Ein Damaszener in Berlin
Das Glück hatte mir zugelächelt: Ich hatte ein Stipendium erhalten, um in Deutschland, genauer gesagt, in der Hauptstadt Berlin, an einem Weiterbildungskurs für professionelle Journalisten teilzunehmen.
Es war meine erste Reise in ein europäisches Land und das erste Mal, dass ich mich auf Englisch verständigen musste. Am Flughafen nahm ich mir ein Taxi. Ich gab dem Fahrer eine Adresse, die er sogleich in sein Navigationssystem eintippte und das ihm daraufhin per Ton und Bild den schnellsten und kürzesten Weg zum Ziel wies. Dort angekommen, überreichte mir der Fahrer sogleich eine Rechnung.
Unwillkürlich verglich ich mit meiner Heimat: Sobald ein Besucher bei uns auch nur den Boden des Flughafens betritt, versuchen alle um ihn herum, ihm etwas wegzunehmen: Das beginnt beim Gepäckträger in der Flughafenhalle, der ihm die Koffer beinahe unter der Nase wegschnappt, und setzt sich über den Taxifahrer fort bis hin zum Hotelbesitzer.
Egal, ich konnte es jedenfalls kaum fassen, in Deutschland zu sein. Es war schon immer mein Traum gewesen, im Land Nietzsches, Goethes und Karl Marx mein Studium fortzusetzen.
Nachdem ich mein Gepäck in mein Appartement gebracht hatte, wollte ich die Gegend erkunden. Berlin war genau so, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte: Die Straßen, die Bürgersteige, die Gebäude, die Bäume – alles von unglaublicher Schönheit und nach Parfum und Sauberkeit duftend. Ich lief so lange umher, bis ich ermüdete und seufzend, voller Bedauern, erstaunt und ganz benommen in mein Appartement zurückkehrte.
Ich war einer von 22 Teilnehmern einer Gruppe, die aus aller Herren Länder kamen: aus China, Vietnam, den Philippinen, Kenia, Niger, Sambia.
Ich war der erste Araber, dem sie je begegnet waren. Keiner von ihnen wusste genau, wo Syrien im Nahen Osten liegt. Über den Islam kannten sie nichts außer "Allahu akbar" und al-Sarkawi, sie wussten von Enthauptungen und dass derjenige, der die Kaaba besucht, "Hajji" genannt wird. Aber sie hatten noch nie von arabischen oder muslimischen Gelehrten und Literaten gehört, von Beginn des Islam an bis heute.
Ich danke ganz herzlich den arabischen Medien und den Botschaften überall auf der Welt und dem Ministerium für Exilsyrer, die unablässig unsere gerechte Sache und unseren Standpunkt zu allen möglichen Ereignissen und Entwicklungen auf der Welt erklären!
In Deutschland dreht sich das Gespräch außerhalb der Arbeitszeit um die Kunst, das Wetter und die Liebe. Die Menschen überlassen es den staatlichen Institutionen, ökonomische und politische Sachverhalte zu untersuchen, während sie selbst einer produktiven Arbeit nachgehen und das Leben genießen.
Bei uns hingegen diskutiert ein jeder über Politik und Wirtschaft. Die Menschen überschlagen sich förmlich dabei, brennende Probleme zu analysieren und endgültige Lösungen dafür zu finden. Sie gehen keiner sinnvollen Beschäftigung nach und genießen das Leben nicht.
Korruption und Wirkungslosigkeit unserer öffentlichen Institutionen haben das ganze Volk zu Experten der Außen- und Innenpolitik sowie der Wirtschaft gemacht.
Dabei ist dieses Volk nicht in der Lage, seinen Haus- noch seinen Industriemüll zu entsorgen; man respektiert die Gesetze nicht; man raucht an öffentlichen Plätzen und in Bussen; man fällt Bäume und brennt Wälder ab; man verunreinigt Flüsse und Seen; man spuckt auf Treppen und pinkelt gegen öffentliche Wände.
Auf den Straßen und zuhause herrscht unablässiges Geschrei und Gezeter. Die Menschen beschimpfen sich, schelten sich, prügeln sich in den Schulen. In den Universitäten und am Arbeitsplatz ist man korrupt oder wird bestochen, in der Armee muss man sich ducken. Aber jeder ist stets bereit, stundenlang aus dem Stegreif den Stammbaum der eigenen Familie oder die Beziehung zu irgendeinem hohen Tier zu erläutern.
In Deutschland hingegen wissen die Bewohner meist noch nicht einmal, dass ihr Stadtparlamentarier vielleicht ihr Nachbar ist.
Als ich wieder heimatlichen Boden betrat, wurde ich, kaum willkommen geheißen, von meinen Kollegen mit einem süffisanten Lächeln nach meinen Eindrücken von der Reise gefragt. Ich erläuterte ihnen, dass Berlin - kurz gesagt - eine Einladung sei für all jene, denen der Eintritt ins Paradies nicht vergönnt ist, dass allein der Anblick einen richtig neidisch werden lasse, aber ebenso frustriere:
Ein Volk, das liest anstatt zu reden, das lacht und liebt, grenzenlos glaubwürdig ist und die Ehrlichen schäzt, das die Gesetze respektiert, anstatt gegen sie zu verstoßen, das ohne Sorge und Furcht ein entspanntes Leben führt.
Und dann habe ich noch hinzugefügt, wie sehr ich mich danach gesehnt hatte, den Deutschen ins Gesicht zu schreien:
Ich komme aus der arabischen Welt, der Welt des Protestes, der Standhaftigkeit, der Konfrontation, des strategischen Gleichgewichts, des Kampfes und der Auflehnung. Der Welt der arabischen Solidarität und der arabischen Einheit, des Fortschritts, der Modernisierung und der Bekämpfung der Korruption. Dort, wo die Posten mit geeigneten Männern besetzt werden, der Welt der Tüchtigkeit, der Redlichkeit, der nationalen Einheit und der Chancengleichheit.
Es wäre natürlich ein Leichtes für mich gewesen, meinen Kollegen das zu berichten, was sie hören wollten: Erzählungen über erotische Abenteuer und durchfeierte Nächte in einschlägigen Etablissements und Bars. Und dass die Frauen in Deutschland wie Blumen seien in einem Park: Man müsse sie nur wählen, an ihnen riechen und sie pflücken.
Vielleicht habe ich jetzt ein bisschen weit ausgeholt, aber bitte nehmen Sie sich noch ein wenig Zeit, um die Geschichte zu lesen, die mir ein in Berlin lebender Syrer erzählt hat:
Als der ehemalige Botschafter Syriens in Deutschland sein Amt antrat, überließ ihm die Berliner Stadtverwaltung eine kleine Villa mitten im alten Stadtzentrum als Botschaftssitz. Als der Botschafter keinen Parkplatz für seinen Wagen fand, befahl er einem Botschaftsmitarbeiter, den Baum vor dem Dienstsitz - größer als das Gebäude selbst und älter als die Unabhängigkeit seines Landes - zu fällen. Nun konnte er sein Auto parken.
So sind sie, die Araber! Ob in ihrer Heimat oder im Ausland - ihre Parolen geben Anlass zur Hoffnung, doch ihre Taten sind enttäuschend.
Nawar al-Maghout
© Nawar al-Maghout / Qantara.de 2006
Aus dem Arabischen von Helene Adjouri
Qantara.de
Erfahrungen im Dialog
"Hello, Kifak, Ça va?"
Im Rahmen eines Journalistenaustauschs verbrachte der Berliner Jan Oberländer vier Wochen in der libanesischen Hauptstadt Beirut – und war überrascht von der Gleichzeitigkeit von Orient und Okzident. Einige Schnappschüsse
Austausch arabischer und deutscher Kulturjournalisten
Kritisches Feuilleton gleich demokratisches Bewusstsein?
"Living Globality" – dieses Begegnungsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung möchte Kulturjournalisten aus Europa und der arabischen Welt ermöglichen, ihre Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Martina Sabra hat mit Machern und Teilnehmern gesprochen.