Widerstand aus den Trabantenstädten
Während bei der letzten Präsidentschaftswahl die Mobilisierung von überwiegend muslimischen Zuwanderern aus den Banlieues gegen Nicolas Sarkozy außerordentlich stark war, nahm sie bei den jüngsten Parlamentswahlen deutlich ab. Hintergründe von Bernhard Schmid
Frankreich hat gewählt. Dass Sarkozys Regierungspartei UMP ihre absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verteidigen würde, war abzusehen. Schien doch die "blaue Welle" der UMP bereits nach dem Wahlsieg von Nicolas Sarkozy als Präsidentschaftskandidat Anfang Mai unvermeidbar geworden.
Wie gehen Frankreichs Einwanderer, muslimische und andere, mit dieser politischen Realität um? Zunächst einmal scheinen sich viele unter ihnen nicht sonderlich mit Sarkozy anzufreunden.
Laut Statistiken, die am Abend des ersten Durchgangs der Präsidentschaftswahl Ende April im französischen Fernsehen bekannt gegeben wurden, soll lediglich rund ein Prozent der französischen Muslime für den konservativen Kandidaten gestimmt haben. Hingegen seien 62 Prozent der abgegebenen Stimmen französischer Muslime an Nicolas Sarkozys Herausfordererin, Ségolène Royal, gegangen.
Frankreichs "Beurs" gegen Sarkozy
Solchen Zahlenangaben sollten jedoch immer mit Vorsicht begegnet werden. Denn sie beruhen auf freiwilligen Angaben und Selbstbezeichnungen, da Datenerhebungen auf konfessioneller bzw. "ethnischer" Grundlage in Frankreich offiziell verboten sind.
Für den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl und die Parlamentswahl liegen bisher keine detaillierten Angaben zum Wählerverhalten von muslimischen Einwanderern vor.
Dennoch zeichnet sich eine Tendenz ab, die verdeutlicht, dass viele Einwandererfamilien der Wahl von Nicolas Sarkozy zum Präsidenten äußerst skeptisch gegenüber standen.
Im letzten Februar veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut IFOP eine Umfrage, wonach sich nur 23,4 Prozent der muslimischen Bevölkerung in Frankreich mit der regierenden UMP identifizierten. 55 Prozent favorisierten hingegen die größte parlamentarische Oppositionspartei, die französischen Sozialisten – so zumindest das Umfrageergebnis.
Vor allem in den Trabantenstädten der urbanen Peripherie, wo zahlreiche Einwandererfamilien aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen wohnen, haben viele – vor allem junge – Wähler bei der Präsidentschaftswahl eine manifeste "Anti-Sarkozy-Stimme" abgegeben.
In den Banlieues war die Mobilisierung gegen Sarkozy bei der Präsidentschaftswahl außerordentlich stark, allerdings bei den jüngsten Parlamentswahlen ungleich schwächer.
In Clichy-sous-Bois, jener Vorstadt 10 Kilometer östlich von Paris, von der im Oktober 2005 – aufgrund eines Vorfalls im Zusammenhang mit Polizeigewalt – die mehrwöchigen Unruhen in den Vorstädten ausgingen, lässt sich dies besonders gut ablesen.
Bei der Präsidentschaftswahl gingen dort 82 Prozent der in die Wählerlisten eingetragenen Stimmberechtigten zur Wahl. Im ersten Durchgang der Parlamentswahlen waren es nur noch 46 Prozent.
Karriere unter Sarkozy? Der Fall Rachida Dati
Doch Nicolas Sarkozy und sein politisches Umfeld erfahren auch Unterstützung von muslimischen Einwanderfamilien. Einige von ihnen konnten sogar dank Sarkozy politische Karriere machen. Beispielsweise Rachida Dati, die 41jährige neue Justizministerin, die im Präsidentschaftswahlkampf einen der beiden Sprecherposten des Kandidaten Sarkozy besetzt hatte.
Als Tochter aus einer kinderreichen marokkanisch-algerischen Familie musste sie sich aus ärmlichen Verhältnissen hocharbeiten. Von 1997 bis 1999 absolvierte sie die Ausbildung an der Nationalen Hochschule für das Richteramt und arbeitete dann bei der Staatsanwaltschaft in Évry. Ende 2006 trat sie der UMP bei. Seit Januar 2007 ist sie, zusammen mit Xavier Bertrand, Sprecherin von Nicolas Sarkozy.
Nach der Wahl wird zum ersten Mal mit ihr nunmehr ein so genanntes Schlüsselministerium mit einer "arabischstämmigen" Französin besetzt.
Rachida Dati wird in jüngerer Zeit häufig mit Condoleeza Rica und ihrer Rolle in der Administration von US-Präsident George W. Bush verglichen. Zweifellos wird sie in den ersten Monaten ihrer Amtszeit die nötige Härte zeigen müssen, um sich in einem konservativen Kabinett als durchsetzungsfähig zu erweisen, das sich insbesondere eine Verschärfung im Umgang mit straffälligen Jugendlichen auf die Fahnen geschrieben hat.
Eine nicht unbeträchtliche Anzahl dieser Jugendlichen stammt aus Einwandererfamilien, da viele dieser Familien auf der untersten Stufe der sozialen "Rangordnung" angesiedelt sind und in Trabantenstädten mit "schwieriger Sozialstruktur" leben.
An solchen sozialen Brennpunkten wurden in der Vergangenheit sowohl ein hoher Anteil der in Frankreich lebenden Migranten, als auch einen Teil der "einheimischen" Unterklassen konzentriert. Daher werden die geplanten Gesetzesverschärfungen vor allem junge Migranten aus dem Maghreb und aus anderen Teilen Afrikas treffen.
Zwischen Stigmatisierung und Förderung von Migranten
Eines der ersten Gesetzesvorhaben, mit dem Dati in den kommenden Wochen beschäftigt sein wird und das noch während der sommerlichen Sondersitzung des Parlaments im Juli verabschiedet wird, betrifft das Jugendstrafrecht.
16- und 17jährige, die mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt kamen, sollen künftig nach dem Erwachsenenstrafrecht und nicht nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Es sei denn, dass der Richter in einer schriftlich begründeten Entscheidung einen gegenteiligen Beschluss trifft.
Sarkozy scheint erkannt zu haben, dass er auch die Potenziale und Talente gut qualifizierter Einwandererkinder nutzen muss. Und dafür soll wohl auch die Persönlichkeit von Rachida Dati symbolisch stehen. Aber ansonsten scheute der frühere Innenminister und jetzige Staatschef oftmals nicht davor zurück, Kinder aus Zuwandererfamilien mit sozialen Problemen faktisch zu stigmatisieren.
Der Fußballspieler Lilian Thuram, der für sein Engagement gegen Rassismus bekannt ist, hatte Sarkozy vor der Wahl wiederholt beschuldigt, den Rassismus in der Gesellschaft zu begünstigen. Thuram zufolge habe dieser bei einer privaten Unterredung erklärt, die Schwarzen und die Araber seien für die Probleme in den Banlieues verantwortlich.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2007
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