Auf dem Weg zum Stellvertreterkrieg?
Besonders aufschlussreich ist der Rückblick auf den Bürgerkrieg, der den Nordjemen zwischen 1962 und 1967 heimsuchte. Auslöser war ein Militärputsch gegen die zaiditische Theokratie. Der Putsch wurde maßgeblich von Ägypten unterstützt, das damals ebenso wie Saudi-Arabien die Regionalpolitik der arabischen Welt dominierte.
1962 war die arabische Welt in zwei Lager geteilt: Das von Ägypten angeführte Lager verfolgte eine panarabisch-sozialistische Ideologie, während das von Saudi-Arabien angeführte Lager die eher westlich orientierten, konservativen Regierungen vertrat. Ägypten unterstützte die panarabischen Kräfte in diesen Ländern mit dem Ziel, die konservativen Regierungen zu stürzen.
Der Staatsstreich im Jemen ging auf eine solche Gruppe zurück. Die jemenitischen Offiziere als Urheber des Aufstands und als Mitglieder der Bewegung "Freie Offiziere" traten gegen das herrschende Imamat an.
Die offensichtliche Rolle Ägyptens bei diesem Staatsstreich und insbesondere der zügige Einsatz von Truppen im Jemen wurden von Saudi-Arabien als unmittelbare Bedrohung empfunden. Die Saudis reagierten ihrerseits mit Unterstützung des jemenitischen Königshauses. Der Regionalkonflikt zwischen Ägypten und Saudi-Arabien entwickelte sich im Jemen schnell zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Republikanern und Royalisten.
Warum erinnere ich gerade jetzt an dieses Kapitel der Geschichte?
Die Parallele zwischen dem Bürgerkrieg der 1960er Jahre und den saudischen Luftschlägen gegen die zaiditische Huthi-Miliz und Anhänger des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih ist folgende Überlegungen wert:
1. Die Angriffe Saudi-Arabiens folgten auf Bitte eines Konfliktbeteiligten
1962 intervenierten die Saudis, nachdem der letzte zaiditische Imam, Muhammad al-Badr, nach Saudi-Arabien floh und um ein Eingreifen bat.
Auch heute folgte das Eingreifen der Saudis auf Bitte des zurückgetretenen Präsidenten Abd-Rabbu Mansour Hadi, der aus seinem Land floh, als es von der zaiditischen Huthi-Miliz angegriffen wurde.
Ob das Hilfeersuchen des zurückgetretenen Präsidenten rechtmäßig ist oder nicht, bleibt zu diskutieren. Fest steht jedoch, dass er einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit hat gewiss schon vor längerer Zeit verloren hat.
Das Vorgehen der Huthi-Miliz, die vom ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih unterstützt wird, die Besetzung der Hälfte des Landes und die arrogante Zurückweisung von Verhandlungsangeboten bereiteten den Boden für die saudischen Luftschläge.
Die Saudis werden durch ihre Luftschläge allerdings zu Konfliktakteuren. Selbstverständlich sollte ein Verhandlungsabkommen regionalen Charakter haben, aber eine stärkere Rolle des Sultanats Oman und der Europäischen Union würde dem Prozess zugute kommen.
2. Konfessionelle Unterschiede sind nicht die Hauptursache dieses Konflikts
Trotz der Bedeutung der Differenzen zwischen Sunna und Schia liegt in der Glaubensrichtung nicht die Hauptursache des Konflikts. Im Bürgerkrieg von 1962 stand Saudi-Arabien auf der Seite der zaiditischen Royalisten. Die heutigen Huthis sind die Enkel der Royalisten aus den 1960er Jahren!
Der ehemalige Präsident Ali Abdullah Salih, der den Jemen 30 Jahre lang regierte und ein enger Verbündeter Saudi-Arabiens war, ist ebenfalls Zaidit, wenn auch aus einer anderen Stammeslinie. Sofern es um die Bildung von Allianzen und um kriegerische Auseinandersetzungen geht, ist Saudi-Arabien offenbar bereit, konfessionelle Differenzen zu überwinden.
Wie schon 1962 sehen die Saudis auch heute den Jemen als wichtigen geografischen Raum für ihre eigene Sicherheit und Stabilität. Die Machtübernahme der Huthis in Verbindung mit einer Ausweitung der Einflusszone des Iran musste auf die Saudis alarmierend wirken – zumal die USA gegenwärtig ihre regionalen Allianzen verschieben und auf den Iran zugehen. So gesehen hat dieser Konflikt eine geopolitische Dimension. Es handelt sich um einen regionalen Kampf um Einfluss und Vorherrschaft auf der Arabischen Halbinsel. Und tatsächlich haben wir es mit einem Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran zu tun – in gleicher Weise, wie der Bürgerkrieg der 1960er Jahre ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Ägypten war.
3. Die Luftschläge werden vor dem Hintergrund eines inneren Machtkampfs in Saudi-Arabien geführt
Wir sollten einen wichtigen Aspekt nicht außer Acht lassen: Im Bürgerkrieg der 1960er Jahre erreichte ein Machtkampf im saudischen Königshaus seinen einstmaligen Höhepunkt. Der regierende König Saud war für seine Inkompetenz und vor allem für seine impulsive Außenpolitik bekannt. Dies gipfelte in einer Palastrevolte, in der er von der Familie zum Abdanken gezwungen wurde. Neuer König wurde sein ältester Bruder Faisal (1964-1975).
Analog dazu hat der Tod von König Abdullah Ende Januar 2015 einen schwelenden Machtkampf innerhalb der Familie ins Blickfeld gerückt. Noch vor der Beerdigung des Königs sicherten sich die Mitglieder des Sudairi-Zweigs der königlichen Familie ihre Stellung in der neuen Ordnung. Der an Alzheimer erkrankte König Salman ernannte seinen Sohn Mohammed zum Verteidigungsminister und Chef des Hofes. Stellvertretender Kronprinz wurde Innenminister Mohammed Bin Nayef. Aufgrund dieser Änderungen wurde ein anderer Zweig der Familie aus dem Spiel genommen: die Söhne des verstorbenen Königs und deren Verbündete in der Familie.
Hier haben wir es genau mit dem Gegenteil dessen zu tun, was in den 60er Jahren geschah. Die Ernennung von Mohammed ibn Salman zum Verteidigungsminister sorgte bei vielen für Stirnrunzeln. Der Sohn des Königs gilt als sehr jung (Insider behaupten, er sei 29 Jahre alt, nicht 35, wie offiziell angegeben), unerfahren oder gar triebhaft.
Es sollte uns zu denken geben, dass die USA und das Sultanat Oman von den saudischen Luftschlägen überrascht wurden. Die Vereinigten Staaten wurden von den Saudis nur wenige Stunden vor Beginn der Luftschläge unterrichtet, heißt es laut einer von Senator McCain nach den Luftschlägen durchgeführten Anhörung im US-Kongress. Das Sultanat Oman, das von verschiedenen jemenitischen Gruppen als neutraler Vermittler betrachtet wird und das versicherte, es werde keine Luftschläge geben, zeigte sich ebenfalls über die Vorkommnisse erstaunt.
Es sei zu hoffen, dass diese Luftschläge als "diplomacy in action" zu verstehen sind, die darauf abzielen, alle jemenitischen Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen – so formuliert es die kompetente Jemen-Expertin Sheila Carapico eloquent.
Sehr bedenklich wäre es, wenn sich herausstellen sollte, dass diese Luftschläge dazu dienen, einen inneren Machtkampf unter den Saudis zu entscheiden. Noch bedenklicher wäre es, wenn sich die Luftschläge als Entscheidung eines unerfahrenen jungen Verteidigungsministers erweisen, der seine Muskeln spielen lässt.
4. Die Entsendung von Bodentruppen in den Jemen wird kontraproduktiv sein
Ägypten bereute in den 1960er Jahren zutiefst, Bodentruppen zur Unterstützung der Republikaner im jemenitischen Bürgerkrieg entsandt zu haben. Der Einsatz im Jemen wird dort als "unser Vietnam" bezeichnet.
Der Nordjemen gilt seit jeher als immun gegen Invasoren. Während der osmanischen Herrschaft wurde der Nordjemen auch "das Grab für die Türken" genannt, da die zaiditischen Stammesangehörigen erbitterten Widerstand leisteten.
In den 1960er Jahren sahen Stammesangehörige den Krieg vor allem als Gelegenheit, Geld zu verdienen. Sie wechselten jeweils die Seiten, wenn es profitabel erschien. Ein Auslandskorrespondent berichtete damals: "Stammesangehörige erklärten wiederholt, sie seien Royalisten. Sie erhielten daraufhin Maschinengewehre, die sie dann an die Republikaner weiterverkauften. Einige Soldaten scherzten sogar, nachts seien sie Royalisten und tagsüber Republikaner".
Nichts wird sich an dieser Gleichung ändern, sollte sich Saudi-Arabien dazu entscheiden, Truppen zu entsenden. Das bergige Gelände, in dem diese Stammesangehörigen operieren, ist das gleiche wie damals, ebenso wie deren Bereitschaft, sich anzudienen und geschäftstüchtig die Seiten zu wechseln.
Die Entsendung von Truppen würde dem Konflikt eine neue Dimension verleihen. Mit Auswirkungen auf die gesamte Region und mit globalen Konsequenzen, da eine Seite davon profitieren wird: al-Qaida und der "Islamische Staat".
Es könnte zudem sinnvoll sein, sich stärker auf den wahren Anstifter der Unruhen zu konzentrieren: den ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih. Ohne die Unterstützung durch Salih hätten die Huthi-Milizen nicht die Kontrolle über die Hälfte des Landes gewinnen können. Dank der Zusammenarbeit mit Anhängern Salihs in Armee und Sicherheitsapparat standen ihnen in vielen Städten die Tore offen. Der Erfolg der Huthis lässt sich allein durch diesen Faktor zu erklären.
Der ehemalige Präsident Salih gilt als politischer Überlebenskünstler. Er bereitete sein eigenes Comeback vor, indem er sich mit seinen ehemaligen Feinden – den Huthis – verbündete und ihnen territoriale Gewinne zubilligte. Jetzt liefert er sie offenbar seinen Gegnern aus. Seine Partei, der Allgemeine Volkskongress, rief die Huthis am 26. März dazu auf, ihre militärischen Aktionen zu beenden und den Konflikt nicht länger anzufachen. So bringt sich Salih für die nächste Verhandlungsrunde in Stellung.
Jede Verhandlung unter Mitwirkung von Salih wird fehlschlagen, da er nicht daran interessiert ist, seine Macht zu teilen. Doch genau dies ist im Jemen zur Erzielung von Verhandlungsergebnissen unverzichtbar. Der Jemen könnte sonst am Ende zerfallen.
Wir haben es in der Hand, diesen Prozess entweder so friedlich wie möglich zu gestalten oder ihn zu einem Bürgerkrieg werden zu lassen. Es wäre ein guter Anfang, dem Sultanat Oman die Verhandlungsführung zu überlassen. Ihm vertrauen die verschiedenen jemenitischen Fraktionen. Gleichzeitig verkörperte es schon oft die Stimme der Vernunft in vielen regionalen Konflikten auf der Arabischen Halbinsel.
Elham Manea
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers