Selbstdarstellung im Cyberspace
Wer StudiVZ kennt, dem wird auch das eigentliche Original der Plattform namens Facebook bekannt vorkommen. Zugrunde liegende Idee solcher Plattformen ist es, eine eigene Internetseite einzurichten, um darauf private Fotos zu veröffentlichen oder sich mit Freunden zu vernetzen.
Das Konzept wurde im Februar 2004 von Mark Zuckerberg an der Harvard University entwickelt und wird inzwischen von Millionen Internetusern auf der ganzen Welt genutzt.
In Freundeskreisen der Kairoer Jugendszene reagiert man inzwischen mit Erstaunen, wenn auf die Frage: "Bist du schon im Facebook?" mit einem "Nein" geantwortet wird. Denn Facebook scheint die zurzeit meistbesuchte Internetseite der Kairoer Mittelschicht-Jugendlichen zu sein – mit steigendem Aufwärtstrend.
"Facebook ist genial", sagt die junge Rania, die in den ersten Wochen Stunden vor dem Computer verbrachte. "Man trifft so viele Menschen, von denen man seit Jahren nichts gehört hat." Sie und ihr Ehemann wetteifern mittlerweile darum, wer mehr Freunde im Facebook findet. Sie kommt inzwischen auf 198.
Besonders beliebt beim Facebook ist, dass jeder Benutzer ein Internetforum hat, in dem Freunde einen Eintrag hinterlassen können, der wiederum von allen anderen Freunden gelesen werden kann. Es erinnert ein wenig an die Selbstdarstellungssendungen im Fernsehen, die zurzeit in Europa und auch in der arabischen Welt auf dem Vormarsch sind.
Öffentliche Geheimnisse
Selbstvermarktung spielt auch hier eine nicht geringe Rolle. Jeder möchte sich von seiner besten Seite zeigen, mit seinen schönsten Fotos, seinen Lieblingsbüchern und seinen öffentlichen Aktivitäten.
Klickt man auf die Option Home, werden alle Aktivitäten aller Freunde anzeigt. Zum Beispiel, dass A jetzt Freund von B ist. Oder dass B neue Fotos auf seine Seite geladen hat.
Diese Option kann jedoch auch für Peinlichkeiten sorgen, wie die junge Nihal feststellen musste. Als sie auf ihrer Seite bekannt gab, dass sie Single sei und traurig, konnten dies zu ihrer Überraschung alle Freunden lesen und erfuhren so, dass sie sich von ihrem Freund getrennt hatte.
Über die Option Home wird auch verraten, welches Mitglied welcher Gruppe beigetreten ist. Und diese Gruppen vermitteln ein höchst aufschlussreiches Bild darüber, was die Jugendlichen Kairos zurzeit bewegt und interessiert. Von Spaß über Unterhaltung bis hin zu politischen Themen ist hier alles zu finden.
Gruppenbildung
Da ist etwa eine Gruppe namens "Im a Muslim & Im Proud!", in Anlehnung an das Lied von James Brown: "Say it loud, I am black and I am proud". Die Gruppe zählt 11.381 Mitglieder. Die Jugendlichen diskutieren hier etwa über religiöse, politische oder auch ganz allgemeine Themen.
Es sind keine fundamentalistischen Anhänger des Islam, wie man vielleicht aufgrund des Namens erwarten könnte. Im Gegenteil: Da tummeln sich hübsche verschleierte Frauen genauso wie unverschleierte, oder auch liberal eingestellte Muslime, die sich in erster Linie als Muslime definieren und ihre Meinungen zu ihrer Religion oder auch zu politischen Themen austauschen.
Ähnliche Gruppen sind "Prophet Mohamed {S.A.A.S.} lovers", oder "1.000.000 MUSLIMS!"
Eine kürzlich eröffnete politische Gruppe namens "Ask Oprah to visit the West Bank & Gaza too!!” wurde von Jugendlichen gegründet, als bekannt wurde, dass die bekannte amerikanische Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey aus Solidarität mit Israel einen israelischen Freund in Israel möchte.
Die Mitglieder der Gruppe versuchen, die Moderatorin per E-Mail davon zu überzeugen, nach Palästina zu reisen, um sich die Besatzung aus nächster Nähe anzuschauen.
Auch innenpolitische Probleme werden im Facebook behandelt. So will die Gruppe "Stop The EGYPTIAN POLICE Brutality ...!!", auf Polizeigewalt in Ägypten aufmerksam machen und verlinkt Videos von Youtube auf ihre Seite.
Mobilisierung durchs Internet
Bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis das Facebook eine politische Funktion bei Demonstrationen spielen wird. Die Oppositionsproteste in Kairo zum Beispiel wurden zum Teil über Blogseiten koordiniert und angekündigt.
Inzwischen hat sich das Facebook in Kairo auch als Kommunikationsmedium bewährt. Mido, Journalist beim erfolgreichen Jugendmagazins Croc, erzählt, um Jugendliche aus ganz Kairo auf ein Konzert aufmerksam zu machen, müsse er nur eine Werbung auf der Facebook-Crock-Seite platzieren.
Man sollte den Einfluss dieser Seiten nicht unterschätzen. In den Gruppen finden die Jugendlichen Gelegenheit, ihre Stimme geltend zu machen und von hunderten anderen gelesen zu werden. Sie bieten nicht nur ein Diskussionsforum, sondern erzeugen auch ein Gefühl der Solidarität.
Auch wenn mancher es als reinen Zeitvertrieb begreifen mag, Facebook hat eine ganze Generation ägyptischer Jugendlicher zusammengeschweißt, die selbst bestimmen möchten, was sie bewegt und worüber sie sich austauschen wollen.
Sherif Abdel Samad
© Qantara.de 2007
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