Schuss nach hinten
Mit geschwellter Brust verkündete Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi beim Gipfel der Arabischen Liga in Sharm al-Sheikh am Wochenende den Aufbau einer gemeinsamen Armee. Damit solle den wachsenden Bedrohungen in der Region tatkräftig begegnet werden.
Gemeint war in erster Linie die prekäre Lage im Jemen. Dort fliegt die saudische Luftwaffe seit Tagen Angriffe auf Huthi-Rebellen im Norden des Landes und in der Hauptstadt Sanaa. 150.000 Mann stehen als Bodentruppen bereit. Auch Ägypten werde sich an dem Kampf beteiligen, versprach der frühere Feldmarschall, der im Juni seine Uniform auszog, um Präsident am Nil zu werden.
Weitere Mitglieder der insgesamt 22 Länder umfassenden Arabischen Liga wollen ebenfalls teilhaben. Also warum nicht gleich eine arabische Armee aufbauen? Manche Teilnehmer des Gipfels fühlten sich an die Zeit Gamal Abdel Nassers zurückerinnert, als dieser unermüdlich versuchte die Araber zu einen und einen arabischen Nationalismus zu entwickeln. Dass Sisi schafft, was Nasser nicht gelang, bezweifeln indes viele. Der Jemen wird zur Nagelprobe.
Abdel Malik al-Huthi – der neue "Kalif im Jemen"?
Wieder einmal will es keiner bemerkt haben. Blitzartig sei das Land von Rebellen überrannt worden, so die internationale Reaktion auf das, was an der Südspitze der Arabischen Halbinsel derzeit geschieht. Zunächst brachten die Rebellen, die sich Huthis nennen, die Hauptstadt Sanaa unter ihre Kontrolle, dann die drittgrößte Stadt des Landes, Taiz, und sind nun auf dem Vormarsch nach Aden. Wie aus heiterem Himmel schienen die Anhänger des Rebellenchefs über das gebirgige Land hergefallen zu sein. Ist Abdel Malik al-Huthi nun der Kalif im Jemen? Der jemenitische Abu Bakr al-Bagdadi?
Oberflächlich betrachtet gibt es durchaus Parallelen zum Irak. Dort hat die Terrorgruppe IS die Situation für sich ausgenutzt, als die verschiedenen Volksgruppen mit der Zentralregierung in Bagdad und dem damaligen Premierminister Nuri al-Maliki zerstritten waren. In das Machtvakuum stießen radikale Kräfte, allen voran al-Bagdadi und Co. Ihr Ziel, einen islamischen Staat zu schaffen, haben sie schnell erreicht.
Das besetzte und inzwischen befestigte Territorium ist nur schwer wieder zurückzugewinnen. Im Jemen ist es ähnlich gelaufen. Je schwächer die Regierung in Sanaa wurde, desto stärker wurden die Rebellen. Nachdem der Präsident in den Süden geflüchtet war, gab es kein Aufhalten mehr. Jetzt ist Abd-Rabbu Mansour Hadi abermals geflohen. Nach Saudi-Arabien, dann nach Ägypten. Derweil ist die Rebellenmiliz vor den Toren der Hafenstadt Aden angekommen. Der Flughafen wird heiß umkämpft.
Doch hier hören die Gemeinsamkeiten mit dem Irak vorerst auf. Während die Kämpfer des "Islamischen Staates" im Irak Sunniten sind, gehören die Huthis dem schiitischen Islam an. Im Gegensatz zum IS, der sich aus zahlreichen Gruppierungen zusammensetzt, sind die Huthis ein fester Bestandteil der jemenitischen Gesellschaft. Ihre Bewegung gründete sich bereits 2004 als eine Interessenvertretung der Zaiditen, einer im Nordjemen verbreiteten Glaubensrichtung der Schiiten.
Sieg in Etappen
Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings im Jahr 2011, der sich auch im Jemen zu einer Revolution gegen das bestehende Regime ausweitete, begann ihr Siegeszug. Sie forderten mehr Land und mehr Macht für sich, die Wiedereinführung der Benzin- und Stromsubventionen und niedrigere Lebensmittelpreise für jedermann.
Etappenweise tasteten sie sich immer weiter von Nord nach Süd vor, wichen wieder zurück, um dann abermals nach vorne zu preschen, wenn die politische Lage instabiler wurde und die Regierenden in Sanaa sich in Grabenkämpfen verstrickten. Jetzt hätten sich die Huthis verselbständigt, meint auch der stellvertretende Vorsitzende des Nahost-Forums in Berlin, Ulrich Wolf, der selbst jahrelang im Jemen lebte und nach wie vor gute Kontakte dorthin hat.
Wie sehr die Lage außer Kontrolle geraten ist, zeigt die Entwicklung seit dem Beginn des sogenannten "Nationalen Dialogs", der genau vor zwei Jahren begann. Der Golfkooperationsrat unter der Führung Saudi-Arabiens und Vertreter der Vereinigten Staaten erfanden ihn als Instrument des Transformationsprozesses. Der autokratische Präsident Ali Abdullah Salih war abgelöst, Hadi mit einem Referendum installiert. Der "Nationale Dialog" sollte alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte an einen Tisch bringen, eine neue Verfassung erarbeiten und Parlamentswahlen vorbereiten, die den Namen Wahlen verdienen.
"Ein guter Tag für den Jemen", nannte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ein Jahr später die Situation in dem schon damals mit Argwohn beobachteten Land: "Unter wirklich schwierigen Bedingungen und nach manchen Rückschlägen ist es heute gelungen, den 'Nationalen Dialog' zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen." Doch der Abschluss war alles andere als erfolgreich. Seit 2003 gab es keine Parlamentswahlen mehr und an eine neue Verfassung war auch nicht zu denken. Deutschland wurde zwar zum größten Geldgeber Jemens, spielte aber politisch keine Rolle. Riad und Washington beeinflussten die Sphäre.
Gescheiterter Drohnenkrieg
Für die Amerikaner waren nicht die Huthis das Problem, sondern Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP). Ihre Bekämpfung war Washingtons oberste Priorität. Sie gilt als radikalster Flügel der Terrororganisation und verübt Anschläge weltweit. Jüngstes Beispiel ist das Massaker um das französische Satireblatt "Charlie Hebdo", für das AQAP die Verantwortung übernahm.
Unzählige Drohnenangriffe der USA brachten stets Erfolgsmeldungen über getötete Al-Qaida-Mitglieder. Besiegen konnten sie den Terror nicht, im Gegenteil. Informationen aus dem Jemen besagen, dass auf einen getöteten Al-Qaida-Terroristen zwei weitere nachfolgen. Mit jedem Drohnenangriff verschärfte sich die Anti-Amerika-Stimmung in der Bevölkerung. Die Huthis sprechen sich offen gegen die USA aus. Washington hat die Drohnenangriffe jetzt eingestellt.
Doch die eigentliche Schuld für die politische Katastrophe im Jemen liegt bei Saudi-Arabien. Tatenlos hat die sunnitische Führungsmacht der Golfstaaten zugesehen, wie sich buchstäblich vor ihrer Haustür ein schiitisches Gegengewicht bildet und die Tür für Teheran öffnet. Riad hat ebenfalls zugesehen, wie Ex-Diktator Saleh, der unter dem Druck Saudi-Arabiens 2012 zurücktrat und Platz für Hadi schaffte, sich inzwischen mit den Huthis verbündet hat und dadurch eine Rückkehr an die Macht erhofft.
Jetzt fällt den Saudis nichts anderes ein, als 150.000 Soldaten und schweres Geschütz ins ärmste Land Arabiens zu schicken, um den, wie es offiziell heißt, schiitischen Vormarsch zu stoppen. Die Herzen der 24 Millionen Jemeniten werden sie dadurch sicherlich nicht gewinnen. Eher wird daraus ein weiterer Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien, wie schon in Syrien und im Irak. Hier setzt wieder eine Parallele ein.
Birgit Svensson
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