Aus Angst vor den Extremisten wird im Geheimen trainiert
Der Alltag der afghanischen Frauen unterscheidet sich sehr von dem ihrer Geschlechtsgenossinnen in den Nachbarländern. Sie führen ein Leben in extremer Isolation. Der Systemwechsel und der Sturz der ehemaligen Herrscher brachte für sie praktisch keine Veränderungen mit sich, da die Gesellschaft noch immer an den alten Sitten und Gebräuchen mit all ihren positiven und negativen Aspekten festhält.
Kaum ein Politiker wagt es, offen und direkt die Änderung dieser Situation zu fordern. Man flüchtet sich in mehrdeutige Anspielungen und begnügt sich mit dem vagen Hinweis, das Rollenverständnis der afghanischen Frau müsse sich ändern.
Und doch wurde vor einiger Zeit das erste Fitness- und Beauty-Center für Frauen in Afghanistan eröffnet. Aus Respekt gegenüber den gesellschaftlichen Traditionen und aus Furcht, mit ihren Aktivitäten auf Ablehnung zu stoßen, wird der Trainingsort allerdings geheim gehalten.
An der Fassade des Gebäudes deutet nichts darauf hin, dass sich darin ein Fitness-Center für Frauen befindet. Lediglich ein Schild weist auf einen Friseursalon für Frauen hin.
Im Gebäudeinneren befindet sich unter anderem ein moderner Friseursalon, auch eine kosmetische Behandlung und Maniküre werden angeboten. Und neben all diesen Annehmlichkeiten gibt es auch einen voll ausgestatteten Fitness-Club für Afghaninnen jeden Alters, für Verheiratete und Unverheiratete, die ihre Körper in Form halten wollen.
An den Geräten herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Im Hintergrund läuft leise westliche Musik. Auf der 20 qm großen Fläche des Clubs stehen 13 Geräte zur Auswahl. Es gibt Stepper, Laufbänder und spezielle Fatburner für Bauch und Oberschenkel, außerdem Gewichte.
Eine gute Figur muss sein
Seit dem Sturz des alten Regimes erfreuen sich die jungen afghanischen Frauen ungeahnter Möglichkeiten hinsichtlich der Ausübung verschiedenster Sportarten. Seit Mitte des Jahres 2003 sind in den meisten großen Städten des Landes insgesamt 62 Sportclubs eröffnet worden. Elf davon liegen in den Regionen Balkh, Herat, Kandahar, Kundus, Baghlan und Barwan, der Rest ist in der Hauptstadt Kabul lokalisiert.
Doch in diesen öffentlichen bzw. öffentlich bekannten Clubs werden überwiegend Kampfkünste trainiert, wie Karate und Judo, oder auch Tennis und Volleyball gespielt. Besucht werden sie von Mädchen und jungen Frauen, die in einer Gruppe ihre spezielle Sportart treiben wollen.
Im einzigen afghanischen Fitness-Club jedoch geht es den meist verheirateten Frauen nicht um die Mitgliedschaft in einem Sportclub, sondern um die Steigerung ihrer Attraktivität und die Erhaltung ihrer Gesundheit.
Obwohl die Hauptstadt Kabul die modernste und fortschrittlichste Stadt Afghanistans ist, ist die Besitzerin des Fitness-Clubs, die 20-jährige Nimat Suratandjir, davon überzeugt, dass ihr Club noch immer einen Fremdkörper in der afghanischen Gesellschaft darstellt. Höchste Vorsicht sei geboten, so sagt sie, denn die Menschen seien noch nicht bereit, eine so Aufsehen erregende Neuerung akzeptieren.
Investieren in die schlanke Linie
Im Dezember 2004 investierte Nimat, die auch als Trainerin arbeitet, 1500 Dollar aus ihren Ersparnissen und denen ihrer Familie, um den Frauenclub zu eröffnen. Ihr Mann, so sagt sie, unterstützte sie in jeglicher Hinsicht bei der Umsetzung ihrer Idee. 800 Dollar zahlt sie im Monat für die Miete, viel Geld in einem Land wie Afghanistan.
Vor der Besetzung des Landes durch die Amerikaner konnten westliche Ausländer Häuser mit Swimmingpool für monatlich ungefähr 200 Dollar mieten. So etwas bekommt man heute erst für 3000 Dollar aufwärts. Allen voran ist es dieser Umstand, der der Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge aus Pakistan entgegensteht.
Ihre Kundschaft besteht überwiegend aus verheirateten Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder etwas für ihre Figur tun wollen. Die wenigen unverheirateten Frauen, die den Club aufsuchen, wollen einfach körperlich in Form bleiben.
Die monatlichen Kosten für die Mitgliedschaft im Club belaufen sich auf 50 Dollar, was 2500 Afghani entspricht. Da viele Frauen sich diesen Betrag nicht leisten können, nimmt Nimat sie für weniger Geld auf – und macht damit ein Verlustgeschäft. Doch mittlerweile hat Nimat 15 Stammkundinnen, die gerne noch mehr trainieren möchten, sobald sie in der Lage ist, ihren Gerätebestand zu vergrößern.
Ali Matar
Übersetzung aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara.de 2005
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