Gerichtsstatut mit Tücken
Es ist schon ein wenig still geworden um den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Die erste heftige Streitwelle zwischen Europa - wo die größten Befürworter des ständigen Gerichts sitzen - und den USA - die entschiedensten Gegner - ist längst überstanden.
Und seitdem hört man nur noch, dass Chefankläger Luis Moreno-Ocampo in regelmäßigen Abständen neue Fälle übernimmt. Mit Kongo, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik hat es angefangen. Da waren es die betroffenen Regierungen selbst, die Den Haag um Hilfe anriefen.
Dazu ist Moreno-Ocampo vom UN-Sicherheitsrat vor zwei Jahren auch mit Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der sudanesischen Krisen- und Kriegsprovinz Darfur beauftragt worden - allerdings gegen den Willen Khartoums.
Anfangs blockierte der Sudan die Ermittlungen des Gerichts. Kein Wunder, meint der Pariser Völkerrechtler Hadi Shalluf:
"Die sudanesische Regierung ist per Statut nicht verpflichtet, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten, weil der Sudan das Statut ja nicht selbst ratifiziert hat. Wenn der Sudan die Rechtssprechung des Gerichts anerkennt, dann hat die Regierung natürlich diese Verpflichtung. Aber bisher hat sie sich noch nicht geäußert, ob sie das Gericht akzeptiert."
Schwierige Ermittlungen
Das erschwert die Arbeit des Gerichts. Hinzu kommt, dass das Morden und Plündern in Darfur immer weiter geht. Und weil die Anklage sich wohl in erster Linie auf Aussagen von Augenzeugen der Verbrechen stützen muss, hat man viele Befragungen in den Flüchtlingslagern durchführen müssen.
Herausgekommen ist dennoch einiges, was bereits vor einem Jahr der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan dem Chefankläger in einem versiegelten Umschlag überreicht hat: eine Liste mit 51 Namen mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Die Namen werden zwar noch geheim gehalten, aber es ist durchgesickert, dass es sich um hochrangige Angehörige aller Konfliktparteien in Darfur handelt. Dazu zählen Anführer der Dschandschawid-Reitermilizen, verschiedener Rebellengruppen und sogar Mitglieder der sudanesischen Regierung.
In Khartoum macht man mittlerweile Zugeständnisse. Die sudanesische Regierung hat den Ermittlern Einsicht in ihre Darfur-Akten gestattet. Und sie hat dem Chefankläger mitgeteilt, dass bereits 14 Personen wegen Kriegsverbrechen in Darfur verhaftet worden seien und sie nach Den Haag ausgeliefert werden könnten.
Wer diese 14 Personen seien, behielten die Behörden in Khartoum aber bisher für sich, sagt Shalluf. "Sie sagen nichts zur Identität der Inhaftierten. Vielleicht sind es Dschandschawid, vielleicht sind es Angehörige anderer Gruppen, die eine Unabhängigkeit für Darfur fordern."
Offene Fragen
Um diese und weitere offene Fragen zu klären, will Shalluf so bald wie möglich mit Chefankläger Moreno-Ocampo in den Sudan reisen. Erst wenn alle diese Informationen zusammen sind, will Den Haag entscheiden, gegen wen tatsächlich Anklage erhoben wird.
Ursprünglich anvisiert war hierfür Mitte Februar dieses Jahres, aber das will Shalluf nicht bestätigen. Ohnehin ist der französische Jurist sehr zurückhaltend, wenn es um konkrete Aussagen geht - wohl auch aus Angst, dass der dünne Draht zwischen Den Haag und Khartoum leicht wieder reißen könnte.
Weitaus offener ist Hadi Shalluf jedoch bei einer anderen Sache; das Statut des Gerichtshofs, sagt er, habe seine Tücken. So ist seiner Meinung nach der UN-Sicherheitsrat zu mächtig.
Dieser kann einen Fall nicht nur nach Den Haag überweisen - wie eben bei Darfur erstmals geschehen - sondern auch wieder stoppen. Sollte also plötzlich dort eine Mehrheit für ein Aussetzen der Gerichtsprozesse zu Darfur sein, dann könnte das sogar bedeuten, dass die Richter einen Angeklagten wieder auf freien Fuß setzen müssten, weil man ihn ja nicht mehr in Den Haag in Gewahrsam halten dürfte.
Rechtliches Schlupfloch
Und selbst für den Sudan, der ja bisher den Internationalen Gerichtshof nicht akzeptiert, gibt es laut Hadi Shalluf ein Schlupfloch:
"Wenn der Sudan zum Beispiel 2007 das Statut ratifiziert, dann können wir in Den Haag nicht mehr über Verbrechen verhandeln, die vor diesem Ratifizierungs-Datum begangen wurden. Das ist eine rechtliche Frage, und nicht etwa Ansichtssache."
Kurios aber theoretisch möglich. Eine Unterschrift der Regierung in Khartoum unter das Statut würde reichen, um sämtliche Strafverfahren mit sofortiger Wirkung für immer zu stoppen. Denn dann dürften nur noch Verbrechen, die nach diesem Datum stattfinden, vor den Gerichtshof gebracht werden. Dann kämen alle bisherigen Täter straffrei davon.
Klaus Dahmann
© Deutsche Welle 2007
Qantara.de
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