Medizin gegen Misstrauen?


Es klingt, als solle der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen jetzt richten, was die Politik in der Integration versäumt hat. Der Dialog wird beschwört wie ein Mantra, um die allgemeine Ratlosigkeit zu überdecken. In einer gesellschaftlichen Situation mit wachsenden rechtspopulistischen Tendenzen und zunehmenden Ressentiments gegen Muslime bis weit in die bürgerliche Mittelschicht greift man nach jedem Strohhalm.
Oder handelt es sich beim interreligiösen Dialog eher um ein Programm, um Muslime regierbarer zu machen, wie Jamal Malik, Islamwissenschaftler von der Universität Erfurt, kritisch anmerkte? Malik sieht die Gefahr, dass der "Dialog mit Disziplinierung und Sicherheitsinteressen vermengt" wird.
Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte an der Universität Nürnberg-Erlangen, hält den Dialog zwischen Christen und Muslimen in dieser Situation dagegen für essentiell: "Wir brauchen den Dialog als Gegenhalt gegen wachsendes anti-islamisches Misstrauen", sagte Bielefeldt.
Die Sarrazin-Debatte habe gerade einen "Blick in den Abgrund" offenbart. "Umfragen zeigen, dass es eine Menge Vorbehalte gegenüber Muslimen gibt, nicht nur Skepsis, Unbehagen sondern auch massive Ressentiments manchmal sogar Rassismus. Da ist es wichtig, dass es Kräfte gibt, die dagegen halten".
Angebote in der Integrationsarbeit
Interreligiöser Dialog spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab. Der Koordinierungsrat Christlich-Islamischer Dialog zählt bundesweit rund 170 Initiativen, die vielfach ehrenamtlich arbeiten. Es gibt zwischenmenschliche, spirituelle und theologische Angebote. Weniger ausgeprägt ist noch das gemeinsame gesellschaftliche Engagement.

Der Christlich-Islamische Kreis Stuttgart-Echterdingen will zum Beispiel mehr zwischenmenschliche Kontakte schaffen. Um intellektuelle Debatten geht es dagegen im "Theologischen Forum Christentum-Islam". Die "Brücke" (türkisch: Köprü) in Nürnberg setzt auf spirituellen Austausch und lädt Gläubige zum gemeinsamen Beten und Feiern ein.
Ein Kölner Projekt der Christlich-Islamischen Gesellschaft (CIG) setzt auf mehr Teilhabe an der Gesellschaft und öffentliche Sichtbarkeit des Islam. In Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden und christlichen Kirchen bietet die CIG einen Ausbildungskurs für islamische Notfallbegleiter an. Sie stehen Angehörigen und Hinterbliebenen in Extremsituationen nach plötzlichen Todesfällen oder schweren Unfällen bei.
Bis jetzt gab es eine derartige Ausbildung nur für christliche Seelsorger. Die Nachfrage für den ersten Qualifikationskurs war wesentlich höher als angenommen. Für 40 Plätze im Kurs meldeten sich rund hundert Teilnehmer. Das Projekt zeige, "wo es Angebote gibt, werden sie auch angenommen", sagt Thomas Lemmen von der Christlich-Islamischen Gesellschaft in Köln. "Das kommt in der Integrationsdebatte zu kurz".
Viele offene Fragen
Der häufig geäußerte Vorwurf der Naivität und Blauäugigkeit im Dialog ist heute überholt. Kontroverse Fragen beispielsweise zum Verhältnis von Islam und Gewalt können zumindest an der Basis diskutiert werden, ohne dass die Partner sich aus dem Dialog zurück ziehen.
Schwierig wird es erst dann, wenn sich Kirchenleitungen und islamische Verbände wie der Zentralrat der Muslime einmischen. Allerdings macht sich dabei auch eine gewisse Asymmetrie bemerkbar, denn die Muslime verhalten sich defensiver und stellen wenige dezidiert kritischen Anfragen an die christlichen Partner. Hier macht sich ihre Position als gesellschaftliche Minderheit bemerkbar.
Die Betreiber des Dialogs dürfen sich ihre Agenda nicht von den Schlagworten in der Integrationsdebatte bestimmen lassen, damit sie glaubwürdig bleiben. Sie sollten der "Vermischung von Integration mit Religion nicht auf den Leim gehen" warnt Heiner Bielefeldt.
Am Ende bleiben noch viele Fragen. Wer soll angesichts der vielfältigen Strömungen und Verbände im Islam in den Dialog eingebunden werden? Was kann die vielen Einzelprojekte verbinden? Es fehlt noch eine gemeinsame Zielrichtung.
Das gegenseitige Verstehen hat seine Grenzen; es gibt Frustrationen und Unverständnis auf der Basis der Begegnung. Aber dieses Nicht-Verstehen ist wenigstens konkret. Das kann zwar schmerzlich sein, viel gefährlicher ist allerdings das abstrakte Nicht-Verstehen. Dann entstehe nämlich eine "leere Fläche für Projektionen aller Art" (Bielefeldt) und bis zum Feindbild ist es nicht mehr weit.
Interreligiöser Dialog kann nicht erreichen, was die Politik versäumt hat. Solchen falschen Erwartungen muss er eine klare Absage erteilen, um glaubwürdig zu bleiben. Aber ansonsten heißt es weiter machen – was denn sonst.
Claudia Mende
© Qantara.de 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de