Der Kampf der arabischen Christinnen
Im Nahen Osten und Nordafrika haben die Religionsgemeinschaften noch große Macht über das Leben ihrer Mitglieder. Denn der Staat überlässt es ihnen, Fragen von Eheschließung, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaften zu regeln. Islamische bzw. kirchliche Würdenträger entscheiden so über wichtige Fragen im Leben des Individuums.
So brauchen Christen zur Eheschließung den Segen ihrer Kirche, denn eine Zivilehe gibt es bisher nicht (Ausnahme Tunesien). Wenn eine Ehe scheitert, fangen die Probleme an. Die orientalischen Kirchen akzeptieren Scheidungen in der Regel nur im Falle eines Ehebruchs oder dem Übertritt eines der beiden Partner zum Islam.
In der Praxis führt das dazu, dass es für arabische Christen fast unmöglich ist, sich legal scheiden zu lassen. Selbst wer das geschafft hat und die Scheidungsurkunde in der Hand hält, hat weitere Hürden vor sich, wenn er oder sie nochmal heiraten will. Denn für eine zweite Ehe ist eine eigene kirchliche Erlaubnis notwendig, sonst ist sie unmöglich.
Als eine der ersten überhaupt hat die prominente ägyptische Journalistin Karima Kamal das Thema aufgegriffen und über die Not von Paaren geschrieben, die nicht mehr zusammen leben können und doch gezwungen sind, jahrelang beieinander zu bleiben.
Engstirnig beim Thema Scheidung
Kamal gehört zur Minderheit der koptischen Christen, rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung, und hat bei der Tageszeitung "Al Masry al-Youm" die Sozialreportagen verantwortet, inzwischen ist sie in Rente. "Beim Thema Scheidung zeigt sich die koptische Kirche zu engstirnig", sagt sie.
"Die Regeln für Scheidungen sollten dringend geändert werden." 2016 entschied eine koptische Synode zwar, dass nicht nur nach Ehebruch oder Glaubenswechsel, sondern auch nach einer Trennungszeit von drei bzw. fünf Jahren (wenn Kinder vorhanden sind) eine Scheidung möglich sei. Doch das reicht vielen Kopten längst nicht.
Sie machen seit dem Beginn des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 Druck auf ihre Kirche. Mit öffentlichen Kampagnen werben Gruppen wie "Copts 38" oder "Right for Life" für die Zivilehe. Es gibt Protestaktionen in Kirchen und öffentliche "Scheidungsparties" von Betroffenen, die nach jahrelangem Tauziehen ihre Beziehungen auch offiziell beenden dürfen und ihrer Freude Ausdruck verleihen.
Extrem langwierige und teure Verfahren
In Jordanien, wo nur rund drei Prozent der Bevölkerung Christen, meist griechisch-orthodox, sind, hat die Organisation "Young Women's Church Association" (YWCA) das Thema im letzten Jahr verstärkt aufgegriffen und damit viel Resonanz gefunden. Bei Veranstaltungen in mehreren Städten des Landes konnten sich Frauen über das Kirchenrecht und seine Folgen austauschen.
Viele Frauen hätten ihrem Unmut Luft gemacht, sagt die Anwältin Lina Khader. Sie vertritt im Auftrag von Menschenrechtsorganisationen wie "Sisterhood is Global" und "Mizan Law Group" Christinnen, die sich trennen und vor ein kirchliches Gericht ziehen wollen.
"Für uns in Jordanien ist das ein großes Thema", sagt Khader. Die Verfahren vor den kirchlichen Gerichten seien auch für Juristen undurchsichtig, extrem langwierig und für viele Betroffene zu teuer, kritisiert sie. Für ein Scheidungsverfahren müsse man mit bis zu umgerechnet 10.000 Euro an Gerichts- und Anwaltskosten rechnen.
In einem Land wie Jordanien, wo ein Lehrer keine 500 Euro im Monat verdient, ist das ein kleines Vermögen. Die Richter seien fast alles Männer, von der jeweiligen Kirchenhierarchie eingesetzt. Ihnen fehle es an Verständnis für die Lebenswelt von Frauen.
Angesichts einer steigenden Zahl von Scheidungswilligen seien die Kirchengerichte zwar manchmal bereit, auch andere Gründe als Ehebruch und Abfall vom Glauben zuzulassen, meint die Anwältin. Doch der Ausgang der Verfahren hänge vom Ermessen des einzelnen Richters ab.
Problemfall Sorgerecht
Ganz schwierig wird es beim Sorgerecht für die Kinder. Hier folgen die Kirchen der traditionellen islamischen Auffassung, dass Väter die entscheidenden Weichen in Erziehung und Ausbildung stellen sollen. Sie habe schon erlebt, dass vor den kirchlichen Gerichten regelrecht darum geschachert wird, bei wem die Kinder bleiben dürften, meint Khader.
Immerhin etwas Bewegung gibt es seitens der Hierarchie. 2019 hat der griechisch-orthodoxe Patriarch Theofilus III. mit Sitz in Jerusalem eine Reform der Scheidungsverfahren angekündigt, auch bei den mit Rom verbundenen Kirchen werden Verbesserungen diskutiert. Spruchreif ist das alles aber noch nicht.
Unter dem rigorosen Scheidungsrecht leiden natürlich nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Bei einem anderen Thema allerdings sind klar die Frauen benachteiligt, nämlich beim Erbrecht. Nach islamischem Erbrecht hat eine Frau nur Anspruch auf die Hälfte dessen, was einem männlichen Verwandten zusteht.
Dass auch manche Kirchen bei Erbstreitigkeiten islamisches Recht anwenden und damit Frauen benachteiligen, erbost viele Christinnen. Vor allem wenn Land im Spiel sei, würden viele christliche Männer auf der Regelung beharren, meint Anwältin Lina Khader aus Jordanien. Es sei nicht der Staat, der die Kirchen zu dieser Regelung verpflichte. Vielmehr seien die Kirchen in Fragen der Moral genauso konservativ wie die Vertreter des Islam.
In Ägypten hat die koptische Anwältin Huda Nasrallah ihren Fall mit Erfolg durchgefochten und damit einiges Aufsehen erregt. Ihr Vater hatte Nasrallah und ihren beiden Brüdern ein bescheidenes Haus in Kairo hinterlassen. Ihre Brüder seien durchaus bereit, fair mit ihrer Schwester zu teilen, betont Nasrallah. Aber als Anwältin wollte sie das von einem Gericht bestätigt wissen. Es sei nicht einzusehen, dass ihr als Christin nur die Hälfte zustehen würde.
Für ein faires Erbrecht und die Möglichkeit von Zivilehen
In Ägypten werden solche Angelegenheiten (anders als in Jordanien) vor staatlichen Gerichten geregelt, die aber in Familien- und Erbschaftsfragen nach den jeweiligen religiösen Vorgaben urteilen. Bei Muslimen wenden sie bei Familienstreitigkeiten islamisches Recht an.
Die koptische Kirche hat aber bisher ihrerseits bei Erbschaftsfragen islamisches Recht angewendet, obwohl sie dieses nicht tun müsste. Nasrallah zog also vor Gericht und verlor zunächst in zwei Instanzen. Im November 2019 aber gab ihr ein Berufungsgericht in Kairo Recht.
"Viele koptische Männer ziehen es vor, von den islamischen Gesetzen zu profitieren", sagte Nasrallah in einem Interview mit dem Fernsehsender "Al-Jazeera". Aber die koptische Kirche ist nicht gezwungen, für ihre Gläubigen islamisches Erbrecht anzuwenden. Ob das Urteil im Fall Nasrallah ein Einzelfall ist oder Anzeichen für ein generelles Umdenken in der koptischen Kirche, muss sich erst noch zeigen.
Das Urteil wurde auch von Muslimen in der Region aufmerksam verfolgt. Denn auch unter ihnen gibt es Stimmen, die ein faires Erbrecht und eine Zivilehe fordern, auch wenn diese momentan in der Minderheit sind. In Tunesien hat das Parlament 2018 eine Reform des Erbrechts vorgeschlagen, aber noch nicht darüber abgestimmt. Die Gelehrten der Al-Azhar in Kairo lehnten ein gleichberechtigtes Erbrecht sofort als unislamisch ab.
Auch bei der Zivilehe gibt es immer mal wieder Vorstöße. So hat erst vor kurzem die libanesische Innenministerin Raya Al-Hassan, eine sunnitische Muslimin, die Einführung einer Zivilehe in dem Land gefordert. Die Reaktionen kamen prompt. Der maronitische Patriarch und der oberste Mufti im Land lehnten den Vorschlag kategorisch ab. Doch solche Fragen sind kein Tabu mehr und die Diskussion wird weitergehen.
Claudia Mende
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