Kamila Shamsie: Kartographie

Ein großer Roman über die Freundschaft und Liebe zweier junger Menschen vor dem Hintergrund ethnischer und politischer Unruhen im Pakistan der letzten drei Jahrzehnte.

Von Alexander Kudascheff

Das ist ein leichtes und ein schwieriges, weil nicht leicht zugängliches Buch. Denn: zum einen handelt es sich schlicht um einen Roman über eine Freundschaft und die Liebe. Es handelt von einem Mann und einer Frau, von ihren Freunden, von ihren Eltern, von ihrem Leben, von ihren Ausflügen, von ihren Wünschen, Sehnsüchten, Schwierigkeiten. Nichts ungewöhnliches also.

Und doch ist es auch ein schwieriges, ein komplexes Buch. Denn der Roman spielt in Pakistan, genauer in Karatschi, dem Hort und Fluchtpunkt islamistisch-fundamentalistischer Terroristen. Der Stadt, in der auf grausame Weise der amerikanische Journalist Pearl vor zwei Jahren ermordet wurde. Der Stadt, in der die Probleme des muslimischen Pakistans sich wie in einem Brennglas bündeln.

"Kartographie" heißt der Roman, den die gut dreißig-jährige Kamila Shamsie geschrieben. Shamsie stammt aus Pakistan und lebt abwechselnd in London und in Karatschi, der Stadt, in der der Roman über das Freundespaar Raheen und Karim spielt.

Karim und Raheen wachsen zusammen auf. Ihre Eltern sind befreundet. Sie haben allerdings - ein Geheimnis, das im Laufe des Romans immer wichtiger wird - vor ihrer Ehe die Frauen getauscht, denn Raheens Vater war mit Karims Mutter verlobt, bis er sie verließ. Die Gründe: sie liegen in der Geschichte Pakistans und Karatchis begründet.

Der Ruf ist wichtiger als die Wirklichkeit

Pakistan ist aus dem indischen Unabhängigkeitskampf 1947 als muslimischer Staat entstanden. Und dann kam das Jahr 1971, als Ost- und Westpakistan in einen Bürgerkrieg versanken, aus dem schließlich der Staat Bangladesh entstand. Und in diesem Konflikt wurde deutlich, dass im muslimischen Pakistan sehr wohl Rassismus herrscht - zum Beispiel gegenüber den Bengalen, die man einfach nicht heiratet, auch in Karatschi nicht.

Karim und Raheen wachsen zusammen auf. Sie erleben ihre Jugend als tiefe, als innige Freundschaft, die ununterscheidbar ist von tiefer Liebe - ohne Sexualität, aber nicht ohne Erotik. Dann trennen sich ihre Wege.

Karim geht nach London, Raheen studiert in den USA. Sie halten mit Briefen Verbindung - dann führt sie ihr Weg zurück nach Karatschi. Und dort erleben sie eine Stadt, die gewalttätig ist, die von Unruhen geprägt ist, in der man seines Lebens nicht sicher sein kann. Und dort erleben sie die Geschlossenheit einer auch verlogenen muslimischen Welt, in der der Ruf mehr zählt als die Wirklichkeit. Und hier entschließt sich Karim seinen Lebenstraum zu beginnen: er will eine Land- und Straßenkarte Karatschis erstellen. Und das gibt dem Roman schließlich seinen Titel: Kartographie.

Fazit: ein lesenswerter Roman über eine Freundschaft, die wie Liebe ist, in einer fremden Welt, im chaotischen Karatschi.

Alexander Kudascheff

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

Kamila Shamsie
Kartographie
Berlin Verlag, 2004
ISBN 3-8270-0521-3
24.00 EUR
Berlin Verlag