Menschliche Begegnung auf vermintem Gelände

Auf dem Filmfestival "Jerusalem Moments" berichten israelische und palästinensische Filmemacher aus einer sehr persönlichen Perspektive über die von Konflikten geprägte "Heilige Stadt". Aya Bach informiert.

Auch auf dem diesjährigen Filmfestival "Jerusalem Moments" berichten israelische und palästinensische Filmemacher aus einer sehr persönlichen Perspektive über die von gesellschaftlichen und religiösen Konflikten geprägte "Heilige Stadt". Aya Bach stellt zwei der Regisseure und ihre Filme vor.

​​ In der schwierigen Gemengelage, die sich hinter dem Begriff "Nahostkonflikt" verbirgt, tauchen trotz verhärteter Fronten immer wieder kleine Hoffnungsschimmer auf.

Es gibt Menschen und Organisationen, die sich für Verständigung zwischen den Konfliktparteien einsetzen. Dazu gehört eine israelische NGO mit dem Namen "Ir-Amim", was so viel heißt wie "Stadt der Völker" – ein Forum auch für regierungskritische Positionen, das sich auch dafür einsetzt den Palästinensern eine Stimme zu geben.

Unter anderem hat "Ir-Amim" das Filmfestival "Jerusalem Moments – Small Moments of a Different Jerusalem" ins Leben gerufen: eine Projektinitiative, die auch vom Auswärtigen Amt und dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) unterstützt wird. In diesem Jahr präsentiert "Jerusalem Moments" zehn israelische und palästinensische Filme, die vor allem den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem und die Zukunft der Stadt sehr unterschiedlich und hintergründig reflektieren.

Die andere Wahrnehmung der Stadt

"Jerusalem Moments" eröffnet gleichzeitig auch einen sehr persönlichen Blick in das komplexe Leben der Einwohner zwischen dem östlichen und westlichen Teil der Stadt. Ziel ist es, andere Perspektiven auf die herrschenden Konflikte zuzulassen und eine öffentliche Debatte anzuregen.

Ein Beispiel ist der Film "Home" der palästinensischen Journalistin Marwa Jbara Tibi – eine wahre Geschichte, die auf einer ungewöhnlichen Begegnung von Ilanit Satika and Ahmad Dabash basiert. Beide sind Opfer der Wohnungspolitik in Jerusalem.

Ilanit hat ihre Wohnung in West-Jerusalem verloren, nachdem sie die israelischen Behörden vor die Tür setzten, nachdem sie ihre Schulden nicht bezahlen konnte. Ahmad trifft sie einen Tag nach ihrer Ausweisung zusammen mit ihren vier Kindern und nimmt sie daraufhin in seine arabische Familie im muslimischen Ort Sur Baher auf.

Doch sein Haus ist ebenso gefährdet, da Ahmad gezwungen war, es ohne Genehmigung der Behörden zu errichten, Tibis Film zeigt auf eindrucksvolle Art, wie zwei Bürger "zweiter Klasse" durch eine persönliche Begegnung zueinander finden und dabei Stereotype überwinden.

"Ich habe angefangen, meinen Film zu drehen, ohne dass ich irgendeinen Auftrag oder eine Finanzierungsmöglichkeit gehabt hätte", erzählt Marwa Jbara Tibi. Die Palästinenserin legt einfach so los. "Ich hatte den Eindruck, dass dies eine ganz starke menschliche Geschichte war."

Hürdenreiche Wege

Ähnlich ging es auch ihrem israelischen Kollegen Daniel Gal. Per Zufall stieß er auf das Thema für seinen Film "Children's Stories": drei palästinensische Kinder, die ihre Familie ernähren, indem sie auf Straßenkreuzungen in Jerusalem Kaugummi verkaufen. Täglich beschäftigte sie die Frage wie sie über die Mauer kommen. Jeden Tag überwinden die drei Brüder auf widrigen Wegen den Sperrzaun, der die israelische Bevölkerung vor palästinensischen Terroranschlägen schützen soll.

​​"Fast jeder, der in Jerusalem lebt, weiß, dass es hier arabische Kinder gibt, die Kaugummi und andere Sachen verkaufen", erzählt Regisseur Daniel Gal. "Darum kannte ich solche Kinder schon immer." Um diese Kinder jedoch vor die Kamera zu bekommen, nahm er zunächst Kontakt mit allen möglichen Wohlfahrtsinstitutionen auf. Doch schließlich sprach er sie einfach auf einer Straßenkreuzung an. Damit kam alles in Bewegung.

In Gals Film klettern die Kinder – die Brüder Rami, Hussam und Younis – auf wackeligen Leitern über die Mauer, quetschen sich durch engste Lücken, mogeln sich unter der Mauer hindurch in ekligen Abwasserkanälen. Ihr Vater verdient kein Geld mehr, seit er durch die Mauer von seiner Arbeitsstätte abgeschnitten ist. Für die Dreharbeiten musste der israelische Filmemacher erst einmal das Vertrauen der Kinder gewinnen, was nicht immer so einfach war.

"Ein Kind, das in dem Film vorkommen, hatte wegen eines Sturzes eine schwere Verletzung am Kinn und kam in ein Jerusalemer Krankenhaus", berichtet Gal. "Aber sein Vater konnte nicht in die Stadt, um seinem Kind zu helfen, weil er Palästinenser war." Daher ergriff Gal schließlich selbst die Initiative und kümmerte sich um das Kind, bis der Vater kommen konnte. "Schritt für Schritt haben sie so Vertrauen zu mir gefasst", berichtet der israelische Regisseur.

Menschliche Beziehung im Mittelpunkt

Auch Marwa Jbara Tibi ist bei ihren Dreharbeiten nicht streng in der Rolle der Journalistin geblieben. Zwischen ihr und der jüdischen Mutter hat sich ein Verhältnis entwickelt, in dem die menschliche Beziehung irgendwann die professionelle überwog:

Dabei ist Marwa Jbara Tibi eigentlich eine vehemente Verfechterin des "abgeklärten journalistischen Blicks". Beide Seiten sollen sich nicht vereinnahmen lassen von einer Partei – das ist ihre Maxime, die eigentlich für jeden Journalisten gelten sollte. Aber in der explosiven Gemengelage, in der sie arbeitet, ist das oft schwierig.

Marwa Jbara Tibi lebt in einem Dorf, das von Israelis und Palästinensern gemeinsam gegründet wurde. Das hat mehr als Symbolwert in einer Umgebung, die von gigantischen Mauern und unwürdigen Prozeduren an den Checkpoints geprägt ist.

Daniel Gal lebt im jüdischen Teil von Jerusalem, hat viele palästinensische Freunde und erlebt immer wieder, dass es unter Künstlern und Filmemachern kaum Verständigungsprobleme gibt. Und wie Marwa Jbara Tibi hofft er, dass er mit seiner Arbeit hinter der Kamera etwas ausrichten kann.

"Durch die Arbeit von Journalisten und Künstlern können viele Leute die Realität mit ihren eigenen Augen sehen – oder doch jedenfalls aus dem Blickwinkel, den die Journalisten und Künstler einnehmen", so Gal. Und er hofft, dass solche Sichtweisen weltweit Schule machen könnten.

Aya Bach

© DEUTSCHE WELLE 2008

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