Auf den Spuren der klassischen arabischen Musik

Das vom Franzosen Julien Weiß gegründete Ensemble Al-Kindi hat sich ganz der klassischen arabischen Kammermusik verschrieben und vereint arabisch-andalusische, türkische sowie iranische Einflüsse. Von Suleman Taufiq

Von Suleman Taufiq

​​Es gibt inzwischen viele Musiker in Europa und in Amerika, die versuchen, Elemente aus der orientalischen Musik in ihre Kompositionen mit aufzunehmen, aber ihre Musik bleibt im Kern der europäischen Musiktradition verhaftet. Der Franzose Julien Weiss dagegen wandte sich der klassischen arabischen Musik ausschließlich zu.

Arabische Musik ist nicht nur Folklore

1976 besuchte er zufällig ein Konzert des irakischen Oud-Virtuosen Munir Bashir in Paris. Es wurde zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Denn an diesem Abend hörte er zum ersten Mal klassische arabische Musik und entwickelte eine tiefe Zuneigung zu ihr. Er spürte, wie er später einmal sagte, "dass arabische Musik nicht nur aus Folklore besteht, sondern ein hohes musikalisches Niveau hat, zum Beispiel mit ihrem Maqam-Prinzip." So entwickelte sich bei ihm der Wunsch, diese Musik zu erlernen.

Foto: &copy Ensemble Al-Kindi Website
Der klassischen orientalischen Musiktradition und Mystik verpflichtet - das Ensemble Al-Kindi

Er begann, den arabisch-türkischen Raum zu bereisen - Kairo, Tunis, Istanbul, Beirut und Bagdad-, um die reiche und vielfältige musikalische Tradition dieser Region zu studieren und gleichzeitig das Spiel auf dem Qanoun bei verschiedenen Meistern zu erlernen.

Spielkunst auf der Quer-Harfe Qanoun

Anfangs beschäftigte er sich mit der Oud, der arabischen Langhalslaute, aber sein Hauptinteresse galt von Anfang an der Qanoun. Er entschied sich schließlich für den Qanoun, weil es in Europa damals noch niemanden gab, der dieses Instrument professionell spielte. So musste er bei Null anfangen: Die Technik, die er vorher bereits für die klassische Gitarre gelernt hatte, konnte er nicht verwenden. Aber mittlerweile genießt er Respekt auch unter arabischen Musikern.

Der Qanoun ist ein fester Bestandteil fast jedes klassischen arabischen Ensembles, des Al-Tacht. Das Instrument ähnelt einer Zither und besitzt 78 Saiten. Es verfügt jedoch über verschiebbare Stege, die es erlauben, zahlreiche Mikrointervalle zu erzeugen. In der europäischen Musik ist der Halbtonschritt das kleinstmögliche Intervall. Anders in der arabischen Musik, wo noch viel kleinere Tonintervalle möglich sind. Das ist es, was den typischen Klang der arabischen Musik für westliche Ohren ausmacht. Beim Spiel liegt der Qanoun horizontal auf dem Schoß des Musikers oder auf einem kleinen Tisch. Der Künstler zupft es mit zwei Plektren, die an Ringen befestigt und auf den rechten und den linken Zeigefinger aufgesteckt werden.

Al-Kindi - Musiktheoretiker der Araber

1983 gründete Julien Weiss die Gruppe Al-Kindi in Paris. Der Name des Ensembles ist programmatisch gedacht: Al-Kindi gilt als einer der wichtigsten mittelalterlichen Musiktheoretiker der Araber. Sein Interesse galt vornehmlich der Übertragung griechischer Ideen aus der klassischen Philosophietradition in die arabische Welt. Er beschäftigte sich mit der Theorie der Zahlenverhältnisse und ihrer Verbindungen zum Makrokosmos. Vieles hat in der späteren europäischen Metaphysik der Musik ihren Ausdruck gefunden.

Al-Kindi vereinigte so in seiner Person eine Epoche gegenseitiger kultureller Befruchtung, die durch den Austausch persischer, syrischer, indischer und griechischer Elemente zustande kam. Das Ensemble Al-Kindi ist von demselben Geist inspiriert und darum bemüht, arabisch-andalusische, orientalische, türkische und iranische Einflüsse in der Musik zu erforschen und in ihren Konzerten zu verarbeiten. Das Ziel der Gruppe war von Anfang an die Interpretation von Musikstücken auf hohem Niveau. Das Ensemble wollte sich ein Repertoire aus der gesamten arabischen Welt aneignen - und zwar ein ausschließlich klassisches Repertoire, wie es auch hier in Europa gespielt wird.

Absage an moderne Weltmusiktrends

Julien Weiss wollte mit seinem Ensemble zeigen, welche Bedeutung die arabische Musik heute hat. Er sagte: "Weil die klassische Musik sehr wichtig und sehr vielfältig ist, lohnt es sich über sie zu forschen, denn es ist eine wunderschöne Welt. Ich mag die moderne Mischung in der modernen Musik nicht so gerne. Ich finde, es ist heute sehr einfach, World-Musik zu machen. Aber das ist keine seriöse Musik; ein bisschen Laute, ein bisschen Synthesizer und ein bisschen Schlagzeug, das ist alles."

Weiss glaubt, dass man dadurch die Musik letzten Endes nicht ernsthaft kennen lernt. Er habe dagegen die arabische Musik im Original ernsthaft gelernt: "Ich mache Musik ohne Mischung mit Gitarre oder mit mittelalterlicher Musik und auch ohne Flamenco. Ich arbeite besonders an dem Maqam und vor allem an der Theorie des Vierteltons. Mich interessieren die kleinen Intervalle. Diese kleinen Nuancen sind bei der Musik am wichtigsten." Am Anfang bestand die Gruppe nur aus drei Instrumentalisten. Der ägyptische Tar- und Riqq-Spieler Adel Schams Eldin. Er gehört mit Julien Weiss zu den Gründern der Gruppe Al-Kindi. Er lebt heute in Paris und verfügt über eine breite Kenntnis der komplizierten asymmetrischen Rhythmen der arabischen Musik.

Der dritte ist der syrische Nay-Spieler Ziad Kadhi Amin. Er ist ein Schüler Doyen der syrischen Nay-Spieler Abdelsalam Safer. Am Anfang spielte das Ensemble nur Instrumentalstücke. Die Idee mit einer kleinen Besetzung zu spielen, sollte die einzelnen Instrumente zur Geltung kommen lassen. Die Einzelmitglieder der Gruppe spielten wie drei Solisten. Bei arabischen klassischen Orchestern hört man normalerweise die einzelnen Instrumente nicht mehr. Ihre Art zu spielen ähnelte damals kleinen iranischen Orchestern, im Gegensatz zu den großen arabischen Orchestern.

Verbindungen zu Syriens Sufi-Gemeinschaft

Später hat sich Julien Weiss dazu entschlossen, die Gruppe zu erweitern. Er reiste nach Syrien und lernte dort Sheikh Hamza Shakour kennen, einen bekannten Sänger der klassischen Musik. Er gehört zur traditionellen Gesangsschule in Damaskus und ist dort Oberhaupt der Sufi-Gemeinschaft der "drehenden Derwische". Seine Gesänge stammen aus dem arabisch- andalusischen Raum und enthalten sowohl religiöse, als auch weltliche Themen. Er besitzt nicht nur sängerisches Talent, sondern auch eine kräftige, klangvolle und umfangreiche Stimme, die in der Lage ist, einen Gegenpart zum Orchester darzustellen und den ganzen Raum auszufüllen. Er beherrscht die Gesetzmäßigkeiten des arabischen, gefühlsbetonten Gesangs, Tarab genannt, wie nur ganz wenige.

1986 konvertierte Julien Weiss zum Islam und nennt sich seitdem Julien Jajal Eddine Weiss, genannt nach dem großen Sufi-Meister und Poeten Jalal EdinRumi. Schließlich ließ er sich in der Altstadt von Aleppo in der Nähe des Bab Qenisrine in einem Mamluken Palast aus dem 14. Jahrhundert nieder. Er wählte Aleppo, weil die Stadt im Norden von Syrien eine eigene musikalische Atmosphäre und eine so reiche musikalische Tradition hat, dass ihr Einfluss weit über die Grenzen hinaus wirksam wurde.

Dort entstand die Zusammenarbeit zwischen ihm und vielen Sängern der klassischen Musik aus dem Irak und aus Syrien, wie mit Adib Dayikh, Hamza Shakour und mit dem tunesischen Sänger und Musiker Lotfi Bouchnak. In Aleppo realisierte er verschiede Projekte. Mit dem Sänger Omar Sarmini produzierte er zwei CDs mit dem Titel "Die Kreuzzüge aus der Sicht des Orients".

Julien Weiss bedient sich hier der klassischen Musikform "Wassla". Sie ähnelt der klassischen Suite, die in Aleppo auch heute noch gespielt wird. Dabei hat er seiner Vorliebe für die zeitlose Kunst der Qassida freien Lauf gelassen.

Suleman Taufiq

© Qantara.de 2005

Diskographie (Auswahl): - Musique Classique Arabe, Ethnic (B 6735) Auvidis 1989 - Sufi Songs aus Damaskus, Finac (662294-WM332) 1993 - Les Derviches Tourneurs. Le Chante du Monde /Harmonia mundi 2 CDHM 76X2) 1999 - Les Croisades Sous le regard de l’Orient, Le Chante du Monde 5741118 .19 2001/Harmonia mundi 2 CDs) - ENSEMBLE AL KINDI & SHEIKH HABBOUSH Transe Soufie d'Alep 2003 (Chant du Monde 57412 51.52/Harmonia Mundi 2 CD)