Eine "Schule für Eheglück" in Kairo
Ein Gefühl des Unbehagens hatte sich der Ägypterin Muna nach drei Jahren Ehelebens bemächtigt. Ihre Unzufriedenheit mit der sexuellen Beziehung zu ihrem Mann wurde immer größer. Aber das Thema war ihr peinlich, und sie schämte sich, offen darüber zu sprechen, denn gemäß den in der ägyptischen Gesellschaft gepflegten Traditionen gilt die Diskussion hierüber als anstößig.
So wie Muna geht es vielen verheirateten ägyptischen und arabischen Frauen – und nicht nur Frauen finden es problematisch, offen über ihre sexuelle Beziehung zu sprechen. Ebenso schamhaft verhalten sich diesbezüglich die Männer. Als eine Freundin Muna von einer "Schule für Eheglück" berichtete, bislang der ersten in Ägypten und in der arabischen Welt, wurde ihr klar, dass dies ihre einzige Möglichkeit war, das Schweigen zu brechen und ihre Scham zu überwinden.
Gegründet hat die "Schule für Eheglück" die ägyptische Ärztin Hiba Qutb. Sie erlangte den Doktortitel mit einer Promotion im Fach Gerichtsmedizin und Gynäkologie an der Kairoer Universität. Außerdem ist sie diplomierte Gynäkologin der Maimonides-Universität in Florida und Mitglied der amerikanischen Akademie für Gynäkologie.
Hiba Qutb arbeitet in einer großen Praxis mitten in Kairo. "Schule für Eheglück" nannte sie ihr Projekt, weil sie in den Praxisräumen Seminare veranstaltet, in denen vermittelt wird, was eine gut funktionierende Ehe ausmacht und wie die Ehepartner sich ihre Liebe zueinander bewahren und sogar noch verstärken können.
Kampf dem emotionalen Analphabetentum
Die Idee, so erklärt Hiba Qutb im Interview für Qantara.de, kam ihr, als sie vor fünf Jahren mit den Vorbereitungen für ihre Doktorarbeit über sexuelle Gewalt begann. Dabei untersuchte sie zunächst notwendige Voraussetzungen für eine glückliche Ehe, um sie mit solchen zu vergleichen, die zu sexueller Gewalt führen.
Auch wollte sie dadurch eine Grundlage schaffen für Interviews, die sie mit inhaftierten Vergewaltigern über ihre Tatmotive führte. Wie sie feststellte, waren die meisten dieser Männer verheiratet. Sie kam zu dem Schluss, dass die Ehepartner nur sehr wenig über sexuelle Beziehungen wissen und einfach ihre triebhaften Bedürfnisse befriedigen. Deshalb sind die meisten Männer und Frauen mit ihrem Sexualleben unzufrieden.
Furchtlos machte sich Hiba Qutb an die Überwindung dieses heiklen Problems, das so oft totgeschwiegen wird. Sie rief die Schule ins Leben, um dem emotionalen Analphabetentum entgegenzutreten und Ehepaare oder solche, die es werden wollten, bei ihrer Suche nach dem Schlüssel, der die Tore zu einer glücklichen Ehe öffnet, zu unterstützen.
Nach Hiba Qutbs Einschätzung besteht in den arabischen und islamischen Ländern im Bereich Sexualität ein enormer Beratungsbedarf für Ehepaare, wenn auch alle damit zusammenhängenden Fragen im Islam klar und offen zur Sprache kommen.
Egoismus der Ehemänner
Die größten Probleme der ägyptischen Ehepaare, die Hiba Qutbs "Schule für Eheglück" aufsuchen, entstehen daraus, dass der ägyptische Mann seine Frau als Objekt sieht, das der Befriedigung seiner sexuellen und emotionalen Bedürfnisse zu dienen hat. Er meint, sämtliche Rechte für sich beanspruchen zu können, während seiner Frau keinerlei Rechte zustehen. Folglich beschwert er sich, wenn sie, nachdem sie diesen "Status Quo" doch zu Beginn der Ehe akzeptierte, später rebelliert und eigene Ansprüche anmeldet.
Das eigentliche Problem der ägyptischen Ehepaare ist Ignoranz und mangelndes Verständnis. Kein Wunder, denn die sexuelle Aufklärung ist spärlich und steckt obendrein voller Fehlinformationen.
Als Hiba Qutb die Schule vor drei Jahren gründete, kamen zunächst nur Hilfesuchende mit hohem Bildungsniveau zu ihr. Denn noch immer stehen dem Entschluss, in solch persönlichen Angelegenheiten professionellen Rat einzuholen, überkommene gesellschaftliche Traditionen im Weg. Sich über diese hinweg zu setzen, setzt bei den Paaren einen breiten Wissenshorizont voraus.
Allerdings kommen seit etwa einem Jahr zunehmend auch Klienten aus eher ärmeren Gesellschaftsschichten mit niedrigem Bildungsniveau zu ihr. Ebenso hat sich der zunächst auf Kairo beschränkte Kundenkreis inzwischen über ganz Ägypten ausgedehnt.
Argumentation auf wissenschaftlicher und religiöser Ebene
In den ersten Minuten einer Sitzung oder eines Seminars, so berichtet Hiba Qutb, gestaltet sich der Umgang mit den Männern schwieriger als mit den Frauen. Dann jedoch leitet die Ärztin zu einem wissenschaftlich fundierten Austausch über. Sie zeigt großen Respekt gegenüber den Problemen ihrer Klientel, der zusammen mit einem enormen Spezialwissen, das sie meist auf Englisch vermittelt, oder, wenn ihr Gegenüber dies nicht so gut beherrscht, auf Hocharabisch, bewirkt, dass die Männer ihre Scham überwinden.
Vielen fällt es sogar leichter, sich einer Ärztin anzuvertrauen als einem Arzt, da sie einer Frau gegenüber weniger Sorge haben müssen, ihre Äußerungen könnten als Ausdruck mangelnder Männlichkeit verstanden werden.
Hiba Qutb verwendet in ihren Seminaren Bildmaterial zur Erläuterung sexueller Praktiken. Bei Erklärungen bedient sie sich anschaulicher Beispiele und zieht auch häufig Koranverse heran, sogar wenn es sich um eine christliche Klientel handelt. In den seltensten Fällen verschreibt sie Medikamente wie pharmazeutische Cremes. Wesentlich mehr hält sie von der Behebung funktioneller Störungen, die die sexuelle Beziehung vieler Ehepaare beeinträchtigen. Manchmal empfiehlt sie auch bestimmte Bücher, in denen das jeweilige Problem eines Paares eingehend behandelt wird.
In den letzten Monaten wurden an der "Schule für Eheglück" neue Seminare für Ehepaare dazu genommen. Darin geht es speziell um die Berichtigung von Fehlinformationen und die Förderung eines besseren Verstehens intimer Beziehungen. Wiederum andere Seminare richten sich an Paare, die eine Heirat planen. Auch für Jugendliche in der Pubertät werden eigens Kurse angeboten, in denen sie über das Thema Sexualität aufgeklärt werden, sowohl in wissenschaftlicher als auch in religiöser Hinsicht.
Nelly Youssef
© Qantara.de 2004
Übersetzung aus dem Arabischen von Stefanie Gsell