Experiment Begegnung
Am Mittwoch, den 27. September, fand in Berlin auf Initiative des Bundesinnenministeriums die erste deutsche Islam-Konferenz statt. Diese war längst überfällig, doch solange die Gewaltfrage im Vordergrund steht, kann kein gleichberechtigter Dialog stattfinden, meint Ülger Polat in ihrem Kommentar.
Unter den dreißig geladenen Teilnehmern der ersten deutschen Islamkonferenz befanden sich auf deutscher Seite politische Vertreter aus Bund und Ländern und auf muslimischer Seite fünf Repräsentanten der wichtigsten muslimischen Verbände sowie zehn unabhängige Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens, aus Politik, Kultur, Medien und Wirtschaft.
Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Erwartungen aus, die in diesen auf einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren hin angelegten Dialog zwischen deutschem Staat und Muslimen in Deutschland gesetzt werden.
Thema innere Sicherheit
Von deutscher Seite erhofft sich etwa Bundesinnenminister Schäuble eine verbesserte religiöse und gesellschaftspolitische Integration der muslimischen Bevölkerung in Deutschland. Im Zentrum der Konferenz stehe das Verhältnis der Muslime zur deutschen Gesellschaft, den demokratischen Grundwerten und zu der Rolle der Frau im Islam.
Sechs Mal im Jahr sollen Arbeitsgruppen tagen und mit Vertretern der muslimischen Verbände beispielsweise Konzepte für einen Islamunterricht an deutschen Schulen oder für eine Verpflichtung von muslimischen Schülerinnen zum Sport- bzw. Schwimmunterricht erarbeiten.
Einen weiteren Schwerpunkt solle die Ausbildung von Imamen in Deutschland bilden. Auch die innere Sicherheit und der Terrorismus sollen in den Erörterungen nicht zu kurz kommen.
Sowohl der bayerische Innenminister Günter Beckstein als auch Bundesinnenminister Schäuble stimmen darin überein, dass das Ziel dieses Treffen ein Beitrag zu mehr innerer Sicherheit sei.
So erwarte man von den Muslimen, dass sie sich von Gewalt und Terror in aller Öffentlichkeit entschieden distanzieren und Kenntnisse über gewaltbereite Mitglieder ihrer Gemeinden und Verbände umgehend den deutschen Behörden melden. Mit entsprechenden präventiven Maßnahmen könne unter Mithilfe der Muslime islamistischer Terror wirksam bekämpft werden.
Demgegenüber erhoffen sich muslimische Verbände, dass der Islam in Deutschland endgültig als gleichberechtigte Religion neben anderen Religionen anerkannt und innerhalb der deutschen Gesellschaft verankert werden kann. Ebenso möchten sie eine kontinuierliche Annäherung durch einen fortgesetzten Dialog mit Staat und Gesellschaft in Deutschland erwirken.
Ein von Angst besetzte Sichtweise
Die Initiative zu dieser Islam-Konferenz ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies ist auch nach der Begegnung unter allen Teilnehmenden allgemeiner Tenor. Dennoch werfen gerade die im Vorfeld der Konferenz gesetzten Prämissen ein Licht auf die Art und Weise, wie Begegnung hier vollzogen wird und welche Ziele mit ihr verbunden sind.
Auch wenn Schäuble zu Beginn der Konferenz deutliche Worte gegen einen Generalverdacht gegen Muslime findet, offenbaren gerade die geäußerten Erwartungen an den Dialog, wie stark immer noch vorgeprägte Vorstellungen und höchst emotional aufgeladene Themenfelder wie die Stellung der Frau im Islam oder die mögliche Gewaltbereitschaft von Muslimen das Gespräch beherrschen.
Von deutscher Seite erscheint der Dialog vorwiegend durch das Bedürfnis nach Sicherheit motiviert, wobei ein möglicher Unsicherheitsfaktor eben bei den Muslimen in Deutschland gesehen wird. Entsprechend forderte Beckstein zu Beginn der Konferenz, "Muslime sollten sich eindeutig von denen absetzen, die die Menschen in Deutschland in Angst und Schrecken versetzen".
Aber setzt nicht bereits diese Angst besetzte Sichtweise Hindernisse für eine nachhaltige Begegnung von Muslimen und Deutschen, die man eben noch vorgab zu suchen? An Muslime wird hier die Forderung gestellt, indem sie potentiell mit Gewalt und Terrorismus in Verbindung gebracht werden, ein Gefühl von Unsicherheit innerhalb der deutschen Gesellschaft zu minimieren.
Die Frage stellt sich hier, ob dies überhaupt möglich ist, solange derartige Bilder von Gewaltszenarien, die mit muslimischer Lebenskultur verknüpft werden, die Gespräche motivieren.
Mehrheit der Muslime nicht organisiert
Wie stark diese Vorstellungen wirken, offenbart sich auch in der Wahl der Ansprechpartner, die man sich für die Konferenz etwa mit Necla Kelek und Seyran Ates wählte, welche nicht, wie von den muslimischen Verbänden im Vorfeld kritisiert, aus einer Erfahrung des islamischen Lebensalltags von innen heraus sprechen, sondern in Vorträgen und Publikationen eben gerade das Unsicherheitsgefühl einer deutschen Mittelschicht bedienen.
Schnell zeigt sich, dass die so verdienstvolle Initiative zum intensiveren Dialog mit Muslimen in Deutschland ein Aufmerken notwendig macht, in welcher Art der Dialog eigentlich geführt wird.
Gelingt dieser Dialog ohne vorauseilende Zuschreibungen, wird sich unmittelbar die Herausforderung stellen, wie er sich auf viele Lebensbereiche, in denen sich Muslime und Deutsche begegnen, ausdehnen lässt.
Denn es sollte klar gestellt werden, dass eine große Mehrheit der Muslime in Deutschland keinem der islamischen Verbände angehört und dennoch in ein religiöses Leben eingebunden ist, ohne durch ein Gremium bei der Islamkonferenz vertreten zu sein.
Gleichwohl wird die Qualität der Begegnung von Deutschen und Muslimen darüber entscheiden, ob ein Gefühl von Loyalität oder sogar Zusammengehörigkeit entstehen kann.
Die Islamkonferenz steht noch in ihren Anfängen. Ihr Erfolg wird sich darin zeigen, inwieweit das Zusammenleben zwischen Muslimen und Deutschen friedlich und konstruktiv gestaltet werden kann.
Ülger Polat
© Qantara.de 2006
Dr. Ülger Polat ist Migrationsforscherin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hamburg
Qantara.de
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