenten, Bräute und Pilger geöffnet. Das einzige Handelsgut zwischen den beiden Seiten waren Äpfel von den Golanhöhen. Doch durch den syrischen Bürgerkrieg haben sich einige dieser Verbindungen inzwischen unweigerlich verändert.
Verstärkte Spannungen
Als im letzten Juni die mit Al-Qaida verbundene Gruppe Jabhat al-Nusra 23 Bewohner – darunter auch Kinder – des drusischen Dorfes Qalb Luza in der Provinz Idlib massakriert hatte, gingen drusische Bewohner Israels auf die Straße und forderten die israelische Regierung auf, zum Schutz der Drusen – einer schiitischen Minderheit, die von orthodox-sunnitischen Gruppen als Ketzer angesehen werden – in Syrien zu intervenieren.
Ebenfalls im Juni belagerten Rebellengruppen die Stadt Hadar, nur wenige Kilometer von Majdal Shams entfernt, auf der anderen Seite des Berges Hermon – der letzten verbleibenden Bastion der syrischen Regierung entlang der Golan-Waffenstillstandslinie.
Die Spannungen in der Region eskalierten schließlich, als eine Meute von 200 Menschen aus Majdal Shams einen Krankenwagen mit verletzten Syrern angriffen, die sie für syrische Rebellen hielten. Einer der Verletzten wurde zu Tode geprügelt, ein weiterer schwer verletzt. Der Angriff wurde weitgehend verurteilt. In den letzten beiden Jahren hat die "Disengagement Observer Force" (UNDOF) der Vereinten Nationen, deren Mandat in der Durchsetzung des Waffenstillstandes zwischen israelischen und syrischen Truppen auf den Golanhöhen besteht, die Interaktion zwischen oppositionellen Kämpfern und der israelischen Armee dokumentiert. Israel behauptet zwar, die Intervention dort erfolge aus rein "humanitären" Gesichtspunkten und beschränke sich auf die Behandlung von Verwundeten in israelischen Krankenhäusern, Kritiker beschuldigen jedoch das Land, die Nusra-Front zu unterstützen.
Die Drusen auf den Golanhöhen und in Israel
Abgesehen von dem oben beschriebenen Protest haben sich die meisten Drusen des Golan jedoch von der Position ihrer Glaubensbrüder in Israel distanziert.
"Während der letzten Jahrzehnte war das Verhältnis zwischen den Drusen in Israel und ihren Glaubensbrüdern auf den Golanhöhen sehr distanziert", sagt Tobias Lang, Politikwissenschaftler und Verfasser eines Buches über die drusische Minderheit in Syrien und im Libanon. "Die Mehrzahl der Drusen in Israel dient in der Armee und hat eine besondere israelisch-drusische Identität angenommen, während die Drusen auf dem Golan ihrem Mutterland gegenüber loyal geblieben sind."
"Die meisten ihrer Forderungen unterstützen wir nicht", sagt Salman Fakhr Edeen, ein Anwohner und Mitarbeiter einer lokalen Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte. "Ich persönlich bin gegen den Krieg. Die Todesopfer auf der anderen Seite in die Höhe zu treiben widerspricht friedlichen Einstellungen. Es geht um unsere Familien, unsere Landsleute", meint Edeen und fügt hinzu: "Es ist natürlich richtig, dass wir [auf den israelisch besetzten Golanhöhen] von der syrischen Regierung sehr viele Vorteile erhalten haben und diese Regierung nun an Einfluss verliert."
Über viele Jahre hinweg sind etwa 400 bis 500 junge Menschen aus den israelisch besetzten Golanhöhen nach Syrien gereist, um dort die Universität zu besuchen. Dies wurde durch den Umstand gefördert, dass es keine Studiengebühren gab und die syrische Regierung ihnen sogar ein kleines monatliches Stipendium gewährte. Aufgrund von Sicherheitsbedenken haben die Studenten jetzt nur noch zwei Möglichkeiten: sich an israelischen Universitäten einzuschreiben oder ins Ausland zu gehen.
Äpfel von den Golanhöhen
Seit 2005 hilft das Internationale Rote Kreuz den Golan-Bauern, ihre Äpfel in Syrien zu verkaufen, dessen Regierung etwa 20 Prozent der Gesamtproduktion abnimmt. Aber die Äpfel der Golanhöhen waren mehr als nur ein Handelsobjekt: Die syrische Regierung zahlte einen höheren Preis dafür, als die Bauern auf dem israelischen Markt erzielen konnten.
"Im Jahr 2013 verkauften wir immerhin noch 14.000 Tonnen Äpfel nach Syrien", erklärt Asaad Safadi, Manager einer Apfelverarbeitungsanlage in Majdal Shams gegenüber Qantara.de. "Aber dieses Jahr und die vergangene Saison waren sehr problematisch. Wir hatten sehr viele Äpfel, doch die Preise auf dem israelischen Markt waren äußerst niedrig. Mit den Äpfeln der Siedler können wir nicht konkurrieren. Erstens bekommen sie viermal so viel Wasser als wir, und zweitens sind wir alle Kleinbauern und haben einfach nicht dieselbe Vermarktungsmacht", erklärt Safadi und fügt hinzu, dass in manchen Jahren die Kosten der Bauern höher waren als ihr Einkommen.
"Ich halte trotzdem am Anbau fest, weil ich damit mein Land schütze", sagt Sameh Ayoub, ein Kleinbauer und Aktivist aus Majdal Shams, "und für viele andere Bauern hier ist es genauso. Sehr wenige Menschen besitzen genug Land, um davon noch leben zu können. Also arbeiten wir in Tel Aviv oder in den Siedlungen, um das Geld zu verdienen, das wir brauchen, um die Höfe zu schützen", erklärt er. Nach israelischem Recht geht Land, das 15 Jahre lang nicht bewirtschaftet wurde, in Staatseigentum über.
Spaltung zwischen Unterstützern und Gegnern des syrischen Regimes
Der 55-jährige Samir Owidat interessiert sich weniger für Äpfel. An den Wochentagen ist er Elektriker, und als Hobby pflanzt und verkauft er Blumen. "Natürlich betrifft es uns alle, was in Syrien passiert. Die Menschen wurden gegeneinander aufgebracht", sagt er, und bezieht sich dabei auf die wachsende Spaltung zwischen Unterstützern und Gegnern des Regimes. Ein Teil seiner Familie lebe immer noch in Damaskus. "Während meiner Studienzeit in Damaskus wusste ich nicht, wer Druse, wer Christ oder Muslim war. Es hat mich auch nicht interessiert. Wir alle waren Syrer."
Im Jahr 1981 versuchte Israel, den Drusen des Golan die israelische Staatsbürgerschaft aufzuzwingen. Die Antwort der vier drusischen Dörfer bestand darin, aus Protest ihre blauen Personalausweise auf der Straße zu verbrennen und sechs Monate lang zu streiken, woraufhin die Regierung schließlich nachgab. Daher besitzen die meisten der Einwohner bis heute keinen Pass und keine Staatsangehörigkeit – sie tragen ein Reisedokument bei sich, dass ihre Nationalität als "undefiniert" ausweist. Doch laut Berichten israelischer Medien haben in den letzten Jahren mehr Menschen, insbesondere unter der jüngeren Generation, die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. Ein Grund dafür ist die bessere Möglichkeit, in Israel Arbeit zu finden.
Ylenia Gostoli
© Qantara.de 2015