Postmoderner Abgesang

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Ende März kommt Youssef Chahines Film "Chaos" in die deutschen Kinos. Der 81jährige Altmeister des ägyptischen Kinos präsentiert eine Gesellschaftskomödie mit Seitenhieben auf Korruption und Polizeiwillkür.

Von Ariana Mirza

Bereits 1997 wurde Youssef Chahine beim Internationalen Filmfestival in Cannes mit dem Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Doch auch 10 Jahre danach ist der Altmeister des ägyptischen Kinos als Regisseur aktiv.

Ende März startet sein neuester Film in den deutschen Kinos. Aufgrund gesundheitlicher Probleme realisierte Chahine dieses Projekt gemeinsam mit dem Ko-Regisseur Khaled Youssef. Doch obwohl der junge Regisseur Youssef einen eigenen Stil einbrachte, versichert Chahine in einem Interview, "wusste er die Szenen so zu gestalten, wie ich sie haben wollte."

Ob "Chaos" in Europa sein Publikum findet, bleibt abzuwarten. Auf den ersten Blick erscheint "Chaos" wie gefällige, teils burleske Unterhaltung für die ganze Familie: Ein rechtschaffener junger Staatsanwalt und die passende Braut, eine pfiffige Lehrerin, finden nach vielen Irrungen und Wirrungen zueinander.

Ein Bösewicht in Polizeiuniform und eine moralisch verdorbene Nebenbuhlerin stehen dem Liebesglück über 90 Minuten im Wege. Dies alles ist flott und humorvoll inszeniert.

Wie so oft in Chahines Filmen ziehen starke Frauenfiguren die Stränge und sorgen letztlich für das "Happy End". Doch die recht konventionell inszenierte Story ist nur vordergründig harmlos.

Mutiger Tabu-Bruch

​​Youssef Chahine ist ein mutiger Regisseur, und ein Mensch, der seine Heimat liebt, aber die Kehrseite der ägyptischen Gesellschaft nicht ausblendet.

In "Chaos" kritisiert der Regisseur vor allem die polizeiliche Willkür, die durch Korruption und mangelnde Durchsetzung rechtstaatlicher Prinzipien zur Tagesordnung gehört.

In Chahines Film, der in der Gegenwart angesiedelt ist, werden harmlose Demonstranten in Kellerverliese gesperrt und gefoltert; ein Polizeioffizier tyrannisiert ein ganzes Viertel und die Obrigkeit schaut tatenlos zu.

Doch das ist nicht das einzige Tabuthema das "Chaos" anpackt. Zudem beleuchtet der Film auch die Problematik des mangelhaften Bildungswesens.

"Wenn selbst die Englischlehrer nicht richtig Englisch sprechen, wie sollen sie es dann ihren Schülern beibringen?", klagt ein alter Schulinspektor in einer Szene des Films. Dieser Schulinspektor, eine tatkräftige Direktorin, die junge Lehrerin und nicht zuletzt der gerechte Staatsanwalt stehen in Chahines Werk für die "gute" Seite Ägyptens.

Den "aufrechten" Bürgern Ägyptens, vor allem den tatkräftigen Frauen aller Schichten und den engagierten Intellektuellen gilt Chahines Sympathie. Sie vertreten in "Chaos" mutig das Recht auf Bildung und persönliche Freiheit. Als Galionsfiguren lehnen sie sich gegen Willkür auf und fordern Rechtstaatlichkeit ein.

Doch der Film verhehlt nicht, dass seine Protagonisten mit dem Rücken zur Wand stehen. In "Chaos" ist die Zukunft des arabischen Staates sogar von zwei Seiten bedroht. Nicht nur Schlendrian, Korruption und Machtmissbrauch staatlicher Institutionen stehen am Pranger, Chahine kritisiert auch vehement die dekadente Oberschicht seines Landes.

Westliche Schickeria und erstarkender Islamismus

​​In "Chaos" lässt die rein westlich orientierte Schickeria Kairos das eigene Volk im Stich. Statt sich für Freiheit und Fortschritt einzusetzen, ist die großstädtische Bohème allein mit ihren bizarren Ausschweifungen und den neuesten westlichen Moden befasst.

Zeitweise erliegt auch Chahines Protagonist, der junge Staatsanwalt, der Versuchung, ins sinnentleerte "dolce vita" seiner Standesgenossen abzugleiten. Doch dann erkennt er seine gesellschaftliche Verantwortung und wählt einen ganz eigenen Weg: Ohne religiöse Bigotterie und Rückschrittlichkeit, doch auch ohne Anbiederung an westlichen Hedonismus.

Vergleichsweise gelassen interpretiert der Film hingegen das Erstarken eines islamischen Fundamentalismus. Dieses Phänomen spielt in "Chaos" keine zentrale Rolle, denn nicht in der Religion sieht Chahine eine Gefahr für die Zukunft Ägyptens sondern in der zunehmenden Chancenlosigkeit der Bevölkerungsmehrheit.

Folgt man Chahines Logik, so bereitet die Ungerechtigkeit den Nährboden für jede Form der Gewalt, auch für religiösen Fanatismus.

Ariana Mirza

© Qantara.de 2008