Pakistans Medien als Demokratie-Wächter
Frau Shaheen, die Parlamentswahlen in Pakistan vom 11. Mai 2013 können als historisch bezeichnet werden, denn erstmals in der 66-jährigen Geschichte des Landes wurde eine zivile Regierung von einer anderen abgelöst, ohne dass die Armee intervenierte. Auch lag die Wahlbeteiligung bei knapp 60 Prozent, im Unterschied zu nur 43,7 Prozent bei der Parlamentswahl von 2008. Welchen Einfluss hatten Ihrer Ansicht nach die Medien auf den Wahlprozess und die recht hohe Wahlbeteiligung?
Fauzia Shaheen: Die Medien haben zweifelsohne eine wichtige Rolle während des gesamten Wahlgangs übernommen. Ein Beispiel: In einigen Wahllokalen wurden Wähler beim Ausfüllen der Wahlzettel von der zuständigen Wahlkommission mit Fragen nach ihrer religiösen Einstellung belästigt. Die Medien haben diese Fälle aufgegriffen und über das Fernsehen, das Internet und die Printmedien publik gemacht.
Infolge des Drucks, den die Medien verbreiteten, sah sich die Wahlkommission schließlich dazu gezwungen, Neuwahlen in den besagten Wahllokalen durchzuführen, da die veröffentlichten Videos klar die Wahrheit zeigten. Insofern übernahmen die Medien bei der vergangenen Wahl eine wichtige Regulierungs- und Kontrollfunktion.
Am Wahltag kam es jedoch nicht nur zu Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe, sondern auch zu Anschlägen, bei denen über 29 Menschen getötet und mehr als 90 weitere Personen verletzt wurden. Über 620.000 Sicherheitskräfte sollten den friedlichen Wahlgang überwachen. Inwiefern können die Medien eine gewisse demokratische Schutzfunktion einnehmen und der Gewalt im Land entgegenwirken?
Shaheen: Man kann sagen, dass die Medien in Pakistan in einem bestimmten Umfang zum Garant der Demokratie geworden sind. Es bestand ja die Gefahr, dass die Wahlen durch den Eingriff des Militärs oder irgendwelcher Politiker aufgehoben worden wären. Es war deshalb das Verdienst der Medien, große Teile der Zivilbevölkerung von der Notwendigkeit der Wahlen zu überzeugen, die ein Erfordernis der Demokratie darstellen. Zudem wurden in vielen Fällen Korruptionsvorfälle und Wahlfälschungen von den Medien aufgedeckt. Und genau das sind die entscheidenden Faktoren für die Festigung demokratischer Strukturen in einem Land.
Inwiefern fördern die neuen Medien und sozialen Netzwerke den demokratischen Wandel in Pakistan?
Shaheen: Während der letzten fünf bis zehn Jahre hat sich die Zivilgesellschaft in Pakistan zu einer sehr starken und dynamischen Kraft entwickelt. Sie spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau demokratischer Strukturen, beim Schutz der Menschenrechte. Heute gehen Aktivisten auf die Straßen, benutzen Blogs und soziale Netzwerke, um zu protestieren, wie zum Beispiel gegen das in Pakistan eingeführte Blasphemie-Gesetz oder für die Freilassung von Mumtaz Qadri.
Mumtaz Qadri war Anfang 2011 zum Tode verurteilt worden, nachdem er den Gouverneur der ostpakistanischen Provinz, Salman Taseer, aufgrund seiner Kritik am Blasphemie-Gesetz erschoss. Qadri war zuvor als Leibwächter des Gouverneurs und für dessen Sicherheit zuständig gewesen. Die Ermordung von Gouverneur Salman Taseer hatte liberale Pakistaner schockiert, war aber von radikalen islamischen Parteien begrüßt worden. Für sie wurde der Mörder zum Volkshelden.
Aber in ländlichen Gebieten gibt es nicht so viele soziale Aktivisten wie in der Stadt. Mehr als 50 oder 60 Prozent der Bevölkerung in Pakistan lebt auf dem Land. Dies liegt an der weit verbreiteten Armut, am Bildungsmangel, der schlechten wirtschaftlichen Situation und an der schlechten Stromversorgung in den ländlichen Gebieten. Aber in den meisten städtischen Zentren sind sie sehr aktiv und verfügen über einen guten Bildungsstand.
Welchen Stellenwert nehmen Frauen heute in den pakistanischen Medien ein? Sind sie überhaupt nennenswert präsent?
Shaheen: Gegenwärtig arbeiten nur drei Prozent der pakistanischen Frauen in den Medien. Als ich begann, als Journalistin zu arbeiten, waren es sogar noch viel weniger. Auch wurden ihnen in den Zeitungs- und Fernsehredaktionen die typischen Ressorts zugewiesen: Tätigkeiten im Bereich Unterhaltung, Show-Business etc.
Für mich war bei der Gründung des "Women Media Centres" daher oberste Priorität, Frauen durch Trainingsprogramme gründlich auszubilden, um ihnen eine gebührende Rolle im Medienbereich und in der Gesellschaft einzuräumen. Ich denke sogar, dass viele Journalistinnen intelligenter als ihre männlichen Reporter mit Themen umgehen, da sie sensibler sind und tüchtiger arbeiten. Meine weiblichen Trainees sind in verschiedenen Abteilungen tätig: Sie berichten über die Wahlen in Pakistan und verwirklichen Reportagen zu Konflikten und anderen politischen Themen.
Ich wünsche mir, dass zukünftig jede Frau in den Medien die Chance bekommt, auf einer gleichberechtigten Basis wie die Männer arbeiten zu können. Es gibt bereits einige positive Anzeichen: Immer mehr Frauen steigen heute in den Medienberuf, wenngleich ihre Anzahl bislang noch sehr begrenzt ist. An den Universitäten studieren heute 90 Prozent Frauen, aber in den Medien sind es bisher nur zehn Prozent.
Wie steht es gegenwärtig um die Sicherheit von Journalisten und die Pressefreiheit in Pakistan?
Shaheen: Die Pressefreiheit wird zwar grundsätzlich garantiert, doch treten in Pakistan auch Fälle von Selbstzensur auf. Beispielsweise können wir in Karatschi weder wirklich offen über die in unserer Stadt dominierende Regionalpartei MQM berichten, die für gewalttätige und kriminelle Aktivitäten bekannt ist, noch über die Taliban oder über den islamischen Extremismus.
Interview: Julie Schwannecke
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Fauzia Shaheen ist Präsidentin des Women Media Centre in Karatschi und Chefredakteurin des "Dastak News Magazine". Das Woman Media Centre (WMC) ist eine Nonprofit-Organisation, deren Aufgabe vor allem darin besteht, Frauen im Medienbereich auszubilden und zu trainieren.