Beihilfe zur Repression?
"Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, nach denen in den Jahren 2015 und 2016 im Rahmen der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe zugunsten Ägyptens vermitteltes Wissen oder zur Verfügung gestellte Technik missbräuchlich oder entgegen rechtsstaatlicher Maßstäbe eingesetzt wurden. Eine Neubewertung oder Aussetzung von Unterstützungsmaßnahmen war aus diesem Grund nicht erforderlich". So reagierte die Bundesregierung Anfang März 2016 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur Menschenrechtslage in Ägypten und den 2015 angelaufenen polizeilichen Ausbildungs- und Ausstattungshilfen für ägyptische Sicherheitsorgane.
Vor dem Hintergrund der nach wie vor nicht aufgeklärten Ermordung des italienischen Doktoranden Giulio Regeni in Kairo vom vergangenen Februar, für die Menschenrechtsgruppen und die internationalen Presse fast einhellig ägyptische Sicherheitsbehörden verantwortlich machen, und der schieren Anzahl an Berichten über massive Menschenrechtsverletzungen ägyptischer Polizei- und Geheimdienstbehörden, ist diese Stellungnahme bemerkenswert. Denn nach hundertprozentiger Klarheit klingt dies keineswegs.
Bei einem genaueren Blick in die ägyptische oder internationale Presse sollten eigentlich die Alarmglocken schrillen. Übereinstimmende Berichte in- und ausländischer Menschenrechtsorganisationen über die Folter- und Gewaltpraktiken ägyptischer Sicherheitsorgane lassen eine sicherheitspolitische Kooperation mit Kairo in keinem guten Licht erscheinen. Selbst der staatlich kontrollierte ägyptische "Nationale Menschenrechtsrat" zeigt sich besorgt über die Lage in den Gefängnissen und Polizeistationen des Landes. Vor dem Hintergrund dieser Nachrichtenlage überrascht es durchaus, wie unbeirrt Berlin an der Polizeikooperation mit Ägypten festhält.
Deutschland setzt auf mäßigenden Einfluss
Während die USA, Frankreich und Großbritannien auf eine intensivierte militärische Kooperation mit dem ägyptischen Regime setzen, baut die Bundesregierung seit einem Jahr ihre polizeiliche Zusammenarbeit mit Kairo verstärkt aus. Neben den politisch relativ unbedenklichen Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der Luft- und Flughafensicherheit, geht es Berlin insbesondere um den Anti-Terror-Kampf und den Ausbau der Kooperation in der Migrationspolitik.
Kairo sei ein "unverzichtbarer Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und im Kampf gegen irreguläre Migration", so Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Rahmen seines Kairo-Besuchs Ende März 2016. Doch insbesondere die Kooperation in diesen Bereichen ist fragwürdig. Der "umfassende Terrorismusbegriff" von Ägyptens Regierung sei "unverhältnismäßig" und werde von "Sicherheitsbehörden als auch der Justiz immer wieder auch im Kontext von Demonstrationen gebraucht", räumte Berlin bereits im Mai 2015 ein.
Neben systematischen Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane, die von offiziellen Stellen in Ägypten als "Einzelfälle" dargestellt werden, blieb offen wie wirksam die Anti-Terror-Politik des Regimes wirklich ist. Der Politologe Shadi Hamid vom Center for Middle East Policy bezeichnete unlängst die harte Linie unter Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi im US-Magazin Foreign Policy als "Geschenk an den Islamischen Staat" und verweist auf den massiven Anstieg terroristischer Anschläge seit dessen Amtsantritt. Hamid zählt von Juni 2013 bis Mai 2015 insgesamt 1.223 Anschläge, in den zwei Jahren zuvor seien es 78 gewesen. Während die Anzahl der Anschläge seither zwar zurückgeht, gehören Polizeiwillkür und Gewalt gegen Zivilisten inzwischen zum Alltag am Nil.
Auch daher zeigt sich Dr. Stephan Roll, Wissenschaftler der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), skeptisch über die polizeiliche Kooperation mit Kairo. "Der Ansatz, mäßigend auf Ägyptens Polizeiapparat einzuwirken, ist nicht realistisch und auch nicht nachvollziehbar, denn das ägyptische Innenministerium zeigt sich bisher reformresistent. Die Politik, die in Kairo gemacht wird, trägt vielmehr zur Entstehung des Terrors im Land bei", so Roll.
"Wenn man pragmatisch an die Sache herangehen und positiv auf den Apparat einwirken will, würde ich eher empfehlen, die Kontakte zum ägyptischen Militär auszubauen. Die Bundesregierung sollte versuchen, die Zugänge zum Generalstab zu verbessern, da diese weit mehr Einfluss in Ägypten ausübt als das Innenministerium. Ich sehe keine Notwendigkeit mit nachgelagerten Institutionen wie dem Innenministerium zu kooperieren. Das Militär ist sicherlich nicht der bessere Akteur, der mehr Wert auf die Einhaltung von Menschenrechten legt, doch es ist schlicht der einflussreichere."
Illegale Migration in Ägypten unterbinden
Auch die Zusammenarbeit mit Kairo in der Migrationspolitik – laut Roll der zentrale Antrieb für das Festhalten Berlins an der Polizeikooperation – wirft Fragen auf. Nachdem die Bundesregierung die Mittelmeeranrainerstaaten Tunesien, Marokko und das autokratisch regierte Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklären ließ, will man jetzt auch Ägypten enger in die EU-Migrationsabwehr einbinden. Bei seinem jüngsten Besuch in Kairo äußerte sich Thomas de Maizière dabei so deutlich zum Thema wie nie zuvor: "Wir wollen keine neuen Routen für Migranten sehen. Wir sind besorgt über die Route, die in Libyen wieder beginnen wird; und das werden wir in Ägypten verhindern", so der Minister.
Flüchtlinge und Migranten, die aus Ostafrika Richtung Europa reisen, schlagen fast ausschließlich den Weg über Ägypten ein. Seit der Krieg im Nachbarland Libyen tobt, versuchen Flüchtende daher vermehrt von Ägyptens Küsten aus in See zu stechen – zunächst unbehelligt von den Sicherheitskräften. Doch seit April 2015 werden in den Provinzen Alexandria, Buhaira und Kafr al-Sheikh vermehrt Flüchtlinge verhaftet, sagt Muhammed al-Kashef von der Egyptian Initiative for Personal Rights in Alexandria. Allein in den letzten zwei Wochen habe es mindestens sechs Vorfälle gegeben, bei denen dutzende Menschen verhaftet wurden.
Kairo setzt hier meist auf Abschiebungen. Lediglich Flüchtlinge, die beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert sind, werden wieder frei gelassen, so Al-Kashef. Doch aufgrund der strukturellen Unterbesetzung des UNHCR-Büros in Kairo ist nur ein Bruchteil der am Nil gestrandeten Flüchtlinge mit derartigen Papieren ausgestattet. Vielen droht im Falle einer Verhaftung daher die Abschiebung und Kairo ist wenig zimperlich dabei Menschen auch in Ländern zu deportieren, in denen ihnen Verfolgung droht.
Kritik im Bundestag an der Polizeikooperation hält sich derweil in Grenzen. Nur die Abgeordnete der Grünen Dr. Franziska Branter und die Linksfraktion greifen die Bundesregierung für ihre Ägypten-Politik an. Andrej Hunko von den Linken etwa bezeichnete die Unterstützung von Ägyptens Sicherheitsapparats als "Beihilfe zur Repression". Denn während Berlin Wert darauf legt, dass "nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und unter Beachtung der Menschenrechte ausgebildet wird", bleibt mehr als fraglich, ob Ägyptens Polizei diese Standards auch anwendet.
Sofian Philip Naceur
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