Musikalischer Brückenschlag zwischen den Kulturen

Beim diesjährigen Internationalen Musikfestival in Istanbul präsentierten das multinationale Ensemble Sarband und die Gruppe Concerto Köln ihr gemeinsames Programm "Dream of the Orient".

Von Susanne Güsten

​​Wenn sufistische Derwische zu den Klängen eines Kölner Klassik-Orchesters unter dem Kreuz in der Kuppel der Hagia Irene in Istanbul wirbeln, dann ist es dem Ensemble Sarband wieder einmal gelungen: Kulturelle Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen, ist das erklärte Ziel des multinationalen Musiker-Ensembles, dessen gemeinsamer Auftritt mit Concerto Köln einen Höhepunkt beim diesjährigen Internationalen Musikfestival von Istanbul darstellte.

Dass das multi-nationale Publikum in der Hagia Irene schon bald nicht mehr recht wusste, wo die westliche Komposition aufhörte und wo die östliche Musik begann, und deshalb mitten in eine Atempause hinein applaudierte, passt ebenfalls in das Konzept von Sarband: "Wir wollen Kulturen miteinander konfrontieren", sagt Vladimir Ivanoff, Gründer und Leiter von Sarband.

"Dream of the Orient" heißt das Programm, mit dem Sarband und Concerto Köln die türkischen Einflüsse auf die europäische Musik des 18. Jahrhunderts demonstrieren. Den westlichen Part übernimmt dabei Concerto Köln mit türkisch inspirierten Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Christoph Willibald Gluck und Franz Xaver Süssmayr.

Die türkischen Einflüsse demonstriert Sarband in seiner türkischen Besetzung, die aus vier renommierten türkischen Musikern und Ivanoff selbst besteht. Teils musiziert Saraband dabei zusammen mit dem westlichen Orchester und reichert die europäischen Kompositionen mit türkischen Instrumenten an; dazwischen führt das Ensemble die Werke der türkischen klassischen Musik auf, die die europäischen Komponisten inspirierten; und teils kontrastiert das Ensemble die Orient-Klischees klassischer Komponisten mit der Wirklichkeit orientalischer Musik - ein heiterer Höhepunkt des Programms.

"Fremder geht es gar nicht"

Wie dieser Brückenschlag vom Publikum rezipiert wird, das hängt vollkommen davon ab, wo das Programm gerade aufgeführt wird, sagt Vladimir Ivanoff. Im westlichen Kulturbereich etwa ist das Publikum mit dem europäischen Teil des Programms bestens vertraut; die türkisierende Ouvertüre zu Mozarts "Entführung aus dem Serail" zum Beispiel ist "für das klassische Publikum ein Schlager", wie Ivanoff sagt.

Die Darbietungen der türkischen klassischen Musik werden hier als extrem exotisch empfunden - "fremder geht es gar nicht", hat Ivanoff beobachtet. "Für ein Berliner Publikum etwa eröffnet die klassische türkische Musik ganz neue Welten" - und die Erkenntnis, dass türkische, syrische oder irakische Musik "nicht Sezen Aksu und Döner-Pop ist, sondern Hochkultur".

In der Türkei und der arabischen Welt dagegen sind dem Publikum meist beide Elemente bekannt, wenn auch nicht in dieser Verbindung. Die klassische Musik des Osmanischen Reiches lebt dort fort, und auch mit westlicher Klassik sind Konzertbesucher vertraut.

Elf Musiker in sechs Ländern

Vielleicht genau deshalb ist der Trend zum Crossover, der Sarband in Europa reüssieren lässt, in diesem Kulturbereich kein Thema; auch die europäische Faszination mit alter Musik ist angesichts einer seit dem 15. Jahrhundert ungebrochenen Musiktradition im türkischen und arabischen Kulturraum nicht vorhanden.

Dafür schöpft das östliche Publikum viel Selbstbewusstsein aus dem Programm "Dream of the Orient", wie Ivanoff beobachtet hat: "Dass fünf türkische Musiker mit einem 29 Mann starken westlichen Orchester mithalten können, und dass Mozart auch nicht toller ist als Dede Efendi - das macht die Zuhörer stolz."

"Dream of the Orient" ist nur eine der Brücken, die Sarband zwischen den Kulturen schlägt, und das türkische Quintett nicht die einzige Besetzung des Ensembles. Insgesamt elf Musiker in sechs Ländern gehören derzeit zu Sarband, darunter eine schwedische und eine arabische Sängerin und zwei Italiener. Zusammen mit den englischen "King's Singers" hat das Ensemble gerade eine Sammlung von jüdischen, christlichen und muslimischen Vertonungen des Genfer Psalters und anderer Psalmen aufgenommen.

"Die Psalter sind der kleinste gemeinsame Nenner aller drei Buchreligionen", sagt Ivanoff. Wie sie in den verschiedenen Religionen jeweils vertont wurden, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, demonstriert das neue Programm, das unter dem Titel "Sacred Bridges" auf Tournee geht. "Son of the Sheik", ein
weiteres Programm, veräppelt mit türkischen Instrumenten die
orientalistischen Klischees im gleichnamigen Stummfilm mit Rudolpho Valentino.

Von Amateuren zu Profis

Hervorgegangen ist Sarband aus einem Studenten-Ensemble für mittelalterliche Musik, das der Musikwissenschaftler Ivanoff 1986 an der Uni München mit persischen, türkischen und arabischen Kommilitonen gründete. "Die spielten mittelalterliche Musik einfach besser als westliche Musiker, weil sie das Gefühl für Einstimmigkeit haben und improvisieren können", erinnert sich Ivanoff.

Zum europäisch-orientalischen Ensemble wandelte sich die Gruppe, als den Berliner Festspielen anlässlich der Orient-Okzident-Ausstellung in Berlin 1989 auffiel, dass es in ganz Deutschland kein musikalisches Äquivalent zu der Exposition gab. Ivanoff erhielt von den Festspielen den Auftrag für drei Programme, die sofort zu Hits und auch zu CDs wurden - und ist seither mit Sarband hauptberuflich unterwegs.

"Dass wir Profis geworden waren, haben wir selbst erst nach ein paar Jahren gemerkt", sagt Ivanoff, der seine Habilitationsschrift inzwischen zur Seite gelegt hat. "Ich könnte mich auch Reisebüro Ivanoff nennen", scherzt der bulgarisch-stämmige Münchner: Wenn er gerade nicht mit dem Ensemble tourt, ist der 48-Jährige acht Stunden am Tag damit beschäftigt, Visa-Anträge zu stellen und Flüge zu buchen, um seine über ein halbes Dutzend Länder verstreuten Musiker zu Proben und Tourneen zusammenzubringen.

Susanne Güsten

© Qantara.de 2005

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