Gefahren dürfen nicht verharmlost werden

Der ehemalige Staatssekretär Chrobog ist mit seiner Familie entführt worden. Im von Stammestraditionen geprägten Jemen kommen Entführungen von Ausländern durchaus vor, aus unterschiedlichen Hintergründen.

Von Peter Philipp

Entführungen von Ausländern haben im Jemen Tradition: In den letzten 15 Jahren sind über 200 Ausländer entführt und vorübergehend festgehalten worden, meistens Touristen. Der letzte Fall ereignete sich in der vergangenen Woche, als zwei Österreicher gekidnappt wurden, um einige Inhaftierte freizupressen.

Sie kamen zu Heiligabend frei. Die jüngste Entführung des ehemaligen deutschen Staatsministers Jürgen Chrobog und seiner Familie könnte ein ähnliches Motiv haben: Auch hier soll angeblich die Freilassung von einem oder mehreren Inhaftierten das Motiv sein. Chrobog war unter der rot-grünen Regierung im Auswärtigen Amt tätig. Der Diplomat hatte unter anderem 2003 selbst in einem Entführungsfall verhandelt und die Freilassung von 14 Sahara-Urlaubern erwirkt. Jetzt ist er selbst Opfer geworden.

Nervenaufreibende Verhandlungen

Die Entführungen im Jemen gehen in der Regel auf das Konto verschiedener regionaler Stämme, die die Zentralregierung hiermit unter Druck setzen wollen. Oft sind schon sehr bald nach der Entführung die näheren Umstände bekannt, auch der Aufenthaltsort der Geiseln, aber es dauert bisweilen dann doch Tage und Wochen, bis diese wieder frei kommen.

Hierzu sind manchmal komplizierte Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und den Stämmen nötig, in der Vergangenheit schaltete sich bei Entführungen deutscher Staatsangehöriger auch die damalige Botschafterin, Helga Gräfin Strachwitz, ein.

Die versierte Diplomatin und Jemen-Kennerin wurde sogar noch nach ihrer Versetzung aus dem Jemen dorthin zurückgeschickt, um an den Verhandlungen zur Freilassung eines deutschen Diplomaten teilzunehmen. Der damalige Handelsattache Reiner Berns war im September 2001 erst nach zweimonatigen nervenaufreibenden Verhandlungen freigelassen worden.

Strachwitz, heute Botschafterin in Äthiopien, hat während ihrer Zeit im Jemen die Entführungen zwar nie verharmlost. Aber sie hat immer darauf hingewiesen, dass man diese nicht vergleichen könne mit Entführungen anderswo. In der Regel endeten die Entführungen auch unblutig.

Entführungen dürfen nicht verharmlost werden

Nur Ende 1998 kamen drei Briten und ein Australier bei einer Befreiungsaktion durch die Sicherheitskräfte ums Leben. Um solches zu vermeiden, geben die Behörden den Forderungen der Entführer meistens nach: Es wird eine geforderte Straße gebaut oder eine Schule, oder es wird ein Stammesangehöriger freigelassen.

Manchmal begnügen die Entführer sich auch mit den Geländewagen ihrer Geiseln. Eine Taktik, die im Jemen historisch Tradition hat: Die Stämme forderten Wegzoll und erzwangen immer schon durch befristete Geiselnahme Zugeständnisse anderer Stämme oder der jeweiligen Regierungen.

Weil der Jemen allerdings auch das Herkunftsland des Bin Laden-Clans ist (der von dort nach Saudi-Arabien zog), und weil sich im Jemen Angehörige und Sympathisanten von "Al Qaida" zurückgezogen haben, dürfen Entführungen in diesem Land allerdings nicht immer als
einfach lösbar betrachtet werden.

Es besteht durchaus die konkrete Gefahr, dass islamistische Extremisten auch im Jemen aktiv werden - wie sie es in Saudi-Arabien bereits waren -, und dann dürften solche Entführungen nicht mehr so glimpflich ausgehen wie bisher.

Der deutsche Tourismus in den Jemen hat deswegen in den letzten Jahren stark nachgelassen. Das Auswärtige Amt empfiehlt, nur mit anerkannten Reiseveranstaltern in den Jemen zu fahren und nicht auf eigene Faust. Auch solch ein Rat schützt freilich nicht immer.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005