Der lange Kampf um Emanzipation
Im Gegensatz zu Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan kann Kasachstan gewiss als ein positives Beispiel für den sozialen Status und die Rechte von Frauen gelten, zumal das Land nie von einer ausschließlich patriarchalen Tradition geprägt war.
Ein sichtbares Zeichen hierfür ist auch die Tatsache, dass kasachische Frauen nie den "Paranja" trugen, eine Art Burka, die im Zentralasien der Zeit vor der Sowjetherrschaft recht verbreitet war. Während des Zweiten Weltkrieges kämpften kasachische Frauen sogar Seite an Seite mit den Männern, um ihr Land zu verteidigen. Selbst den Sowjets war dieses Phänomen neu. Prominente Vertreterinnen waren Manshuk Mametova, Hiuaz Dospanova oder Aliya Moldagulova.
Im Kasachstan der Gegenwart hingegen müssen noch zahlreiche Anstrengungen unternommen werden, um Frauen gleiche Rechte zu sichern und überkommene Traditionen sowie soziale Stereotype endgültig zu überwinden. Vor dem Gesetz sind zwar alle gleich – es gibt heute keinerlei Berufe, die nicht von Frauen ausgeübt werden dürfen. Sie sind aktiv in Kleinunternehmen, die schon jetzt etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, und die Anzahl der Frauen in der Politik steigt.
Doch nach der Unabhängigkeit des Landes wurden viele arbeitende Frauen oft mit negativen Aspekten der Sowjet-Ära in Verbindung gebracht. Dies hatte zur Folge, dass viele hochrangige Kasachen und politische Entscheidungsträger die Rückkehr der Frau zur Kindererziehung favorisierten.
Ermutigende Signale
Nichtsdestotrotz belegen jüngste Statistiken fortschrittliche Tendenzen hinsichtlich der Frauenrechte: Staatlichen Angaben zufolge sollen bereits im Jahr 2016 etwa 30 Prozent der Politiker weiblich sein. Zum ersten Mal in der Geschichte des zentralasiatischen Landes machen Frauen in der Majjlis (Unterhaus des kasachischen Parlaments) einen Anteil von 24 Prozent aus. Und 2020 sollen die Löhne weiblicher Beschäftigter nicht weniger als 80 Prozent von dem betragen, was ihre männlichen Kollegen verdienen. Sogar unabhängige Nichtregierungsorganisationen bestätigen diesen positiven Trend.
Nach Meinung einiger Aktivisten ist die Aussicht, dass eine Frau Präsidentin werden könnte, nicht mehr so unrealistisch wie es früher noch schien. "Ich denke, eine Frau könnte in naher Zukunft Präsidentin werden", erklärt Dr. Raushan Sarsembaeva, Vorsitzende der Kasachischen Vereinigung der Unternehmerinnen. "Wir haben drei Ministerinnen und elf Frauen arbeiten in Führungspositionen in insgesamt 19 Ministerien – zum Beispiel als Stellvertreterinnen von Ministern oder Chefsekretärinnen. Das Land und die Einstellungen verändern sich. Alles scheint möglich."
"Generell sind Frauen in der kasachischen Gesellschaft heute freier", meint auch die Familienpsychologin Maira Kabakova. "Sie fangen an, ihre eigenen Berufe, Wohnorte und Partner selbst zu wählen."
Laut Kabakova hätten Frauen heute neue Möglichkeiten und Aussichten, um sich beruflich selbst zu verwirklichen und in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu partizipieren. "In modernen kasachischen Familien sind beide Ehepartner gleichberechtigt. Während Männer einst die 'Herren im Haus' waren, ist Familienplanung heute eine Aufgabe sowohl für die Frauen als auch für die Männer. Unterschiede gibt es heute eher abhängig von den Möglichkeiten und Fähigkeiten anstatt vom Geschlecht."
Patriarchalische Überreste
Aber neben diesen gesellschaftlichen Faktoren bleibt der Fortschritt der Frauen selbstverständlich eine Sache der Einstellung. Nicht alle kasachischen Männer sind glücklich darüber, dass Frauen versuchen, in ihre traditionellen Bereiche vorzudringen. Sie misstrauen der Gleichberechtigung der Frau und wehren sich, ihnen größere gesellschaftliche Macht einzugestehen. Kasachstan ist noch immer ein von Männern dominiertes Land und manche patriarchale Überreste lassen sich auch weiterhin nicht leugnen.
Um berufliche Karriere machen zu können, müssen kasachische Frauen nach wie vor doppelt so hart arbeiten wie Männer und verdienen nur zwei Drittel von dem, was Männer verdienen. Der Aufstieg der Frauen wird sozusagen von einer "gläsernen Decke" blockiert. Der Durchschnittslohn kasachischer Männer liegt derzeit immer noch 40 Prozent höher als der von Frauen.
Obwohl es auch im Sowjetsystem Frauen verboten war, in Führungspositionen zu gelangen, erinnern sich viele kasachische Frauen immer noch gerne an einige Privilegien, die sie zu Sowjetzeiten genossen. "Das sowjetische Sozialsystem basierte auf dem Arbeitspotenzial der Frauen", sagt Yevgeniya Kozyreva von der Kasachischen Feministinnen-Liga. "Wir hatten freie Bildung und medizinische Versorgung, preiswerte Schulen für unsere Kinder, Freikarten für Sommercamps für Kinder und Reha-Zentren für Erwachsene. Wir konnten sogar kostenfrei bei Kommunen wohnen oder billige Appartements bekommen. All diese Vorteile eröffneten den kasachischen Frauen die Chance, sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen einzubringen."
Doch diese Zeit ist längst vorbei. Das einzige, was heute für die Allgemeinheit kostenfrei bleibt, ist die weiterführende Schule. Dies zwingt viele Frauen dazu, zuhause bei ihren Kindern zu bleiben.
Konservative islamische Einflüsse
Neben der sowjetischen "Pseudoemanzipation" und die landestypischen, patriarchalen Traditionen, wird die Emanzipation der Frau heute noch mit einem anderen Hindernis konfrontiert: der Islam. "Frauen und Mädchen waren in der kasachischen Gesellschaft immer hoch angesehen", meint Sarsembaeva von der Kasachischen Vereinigung der Unternehmerinnen. "Doch wollen nun einige Männer mit dem Koran die Polygamie rechtfertigen und in die kasachische Gesellschaft einführen."
Yevgenia Kozyrevas Meinung nach stellt der Islam ein immer größer werdendes Problem für die kasachischen Frauen dar. "In einigen Regionen hat ein konservativer Islam Einzug gehalten, der sonst nur in der arabischen Welt praktiziert wird", meint die kasachische Feministin. "Viele Frauen sind davon betroffen. Manchmal werden sie von ihren Männern gezwungen, ihren Körper zu verhüllen und spezielle Kleidung zu tragen." Diese habe nichts mit der traditionellen kasachischen Kleidung zu tun, so Kozyreva.
Die selbstbewusste kasachische Feministin verweist auf die lange Tradition der kulturellen Vielfalt und der friedlichen Koexistenz in Kasachstan. "Wir sind es gewohnt, uns in verschiedenen Kulturen und Traditionen zu bewegen. Ein Beispiel sind unsere Feiertagen: Wir feiern sowohl katholische und christlich-orthodoxe Weihnachten, den zentralasiatische Frühlingsbeginn 'Nauriz' oder das chinesische Neujahr. Das Miteinander kultureller und religiöser Traditionen bereichert unser Leben", erklärt Kozyreva.
Marina Khegay
© Qantara.de 2012
Aus dem Englischen von Fabian Schmidmeier
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de