Arabische Ignoranz gegenüber internationalem Recht
Bevor der Internationale Gerichtshof den Haftbefehl gegen Sudans Präsidenten Omar Bashir wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erließ, ergab eine Umfrage im vergangenen Monat, dass 91% der arabischen Öffentlichkeit davon überzeugt ist, dass die Anklagen des Internationalen Gerichtshofes politisch motiviert seien.
Doch diese 91 Prozent machen sich kein Bild von den Grausamkeiten, wie sie in Darfur begangen wurden – nicht von den Gründen und von der Art und Weise, noch von den Beweggründen des hier Angeklagten.
Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft
Die Rolle des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshofes gebietet, dass dieser eine mögliche Straffreiheit verhindert, den Missetaten Einhalt gebietet und den Gewalttaten in Darfur ein Ende bereitet, indem er diejenigen, welche die Verbrechen begangen haben, zur Rechenschaft zieht. Seine Rolle ist unverzichtbar, da ohne Gerechtigkeit für Darfur kaum ein dauerhafter Frieden zu erreichen sein wird.
Wenn der Internationale Gerichtshof gegenwärtig über genügend Beweise verfügt, um einen arabischen Staatschef für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaften zu können, so ist dies weitestgehend darauf zurückzuführen, dass die internationale Gemeinschaft – einschließlich der arabischen Länder – in den vergangenen sechs Jahren wenig unternommen hat, um Bashir Einhalt zu gebieten.
Vielleicht ebenso wichtig für die Notleidenden in Darfur ist, dass der Beitrag der arabischen Welt zu humanitärer Hilfe in der Region über die letzten Jahre hinweg im Vergleich zu westlichen Hilfsbemühungen als beschämend bezeichnet werden muss.
Der ICC fordert Gerechtigkeit – auch für Muslime
Einige arabische Außenminister sehen das Vorgehen des Internationalen Gerichtshofes als gefährlichen Präzedenzfall, weil das Organ einen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt erlassen hat. Doch die Frage, die man sich hier stellen sollte ist: Soll es einem Präsidenten möglich sein, Verbrechen gegen sein eigenes Volk begehen und damit ungestraft davon kommen zu können?
In dieser Hinsicht würde es sich tatsächlich um einen gefährlichen Präzedenzfall: Wenn man nämlich über die Verbrechen des Staatsoberhauptes hinwegzusehen bereit ist und in Kauf nimmt, dass er ungestraft davon kommt.
Arabische Offiziellen, welche nun dem Internationalen Gerichtshof vorwerfen, parteiisch zu sein, sollten sich in Erinnerung rufen, dass die Opfer dieser Gewalttaten – einschließlich der 300.000 Zivilisten, welche zwischen 2003 und 2008 in Darfur getötet wurden – Muslime sind.
Ebenso wie die 2,5 Millionen vertriebener Menschen, welche während der vergangenen 6 Jahre in Zelten und Flüchtlingslagern gelebt haben, gar nicht zu sprechen von den zahllosen Frauen, die während der gewaltsamen Auseinandersetzungen vergewaltigt wurden.
In diesem Fall steht der Internationale Gerichtshof für die Rechte der Muslime ein. Einigen Arabische Führer scheint diese Tatsache entgangen zu sein.
Präsident Bashir bestreitet alle gegen ihn vorgebrachten Anklagen und erkennt weder den Internationalen Gerichtshof, noch sein Urteil an. Und er ist natürlich unschuldig, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihm die Schuld nachgewiesen werden kann.
Falls man ihm dann tatsächlich keine Gräueltaten nachweisen kann und er das Gericht als freier Mann verlässt, wäre zudem auch bewiesen, dass es sich bei dem Verfahren nicht etwas um eine internationale Verschwörung gegen ihn gehandelt hat.
Die Balkan-Kriege und das Srebrenica-Massaker
Ohne Zweifel hat die internationale Gerichtsbarkeit und Ordnung nach wie vor mit ihren Mängeln zu kämpfen. Doch mittlerweile hat der Internationale Gerichtshof damit begonnen, Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen. Zudem ist dies nicht das erste Mal, dass der Gerichtshof versucht hat, einen Präsidenten, welcher Muslime töten ließ, zur Verantwortung zu ziehen.
Auf Druck des Internationalen Gerichtstribunals für das ehemalige Jugoslawien (einem anderen internationalen Gerichtshof, welcher in Den Haag aufgestellt ist) wurde der bosnisch-serbische Führer Radovan Karadzic verhaftet.
Karadzic wurde gerade erst letztes Jahr auf Grund der Anklage, tausende von bosnischen Muslimen in den Balkan Kriegen der 1990er Jahre getötet zu haben – insbesondere im Verlauf des Srebrenica Massakers von 1995, bei dem rund 8.000 muslimische Männer und Frauen kaltblütig ermordet wurden.
Das Problem ist, dass die Araber sich selbst aus dem internationalen Gerichtssystem heraushalten. Sie verhalten sich, als ob sie sich von der Gerichtsbarkeit angegriffen wären, anstatt sie als Hilfe zu sehen, mit welcher Gerechtigkeit geschaffen werden kann, zu ihrem eigenen Wohlergehen und im eigensten Interesse.
Dieses Verhalten entspringt aus der gleichen Haltung wie bei den Vereinigten Staaten, die den Internationalen Gerichtshof bis heute nicht anerkannt haben, aus Angst, dass amerikanische Bürger im Ausland verhaften und verurteilt werden könnten.
Dieses Gericht ist allerdings ein wahrhaft internationales Gericht und nicht ein westliches Verschwörungsinstrument oder ein "Kolonialisierungs-Instrument", wie uns das sudanesische Regime glauben lassen möchte. Die drei Richter kommen aus drei verschiedenen Kontinenten; einer ist Ghaner, der zweite ist Brasilianer und der Dritte ein Lette.
Risiko der Destabilisierung
Die kurze Geschichte der Internationalen Justiz zeigt, dass internationale Gerichtshöfe nicht schnell darin sind, Fälle zu lösen. Jetzt, nach Jahren der Apathie gegenüber dem Massaker in Darfur, findet sich die sudanesische Regierung, zusammen mit anderen arabischen Regierungen damit konfrontiert, dass ihr nur wenige Optionen bleiben.
Die regierende Sudanesische Nationale Kongress Partei (NCP) könnte einen neuen Präsidenten wählen und Omar Bashir dem Gericht übergeben bzw. ins Exil schicken. Die NCP und Baschir können ebenso entscheiden, im Status quo zu verharren und den Friedensprozess und die Stabilität in Darfur als Geisel ihres Wunschdenkens halten.
Dies ist ein Weg, den ein Führer wählen würde, der nicht gewillt ist, seinen Menschen zu Gerechtigkeit und Frieden zu verhelfen. Dadurch würde ein enormes Risiko für den Sudan und die ganze Region entstehen.
Falls die NCP weiter diese Ungerechtigkeit und Ungestraftheit zulässt und die Option der Konfrontation wählt, wird spekuliert, dass die NCP den Ausnahmezustand ausrufen könnte und die politische Opposition im Lande gewaltsam niederschlagen würde.
Davon wäre natürlich auch die Oppositionsgruppen in Darfur betroffen, die Regierung würde ihnen zeigen wollen, dass sie den Verhaftungsbefehl des Internationalen Gerichtshofes nicht für ihre politischen Interessen einsetzen können.
Die Strategie der NCP ist es, die politische Krise zu überleben – und zwar auf Kosten der Demokratie. Dies hätte weitere Destabilisierung innerhalb des Sudan zur Folge, da sich im Land unausweichlich Widerstand regen wird.
Die Sudanesische Volksbefreiung Bewegung (SPL/M), der Regierungspartner der NCP, könnte starken Widerstand gegen die Versuche der Hardliner innerhalb der NCP ausüben, den Friedensprozess zu torpedieren.
Die Option eines Machtwechsels im Sudan
Die arabischen und internationalen Verbündeten des Sudans haben ein starkes Interesse an der Stabilität des Landes, und auch sie müssen Druck auf das Regime ausüben, damit es weniger offensiv agiert.
Ägypten, mit seinem Interesse an regionaler Stabilität und dem Zugang zum Nilwasser, und die Golfstaaten mit ihren enormen wirtschaftlichen Investitionen in Sudans Landwirtschafts- und Immobilien-Sektor, sollten die NCP drängen, Strafverfolgung zu initialisieren und ernsthaft die Einführung eines rechtsstaatlichen Systems umzusetzen.
Sudans Freunde müssen zudem mit anderen Akteuren zusammenarbeiten, um einen wirklichen Machtwechsel im Sudan herbeizuführen, anstatt lautstark das Internationale Recht zu kritisieren.
Falls die NCP schließlich doch entscheiden sollte, Bashir an der Macht zu lassen, wird es in den nächsten Jahren nicht zu einer Verurteilung kommen. In diesem Fall wird Bascirs Sudan ein Pariah-Staat mit einem zunehmend isolierten Präsidenten. Bashir wird nicht einmal mehr in der Lage sein, reisen zu können – aus Angst verhaftet zu werden.
Und er wird in seinem eigenen Land ständig über seine Schulter schauen müssen, ständig von der Frage gequält, ob und wann Sudans Mächtige – auch die in seiner eigenen Partei – entscheiden werden, dass er eine Last geworden ist und es Zeit für ihn ist zu gehen.
Nadim Hasbani
© Al-Hayat / Qantara.de 2009
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Gerard Prunier ist wütend. Sein Buch über den Krieg in Darfur macht dies deutlich. Darin beklagt er das Desinteresse der internationalen Gemeinschaft, sich mit dem Konflikt in Darfur ernsthaft auseinander zu setzen. Annette Weber hat es gelesen.
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