Unterhaltung des Bildungsbürgertums
Auf Einladung des Projekts This Place machten sich bekannte Fotografenpersönlichkeiten wie Jeff Wall, Joseph Koudelka, Thomas Struth oder Stephen Shore auf den Weg, Israel und die Westbank durch die Fotografie mit neuen Augen zu sehen. Sie folgten der Einladung des französischen Fotografen Frédéric Brenner. Seit dem Jahr 2007 arbeitete Frédéric Brenner an der Realisierung seines Projekts. Einen Namen gemacht hat er sich durch die Dokumentation jüdischen Lebens in vielen Teilen der Erde.
Brenners Motivation war es, Israel als Metapher zu verstehen und fotografische Projekte zu suchen, die über Mythen und Stereotype hinausgehen. Die beteiligten Fotografen waren zwischen 2009 und 2014 für zum Teil mehrmonatige Aufenthalte in der Region. Dabei sind zwölf sehr unterschiedliche Arbeiten entstanden, nicht nur, was ihren Inhalt angeht, sondern auch, was die fotografische Umsetzung betrifft.
Jeder der zwölf Fotografen brachte seine eigene fotografische Bildsprache und seinen Ansatz mit und machte sich damit auf die Suche nach Motiven, Geschichten und Bildern. Das Dox Center for Contemporary Art in Prag zeigt die Arbeiten zum ersten Mal in einer Gesamtschau. Dabei zeigen die Präsentationen jeweils nur einen kleinen Ausschnitt aus der umfangreichen Arbeit der einzelnen Fotografen. Außen vor gelassen wurde im Projekt der Gazastreifen. Und auch die Westbank ist nur dazugekommen, weil es der dezidierte Wunsch der Projektteilnehmer war und viele dies zur Bedingung für ihre Teilnahme gemacht haben.
Mangelnde Kontextualisierung
Die Beschäftigung mit der Landschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Projekte. Sowohl der deutsche Künstler Thomas Struth als auch die amerikanische Fotografenlegende Stephen Shore oder die koreanische Künstlerin Jungjin Lee haben dafür eigene Ausdrucksformen gefunden. Am radikalsten setzt dies der tschechische Altmeister Joseph Koudelka in düsteren Schwarz-Weiß-Bildern der Mauer um.
Ein anderes wichtiges Querschnittsthema sind Porträts. Während Rosalind Salomon mit dem Bus Israel und die Westbank auf der Suche nach flüchtigen Begegnungen durchquerte, inszenierte Frédéric Brenner aufwendige Familienporträts. Ein Langzeitprojekt zur Beobachtung jüdischer Siedler startete Nick Wapplington, während der junge tschechische Filmemacher Martin Kollar die Region als eine Ansammlung von Filmkulissen in Szene setzt.
In der Ausstellung gibt es, abgesehen von einem extrem kurzen, sehr allgemein gehaltenen Einführungstext und knappen Einführungen zu den einzelnen Projekten, kaum Informationen, die erlauben würden, die Projekte zu kontextualisieren. Eine Ausnahme stellen die Arbeiten von Wendy Ewald und Fazal Sheikh dar. Zu jeder der 14 Gruppen, mit denen Ewald Fotoworkshops veranstaltete, gibt es einen kurzen Text. Hier erfahren wir, wie es um die Situation der Palästinenser in Ost-Jerusalem bestellt ist, wo in Israel Drusen leben, und bekommen damit eine Idee von der Bedeutung der Bilder.
Fazal Sheikhs Installation mit 48 Luftaufnahmen der Negevwüste bekommt durch ein kleines, in der Ausstellung ausliegendes Booklet die gebührende Tiefe. Dass es keine weiteren Texte gibt, ist vermutlich dem Ziel der Ausstellung geschuldet, ein Kunstprojekt über Israel und die Westbank zu organisieren und die politischen Klippen, die dies mit sich bringen kann, zu umschiffen. Damit geht gleichzeitig jedoch auch viel Potenzial verloren. Umso mehr, als auch die Kuratorin Charlotte Cotton von dem Wunsch getrieben ist, den "Betrachter zu einer tieferen Identifikation mit der Realität dieses Landes" zu bringen.
Schwammige Begriffe
Die Komplexität zu reduzieren und hinter die Fassade zu schauen sind Aspekte, die nur gelingen können, wenn man dafür nicht nur Bilder produziert, sondern dem Betrachter das notwendige Wissen mit auf den Weg gibt, diese zu dechiffrieren, die verborgenen Zeichen zu lesen und ihre Bedeutung zu erkennen. Ansonsten sind die Bilder eine zwar schöne und ästhetisch interessante, aber letztlich undurchdringliche Fassade. Was spricht bei einem Kunstprojekt dagegen, Dinge beim Namen zu nennen, Probleme zu identifizieren und Hintergründe zu erläutern? Natürlich wird der israelisch-palästinensische Konflikt als ein Konflikt auch über die Sprache ausgetragen, aber Begriffe wie "Palästinenser", "besetzte Gebiete" und "Besatzung" sind eingeführt und ihre Verwendung lässt sich begründen.
Das Projektteam sitzt dem Irrtum auf, Position zu beziehen und Dinge beim Namen zu nennen bedeute, in Freund-Feind Schemata zu verfallen und einer monolithischen Vision zu folgen. Dies ist mitnichten der Fall und keiner weiß dies besser als die vielen lokalen und internationalen Fotografen, die seit vielen Jahren in der Region arbeiten. Die Verwendung schwammiger und unklarer Begrifflichkeiten kennzeichnet dagegen eine Nähe zum dominanten israelischen Konfliktnarrativ.
Brenner zeigt sich überzeugt davon, dass "wir nur durch die Augen großer Künstler anfangen können, die Komplexität Israels zu verstehen – seine Geschichte, seine Geografie und sein Alltagsleben – sowie die Resonanz, die diese auf die Menschen weltweit haben". Damit wird im Umkehrschluss lokalen und vor allem palästinensischen Fotografen und Künstlern abgesprochen, in eigenem Namen valide Aussagen über die Region treffen und diese in eine künstlerische Form bringen zu können.
Bekannte ausländische Künstler können zwar durchaus einen Beitrag zum Verständnis leisten. Dies können aber genauso gut lokale Künstler und Fotografen, Schriftsteller und Journalisten tun. Aus der Erfahrung, die sie im Alltag machen, sowie aus einer Auseinandersetzung mit ihrer eigenen fotografischen Praxis und der Geschichte der Fotografie in der Region entscheiden sich viele von ihnen dazu, eine kritische Position zu beziehen und ästhetisch anspruchsvoll umzusetzen. Per se ist weder lokal sein noch Gast sein ein Vorteil. Alles hängt von der Arbeitsweise und der verfolgten Strategie ab.
Unterhaltung des Bildungsbürgertums
Ein Projekt, das über fast sieben Jahre lief und fast sechs Millionen Dollar gekostet hat, muss sich darüber hinaus die Frage stellen, welche Machtstrukturen es reproduziert. Umgesetzt wurde das Projekt fast ausschließlich mit weißen Europäern und Amerikanern, mit Ausnahme von Lee und Sheikh, die dem Ganzen einen interkulturellen Touch verleihen. Damit steht das Projekt auf gewisse Weise in der Tradition der orientalistischen "Holy Land Photography".
Auch aktuelle Machtstrukturen, die sich im Fotojournalismus der Region finden und sich vor allem in der Asymmetrie zwischen palästinensischen und internationalen Fotoreportern zeigen, werden hier reproduziert. Diejenigen, die die Deutungsmacht, das soziale Kapital sowie die besseren Kontakte zum Medien- und Kunstmarkt haben, sind in der Regel westlich sozialisierte Fotografen und Künstler. Auch die israelischen Fotografen gehören zu dieser Gruppe. Das Projekt This Place reproduziert, bewusst oder unbewusst, diese Strukturen.
This Place funktioniert hervorragend als ein auf den Kunstmarkt ausgerichtetes Projekt. Geschmückt mit einem intellektualisierten philosophischen Überbau ist es geeignet, das Bildungsbürgertum zu unterhalten. Aber zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Realität dieses Ortes ("This Place") trägt das Projekt nur am Rande bei.
Felix Koltermann
© Qantara.de 2015
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. März im "Dox Center for Contemporary Art" in Prag zu sehen. Danach wird die Ausstellung im Tel Aviv Museum of Modern Art und im Anschluss in den USA zu sehen sein.