Über den Wolken
Aufgeben, das stand für Amen Aamir nie zur Diskussion. Auch wenn ihr Traum noch so weit weg schien. Hinter den Wolken, im wahrsten Sinne des Wortes. Schon als kleines Mädchen wünschte sich Amen Aamir nur eins: fliegen. Sie wollte im Cockpit sitzen, Verkehrsmaschinen steuern, Pilotin werden. Seit sie mit ihrer Schulklasse einen Stützpunkt der pakistanischen Luftwaffe besucht hatte, ging ihr der Gedanke nie wieder aus dem Kopf.
Weltweit ist der Beruf noch immer ganz klar eine Männerdomäne, nur etwa fünf Prozent aller Piloten in der kommerziellen Luftfahrt sind weiblich. Und in Amen Aamirs Heimat gab es so etwas bislang noch gar nicht. Bis sie kam.
Die Mauern im Kopf
Amen Aamir ist Pakistanerin und stammt aus Gilgit-Baltistan, einem unter Bundesverwaltung stehenden Sonderterritorium im äußersten Norden des Landes.
Die Region ist sehr ländlich - und sehr konservativ. Ein Mädchen, das so hoch hinaus will wie Amen, passt vielen nicht ins Weltbild. Sie hielt mit ihren Plänen nicht hinter dem Berg, sondern sagte offen, was sie sich vorstellte. Und stieß auf Widerstand in ihrem Umfeld. "Es war nicht leicht, meine Umgebung davon zu überzeugen, dass auch Mädchen in der kommerziellen Luftfahrt arbeiten können. Anfangs waren die Leute aus unserem Dorf sehr skeptisch und fanden meinen Entschluss gar nicht gut."
Mittlerweile hätten die meisten um sie herum es zwar akzeptiert. Aber an dem grundsätzlichen Problem ändere das nichts, so die 22-Jährige. "Die pakistanische Gesellschaft ist so sehr von Männern dominiert. Es gibt Gegenden, da werden Mädchen nicht einmal zur Schule geschickt, weil das gegen die gesellschaftlichen Gepflogenheiten ginge. Dieser Zustand ist das größte Hindernis für jede positive Entwicklung Pakistans."
Mit eisernem Willen
Auch die eigene Mutter war nicht gerade begeistert, als sie von den Berufswünschen ihrer Tochter erfuhr. Wäre es nach ihr gegangen, dann wäre Amen Ärztin geworden oder Lehrerin. So wie ihre ältere Schwester. Die Fliegerei hielt die Mutter für zu gefährlich.
Der Vater dagegen stand von Anfang an auf ihrer Seite. "Mach es, ich unterstütze dich", habe er einfach nur gesagt. Als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Doch das ist es nicht. Tatsächlich ist es eher die Ausnahme. Diese Worte des Vaters bedeuteten viel für Amen. Und sie waren nicht zuletzt auch mit viel Geld verbunden. Denn eine Pilotenausbildung dauert zwei Jahre und ist sehr teuer. Wäre die Familie nicht wohlhabend - der Traum der Tochter wäre allein an den Kosten gescheitert.
Nach dem Schulabschluss und zwei Jahren am College begann Amen 2015, ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Am Rawalpindi Flying Club macht sie ihre ersten Flugversuche. In einem Interview mit der Blog-Seite "Humans of Pakistan Aviation" beschreibt sie diese denkwürdige Erfahrung. "Mein erster Flug war am 10. September 2015, ausgerechnet an meinem Geburtstag. Es war gewissermaßen ein Geschenk meines Fluglehrers. Und ich steuerte eine Cessna 152 AP-BAV."
Gut zwei Monate später dann darf sie ihren ersten Solo-Flug absolvieren. "Das werde ich nie vergessen. Anfangs hatte ich große Angst. Aber dann habe ich es einfach nur genossen. Ich bin auch meinem Lehrer sehr dankbar, er hat mir beigebracht, an meine Fähigkeiten zu glauben. Vor dem Flug sagte er zu mir: 'Du schaffst das, Amen. Du bist eine Löwin.'"
Nachdem sie den Flugschein für Privatflugzeuge in der Tasche hatte, sattelte sie um auf Verkehrsmaschinen. 190 Flugstunden musste sie absolvieren, dazu technisches Training und Theorie-Unterricht. Im Sommer 2017 war es dann geschafft: Amen Aamir bekam ihre Fluglizenz. Seitdem bewirbt sie sich bei pakistanischen Fluggesellschaften auf Stellen. Noch hat sie keinen Job gefunden, aber sie ist optimistisch, dass es damit bald klappt.
"Niemand kann dich stoppen"
Wie gesagt: Aufgeben ist für Amen Aamir keine Option. Hürden sind höchstens Herausforderungen. Man muss eben nur einen Weg finden, um sie zu überfliegen. Das ist auch ihre Botschaft an andere junge Mädchen und Frauen. "Niemand kann euch aufhalten, eure Träume zu verwirklichen. Jede selbstbewusste Frau, die etwas auf sich hält, kann die Gesellschaft ein kleines bisschen verändern. Hört nicht auf das, was die Leute sagen. Lasst euch nicht abhalten, das zu tun, wofür ihr brennt."
Amen wünscht sich, dass ihre Geschichte auch andere inspiriert. Sie hofft, dass künftig mehr Mädchen auch aus den ländlichen Regionen Pakistans dafür kämpfen, altmodische Konventionen und Rollenbilder zu durchbrechen und ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Flügel, sagt sie, hat eigentlich jeder von Haus aus. Es ginge nur darum, sich zu trauen, diese Flügel auch zu benutzen. Und dann müsse man nur noch abheben. Und fliegen.
Esther Felden und Saima Hyder
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