Modell für die arabischen Staaten?

Könnte die EU als Modell für eine Vereinigung der arabischen Staaten gelten? Der Politikwissenschaftler Hassan Nafaa rekapituliert in einer Untersuchung die arabischen Einigungsversuche im Vergleich zur EU. Von Götz Nordbruch

Könnte die Europäische Union als Modell für eine Vereinigung der arabischen Staaten gelten? Der ägyptische Politikwissenschaftler Hassan Nafaa rekapituliert in einer Untersuchung die arabischen Einigungsversuche im Vergleich zur EU. Götz Nordbruch stellt die Studie vor.

Plakat zur Eröffnung des Gipfels der Arabischen Liga in Algier; Foto: AP
Trotz zahlreicher gemeinsamer Interessen haben die arabischen Staaten bisher keine "Arabische Union" nach dem Vorbild der EU gegründet

​​"Warum vereinigt sich Europa, mit all seinen nationalen, ethnischen und sprachlichen Unterschieden, während dies den Arabern, die eine gemeinsame Sprache sprechen, nicht gelingt", fragte der Kolumnist Hashem Saleh kürzlich in der Tageszeitung al-Sharq al-Awsat.

Trotz der aktuellen Krise steht die Europäische Union in der arabischen Öffentlichkeit weiterhin für ein Modell, aus dem sich wichtige Ansätze für ähnliche Entwicklungen im arabischen Nahen Osten ableiten lassen. Als Beispiel einer erfolgreichen ökonomischen und politischen Integration unabhängiger Staaten, aber auch als möglicher Bündnispartner in internationalen Konflikten, berührt ein Erfolg oder Misserfolg der EU unmittelbar die Strategien und Interessen arabischer Länder.

Die umfangreiche arabischsprachige Studie "Die Europäische Union und die aus arabischer Perspektive nützlichen Lehren" des ägyptischen Politikwissenschaftlers Hassan Nafaa, die im Sommer 2004 vom Center for Arab Unity Studies in Beirut herausgeben wurde, dokumentiert dieses Interesse.

Als Untersuchung des "europäischen Integrationsmodells mit arabischen Augen" verbindet sie eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und Struktur der EU mit dem Anspruch, die arabischen Vereinigungsversuche zu rekapitulieren. Im Spiegel der europäischen Erfahrung, so Nafaa, würden die Ursachen für das Scheitern der arabischen Einigungsbemühungen sichtbar.

Demokratie und Stabilität als Erfolgsfaktoren

Neben den geopolitischen Rahmenbedingungen, die die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten bestimmten und erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen langsamen Vereinigungsprozess auslösten, richtet Nafaa dabei ein besonderes Augenmerk auf die innereuropäischen und innenpolitischen Voraussetzungen, die er für den Erfolg des europäischen Modells verantwortlich macht.

Als wesentlichen Unterschied zur Situation im arabischen Nahen Osten benennt er vor allem die demokratische Konstitution der einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Die demokratische Legitimation der Europäischen Union auf nationaler Ebene und die relative Stabilität der politischen Systeme der Mitgliedstaaten stehen im deutlichen Gegensatz zu den Verhältnissen in zahlreichen arabischen Ländern.

Während die europäische Integration von den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten gerade vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges auch als Mittel zur Befriedung der zwischenstaatlichen Konflikte gesehen wurde, orientierten sich arabische Einheitsbestrebungen in der Vergangenheit dagegen häufig allein am Interesse der "Sicherheit der herrschenden Regime, nicht aber an der Sicherheit der Bevölkerungen, der Gesellschaften oder des Systems als Ganzem."

Interne Konflikte als Bedrohung der Einheit

Nicht weniger entscheidend sind für Nafaa allerdings die unterschiedlichen gedanklichen Prämissen, auf deren Grundlage die jeweiligen Vereinigungsprozesse vorangetrieben werden.

Anders als im Falle des europäischen Integrationsprozesses, der eine Vermittlung zwischen den nationalen, konfessionellen und kulturellen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten anstrebt, sei die Idee der arabischen Einheit "kein Mittel zur Überwindung der internen Probleme und Schwierigkeiten, die einen Aufbruch der arabischen Nation behindern. Die Idee der arabischen Einheit ist vielmehr ein Mittel, um den äußeren Herausforderungen zu begegnen, die für die Unfähigkeit der Araber verantwortlich gemacht werden, ihren verflossenen Ruhm wiederzuerlangen."

Während die Einheit im europäischen Kontext also das Ziel markiert, zu dessen Verwirklichung Mechanismen zur Regelung der innereuropäischen Konflikte gefunden werden müssen, wird die Einheit der arabischen Nation im arabischen Kontext vorausgesetzt. Interne Unterschiede und Konflikte erscheinen in dieser Wahrnehmung nicht als Normalfall und notwendige Folge eines gesellschaftlichen Pluralismus, sondern als Abweichung und Bedrohung der Einheit gegenüber äußeren Bedrohungen.

Von einer solchen Perspektive lassen sich die geopolitischen Bedingungen, die einer effektiven arabischen Einigung in der Vergangenheit entgegenwirkten, nur als zusätzliche Hindernisse deuten. Selbst angesichts der aktuellen internationalen Konflikte und vermeintlich nahe liegender gemeinsamer ökonomischer Interessen steht Nafaa daher zukünftigen Projekten einer arabischen Einigung skeptisch gegenüber.

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kontakt@qantara.de Die Verträge zwischen der EU und den arabischen Staaten im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft, deren zehnjähriges Jubiläum dieses Jahr gefeiert wird, sind für ihn nur ein Beispiel, das diese Skepsis begründet.

Trotz zahlreicher gemeinsamer Interessen auf arabischer Seite stehen die einzelnen arabischen Länder hier ohne Rückhalt einer überstaatlichen arabischen Organisation der wirtschaftlichen und politischen Übermacht der Europäischen Union als Vertragspartner gegenüber.

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2005

Cover Hassan Nafaa: Die Europäische Union und die aus arabischer Perspektive nützlichen Lehren

​​Hassan Nafaa: Die Europäische Union und die aus arabischer Perspektive nützlichen Lehren [al-Itihad al-Urubi wa-l-Durus al-Mustafada ’Arabiyyan] (Beirut: Center for Arab Unity Studies, 2004), 626 S., ISBN 9953-450-19-6

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