Anschlag auf muslimischen Präfekten
Eine Explosion erschütterte in der Nacht zum Sonntag eine gehobene Wohngegend der westfranzösischen Großstadt Nantes. Sie zerstörte gegen 4.40 Uhr in der Frühe das Auto von Aïssa Dermouche, der seit 1989 in Nantes eine höhere Handelsschule leitete.
Welches Symbol in der Person von Aïssa Dermouche, der 1947 in der Kabylei, einer Berberregion im Nordosten Algeriens, geboren wurde und als 18jähriger zum Studieren nach Frankreich kam, getroffen werden sollte, ist eindeutig. Vier Tage vor dem Anschlag war er im Kabinett zum neuen Präfekten des ostfranzösischen Départements Jura ernannt worden. Anfang Februar wird er dort seinen Dienst antreten. Präfekten heißen die Vertreter der französischen Zentralregierung in den Départements, die einer der höchsten Kategorien der französischen Beamtenschaft angehören.
Ermittlungen gegen Rechtsextremisten und Islamisten
Binnen weniger Tage muss das Attentat minutiös vorbereitet worden sein. Denn das Auto von Aïssa Dermouche war an jenem Tag nicht in seiner Garage oder seiner eigenen Straße geparkt, sondern in einer der Seitenstraßen. Mutmaßlich war der Mann, den die Ernennung vom Mittwoch an seinem 57. Geburtstag erreichte, beschattet worden, als er am späten Samstagabend von einem Fußballspiel heimkehrte. Die Polizei ermittelt nach eigenem Bekunden vor allem gegen Rechtsextremisten, die in der Region bereits im November 2000 ein Sprengstoffattentat verübten, aber auch gegen "Ultraislamisten".
Religionszugehörigkeit als Qualitätsmerkmal
Die Form der Debatte, die seiner Ernennung auf den Präfektenposten voraus gegangen war, hat sicherlich zu dem Klima beigetragen, in welchem der Anschlag erfolgte. Zum Zankapfel der Rivalitäten zwischen führenden konservativen Politikern geworden, hatte man seine Nominierung in einer Weise vorbereitet, bei der Aïssa Dermouche "erfolgreich" auf seine Eigenschaft als Moslem reduziert worden war.
Dabei dürfte der im bürgerlichen Leben erfolgreiche Mann durchaus der Ansicht sein, dass seine Qualitäten sich nicht auf seine religiöse Zugehörigkeit beschränken - zumal im algerischen Kontext die Kabylen traditionell eher für eine stark säkulare Orientierung eintreten.
Innenminister gleichzeitig rechter Hardliner und Liberaler
Frankreichs ehrgeiziger Innenminister Nicolas Sarkozy, der seit einigen Wochen Staatspräsident Jacques Chirac offen herausfordert, verschafft sich seit anderthalb Jahren mit einer radikalen law-and-order-Politik Popularität. Nicht nur die "Erfolgsziffern" der Polizei lässt er jeden Monat veröffentlichen, sondern auch die monatliche Zahl abgeschobener Einwanderer. Die Zunahme von unfreiwilligen Ausreisen und Abschiebungen heftet er sich dabei als Ruhmesblatt an.
Da der geschickte Stratege Sarkozy aber weiß, dass er als plumper rechter Hardliner geringe Chancen auf einen Wahlsieg hätte, versucht er "zum Ausgleich" daneben auch seine Offenheit für Neuerungen unter Beweis zu stellen. Dazu gehört ein Spielen mit den Themen Rassismus und Einwanderungspolitik, die dabei gnadenlos politisch instrumentalisiert werden.
Bei der Fernsehsendung im November, anlässlich derer er sein Fiebern auf das höchste Staatsamt zum Ausdruck brachte, kündigte Sarkozy auch an, er werde nun bald etwas Konkretes für die Integration der Einwandererkinder tun: "Ich werde einen muslimischen Präfekten", er sagte wörtlich préfet musulman, "ernennen." Das führte er als Beispiel für eine Praxis der "positiven Diskriminierung" an.
Muslimischer Präfekt Symbol für Integration
Diese Frage wurde daraufhin zum Zankapfel zwischen den miteinander rivalisierenden konservativen Politikern, der jedem von ihnen zur Profilierung diente. Anlässlich einer Rede in Tunis am 5. Dezember antwortete Chirac auf den Vorstoß seines Innenministers, es komme nicht in Frage, einen hohen Staatsbeamten deswegen auf einen Posten zu ernennen, weil er Moslem sei. Dies widerspreche den Grundkonzepten der Republik.
Gleichwohl wolle auch er, Chirac, sich um bessere Integrationschancen für Kinder von Einwanderern bemühen. Vorletzte Woche wurde dann bekannt, dass das Präsidentenamt im Elysée, dem das letzte Wort bei der Ernennung hoher Beamter zukommt, nunmehr die Ernennung eines "Präfekten aus der Einwanderungsbevölkerung" vorbereite, als Symbol für die Integration.
Auf die Identität als Muslim reduziert
Da hatte Sarkozy nun seinen "muslimischen Präfekten", wie er sogleich betonte. Bemerkenswert daran war, dass tagelang nicht einmal der Name des Betreffenden bekannt wurde, der also auf diese Weise vollkommen auf seine angebliche Identität als Moslem reduziert wurde. Am letzten Mittwoch dann ernannte Chirac im Ministerrat Aïssa Dermouche zum Präfekten des Jura.
Bemerkenswert ist ferner, wie Chirac und Sarkozy die Frage des Abbaus von Diskriminierung erfolgreich auf die Ernennung eines Einzelnen in die hohe Beamtenlaufbahn reduzierten. Am gesellschaftlichen Dasein der allermeisten Einwandererkinder, für die eine solche Karriere unerreichbar ist, dürfte das schlichtweg nichts ändern. Viele dürften auch weiterhin von der durch Sarkozy hochgerüsteten Polizei mit ständigen Personenkontrollen und Schikanen in den Hochhaussiedlungen konfrontiert werden. Aber vielleicht dürfte ihnen ja zum Trost gereichen, einen der "Ihren" auf einen hohen Staatsposten eingesetzt zu sehen.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2004