Kritik unerwünscht
Öffentlich Kritik an der ägyptische Führung zu üben, ist derzeit riskant: Ein falsches Wort gegen Staatspräsident Mohammed Mursi oder die ihn stützenden Islamisten genügt, um wegen Beleidigung des Präsidenten oder des Islam angezeigt zu werden.
Seit Mursis Amtsantritt gab es laut der "Egyptian Organisation for Human Rights" (EOHR) rund 600 offizielle Beschwerden gegen Medienschaffende. Die Muslimbrüder und der Staatspräsident beschuldigen regimekritische Medien zudem immer wieder, sie stifteten die Bevölkerung zu Gewalt an.
"Wenn der Staat Dir jeden Tag erzählt, dass die Medien zu Gewalt aufrufen und Hass verbreiten, kann man davon ausgehen, dass die 52 Prozent der Bevölkerung, die Mursi gewählt haben, ihm glauben", sagt Nihad Aboud von der "Association for Freedom of Thought and Expression", die sich für Pressefreiheit in Ägypten einsetzt. Daher seien es häufig auch politische Sympathisanten, die nach einer TV-Sendung einen kritischen Fernsehgast oder den Moderator anzeigen.
Auf Demonstrationen und in Straßenkämpfen zwischen Regimekritikern und Polizei hat die Gefahr für Journalisten zuletzt deutlich zugenommen. Von der Medienhetze beeinflusst, greifen dort bisweilen einfache Ägypter Journalisten an oder übergeben sie gewaltsam der Polizei. "Während des vergangenen Monats gab es zahlreiche gewaltsame Angriffe. Wir hatten mehr als 20 Fälle von Misshandlungen und Schlägen. Auf einige wurde geschossen, andere wurden vorübergehend eingesperrt", sagt Nihad Aboud.
Brutale Überfälle auf oppositionelle Aktivisten
Auch gegen regimekritische Aktivisten wird vermehrt geklagt. Das Newsportal "Ahram Online" berichtet, dass Abdel-Moneim Abdel-Maksud, ein bekannter Anwalt der Muslimbruderschaft, nach den jüngsten Kämpfen vor dem Hauptquartier der Organisation 169 Personen angezeigt hat.
Hinzu kommt die Gewalt gegen oppositionelle Aktivisten: Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen zu Entführungen oder zu brutalen Überfällen auf Kritiker der Muslimbrüder. Einige der Opfer wiesen typische Folterverletzungen auf.
Ein Beispiel dafür ist der Fall von Mohamed El-Gindi, dem Betreiber einer regimekritischen Seite auf Facebook: El-Gindi sei plötzlich verschwunden gewesen und tauchte erst nach tagelanger Suche in einem Krankenhaus im Koma liegend wieder auf, berichtet Tareq Zaghloul Asran, Organisationsdirektor der EOHR: "Er wurde gekidnappt und nach zwei Tagen hat die ägyptische Polizei gesagt, er sei bei einem Unfall von einem Auto erfasst worden. Etwas später wurde er für tot erklärt."
Es gibt Indizien, dass staatliche Behörden den Fall vertuschen wollten, um keine Unruhen zu riskieren. Zudem belasten Zeugenaussagen die Muslimbruderschaft schwer: Dem Nachrichtenmagazin "Newsweek" zufolge behauptet ein ehemaliger Unterstützer der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder, den schwer misshandelten El-Gindi vor seinem Tod in einem Polizeilager außerhalb Kairos gesehen zu haben. In dem Lager hätten laut Aussage des Augenzeugen auch Mitglieder der Muslimbruderschaft "Kriminelle" verhört und geschlagen.
Tatsächlich wären diese Methoden nicht neu. Bereits am 5. Dezember 2012 gingen Muslimbrüder vor dem Präsidentenpalast gegen dortige Anti-Mursi-Demonstranten gewaltsam vor, betont Tareq Zaghloul Asran: "Damit fing die Geschichte an: Die jungen Unterstützer der Muslimbruderschaft haben viele der Demonstranten unter Arrest gestellt, vor allem Liberale. Sie haben sie hinter die Mauern und Tore des Präsidentenpalastes gebracht und gefoltert."
Gewalt gegen Andersdenkende nach Plan
Auch andernorts griffen Islamisten zur Gewalt gegen Andersdenkende. Tareq Zaghlul Asran berichtet zum Beispiel von einem Angriff auf den Präsidenten der EOHR, als dieser die Media Production City in Kairo verlassen wollte. Dort befinden sich Fernsehstudios, in denen auch regimekritische Fernsehsendungen produziert werden. Immer wieder haben Islamisten den Eingang zu diesen Studios blockiert.
Für Tareq Zaghloul Asran ist die aktuelle Zunahme von Gewalt und Gerichtsprozessen gegen Regimekritiker kein Zufall. Denn auch die Gesetze des von Islamisten dominierten provisorischen Parlaments, bei dessen Wahl weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, sind ähnlich repressiv.
"Was in diesen Tagen in Kairo passiert, hat System. Die ägyptische Regierung ist in Eile. Im Parlament peitschten sie ein neues Demonstrationsrecht durch, das nicht-islamistische Demonstranten davon abhalten soll, auf die Straße zu gehen", sagt Tareq Zaghloul Asran.
Das Gesetz erschwert die Genehmigung von Demonstrationen. Auch andere noch in der Diskussion befindliche Gesetzesvorhaben richten sich eindeutig gegen Regimekritiker. Tareq Zaghloul ist der Meinung, dass die Regierung versucht, diese Gesetze noch vor der Wahl des neuen Parlaments zu verabschieden.
Matthias Sailer
© Deutsche Welle 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de