"Ich bin im Krieg gefangen“ 

Verzweifelt versuchen Sudanesen, ihr Land zu verlassen. Doch viele sitzen fest, weil ihr Reisepass in einer der geschlossenen europäischen Botschaften liegt – auch Mahir Elfiel. Für Qantara.de berichtet er über seine ausweglose Lage. Andrea Backhaus hat seine Geschichte aufgezeichnet.

Von Andrea Backhaus

Seit vier Wochen liefern sich die sudanesische Armee unter Abdel Fattah al-Burhan und die Rapid Support Forces (RSF) von Mohamed Hamdan Daglo heftige Gefechte. Der Machtkampf der beiden Generäle setzt gewaltige Fluchtbewegungen in Gang. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind mehr als 700.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Mehr als 170.000 Menschen sind aus dem Land geflohen, davon 67.000 ins Nachbarland Ägypten.



Viele westliche Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA haben ihre Staatsbürger aus dem Sudan evakuiert – und ihre Botschaften in Khartum geschlossen. Mit dramatischen Folgen: In den verlassenen Auslandsvertretungen
liegen noch hunderte, wenn nicht tausende Reisepässe von Sudanesen, die vor Kriegsausbruch ein Visum beantragt hatten. Ohne ihre Pässe können die Menschen das Konfliktgebiet nicht verlassen.  

So geht es Mahir Elfiel. Der 40-Jährige arbeitet als Programmmanager für eine internationale Organisation. Ende April hat Elfiel seine Heimatstadt Omdurman im Großraum Khartum verlassen, wo einige der heftigsten Kämpfe stattfinden, um über die Grenze nach Ägypten zu fliehen.



Doch weil sein Reisepass bei der
spanischen Botschaft festhängt, sitzt er in Wadi Halfa fest, einer Kleinstadt rund 900 Kilometer nördlich von Khartum an der ägyptischen Grenze. Wie Elfiel warten dort Tausende auf die Weiterreise. Wir haben Elfiel per WhatsApp erreicht. Für Qantara.de berichtet er von seiner Flucht – und warum er sich von den europäischen Behörden im Stich gelassen fühlt.  

"Die Lage in und um Khartum ist sehr schwierig. Nachdem die Gefechte begannen, konnte ich in meinem Viertel Schüsse hören und beobachten, wie Kampfflugzeuge auf Häuser zielen. Ich habe mich zu Hause verschanzt. Ich hatte tagelang kein Wasser und Strom und die Kämpfe kamen immer näher. Mein Viertel liegt in der Nähe des Militärkrankenhauses, das ein Ziel der RSF ist. Ich hörte von Bekannten aus anderen Vierteln, dass die Kämpfer beginnen würden, Häuser und Läden zu plündern und Zivilisten aus ihren Häusern zu vertreiben, das machte mir Angst. 

Der sudanesische Programmmanager Mabir Elfiel; Foto: privat
Im Stich gelassen: Der 40-Jährige Mahir Elfiel arbeitet als Programmmanager für eine internationale Organisation. Ende April hat Elfiel seine Heimatstadt Omdurman im Großraum Khartum verlassen, wo einige der heftigsten Kämpfe stattfinden, um über die Grenze nach Ägypten zu fliehen. Doch weil sein Reisepass in der spanischen Botschaft liegt, sitzt er in Wadi Halfa fest, einer Kleinstadt rund 900 Kilometer nördlich von Khartum an der ägyptischen Grenze. Wie Elfiel warten dort Tausende auf die Weiterreise. Für Qantara.de berichtet er von seiner Flucht – und warum er sich von den europäischen Behörden im Stich gelassen fühlt.  

Viele meiner Angehörigen und Nachbarn sind gleich zu Beginn der Kämpfe geflohen. Ich bin ledig und fühlte mich dann ziemlich allein. Es ist eine schwere Entscheidung, alles hinter sich zu lassen und nur mit einem Koffer in der Hand in die Unsicherheit aufzubrechen.



Ich wusste aber auch, dass ich nicht mehr lange in der Lage sein würde, genug Essen und Trinken aufzutreiben. Deswegen entschied ich mich, zu fliehen, auch wenn ich unsicher war, ob das eine gute Idee ist.

Der Pass liegt in der spanischen Botschaft

Ich hatte vor Kriegsausbruch ein Visum bei der spanischen Botschaft in Khartum beantragt, weil ich nach Spanien reisen wollte.



Dann wurde die Botschaft wegen der Kämpfe geschlossen, die Mitarbeiter wurden außer Landes gebracht. Meinen Pass habe ich nicht zurückbekommen.

Ich hatte die Wahl: Entweder würde ich ganz allein mitten in einem Kampfgebiet bleiben, oder ich würde fliehen, in der Hoffnung, dass ich mich auch ohne Pass in Sicherheit bringen kann. Ich entschied mich für die zweite Option.



Um an die ägyptische Grenze zu kommen, brauchte ich Bargeld. Das war ein Problem, denn mein Geld liegt auf meinem Bankkonto. Die Geldautomaten in der Stadt funktionieren nicht mehr, ich konnte nichts abheben. Ich habe eine App auf meinem Handy, mit der ich auf mein Konto zugreifen kann, ich kann damit Geld überweisen oder meine Stromrechnungen bezahlen.



Doch das bringt mir gerade nicht viel. Im Krieg ist alles sehr teuer geworden und alle wollen jetzt Bargeld haben. Zum Glück habe ich einen Busfahrer gefunden, der bereit war, mir ein Ticket zu verkaufen, obwohl ich es nur per Überweisung bezahlen konnte.

Warten in Wadi Halfa

Das Busticket hat umgerechnet 600 US-Dollar gekostet (rund 550 Euro, Anm. d. Red.), mehr als das Dreifache des normalen Preises. Auf der langen Fahrt Richtung Norden hatte ich erneut Glück: Ein Tankstellenmitarbeiter war bereit, mir einen Betrag bar auszuzahlen, den ich ihm von meinem Konto überwiesen hatte, so dass ich etwas Cash in der Tasche hatte.  

Mit dem Bus bin ich bis nach Wadi Halfa gefahren. Die Ankunft war schwierig. In Wadi Halfa gibt es ein ägyptisches Konsulat, Tausende Menschen sind deswegen hergekommen, um ein Visum für Ägypten zu beantragen. Die Stadt quillt über von Menschen, die meisten von ihnen sind aus Khartum geflohen. Die Hotels sind ausgebucht, viele Menschen schlafen draußen.

Menschen warten vor dem ägyptischen Konsulat in Wadi Halfa; Foto: privat
Warten in Wadi Halfa: "Hier gibt es ein ägyptisches Konsulat, Tausende Menschen sind deswegen hergekommen, um ein Visum für Ägypten zu beantragen. Die Stadt quillt über von Menschen, die meisten von ihnen sind aus Khartum geflohen,“ schreibt Mahir Elfiel. "Die Hotels sind ausgebucht, viele Menschen schlafen draußen. Alles ist sehr teuer und die kleine Stadt ist nicht gemacht für so viele Menschen. Es gibt nicht genügend Unterkünfte und Lebensmittel. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen, das Mobilfunknetz ist überlastet. Aber wenigstens bin ich hier sicher. Als ich nach meiner ersten Nacht aufgewacht bin, war ich erleichtert, dass keine Bombeneinschläge zu hören waren.“ 





Ich habe in meiner ersten Nacht einen Schlafplatz in einer Schule gefunden, die zu einem Lager für Binnenvertriebene umgebaut worden ist. In der darauffolgenden Nacht habe ich in einer Moschee geschlafen. Mittlerweile habe ich ein Zimmer gefunden, das ich vorerst mieten kann.



Alles ist sehr teuer und die kleine Stadt ist nicht gemacht für so viele Menschen. Es gibt nicht genügend Unterkünfte und Lebensmittel. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen, das Mobilfunknetz ist überlastet. Aber wenigstens bin ich hier sicher. Als ich nach meiner ersten Nacht aufgewacht bin, war ich erleichtert, dass keine Bombeneinschläge zu hören waren.  

Ich habe mich sofort erkundigt, wie man ein Visum beantragt. Im ägyptischen Konsulat wurde mir gesagt, dass mehr als 3000 Pässe auf der Warteliste für ein Visum registriert seien.



Die ägyptischen Behörden haben die Einreisebestimmungen für einige Personengruppen gelockert. Frauen dürfen ohne Visum über die Grenze, so auch Jungs bis 16 Jahre und Männer über 50. Männer in meinem Alter brauchen ein Visum.



Die sudanesischen Behörden haben mir ein Notdokument ausgestellt, dafür genügte eine Kopie meines Reisepasses. Doch die Ägypter haben mich damit nicht durchgelassen. Als ich dem ägyptischen Beamten mein Dokument hinhielt, fragte er nach meinem Reisepass. Ich erklärte ihm, dass der Pass bei der spanischen Botschaft in Khartum liege und ich wegen des Kriegs keine Möglichkeit hätte, ihn zurückzubekommen.

Der Nächste bitte, sagt der Beamte

Er sagte: ‘Dann können wir Ihnen kein Visum ausstellen.‘ Ich wollte ihm erklären, dass meine Organisation ein Büro in Kairo hat und ich dort arbeiten könne. Doch der Beamte hörte mir nicht einmal zu. Er sagte nur: ‚Wir können Ihnen kein Visum ausstellen, vielen Dank, der Nächste bitte‘. 

Als die Kämpfe in Khartum begannen, dachte ich, das geht schnell vorbei, wir können sicher bald zur Normalität zurückkehren. Doch als ich hörte, dass die ausländischen Botschaften ihr Personal abziehen, war mir klar, dass das Wunschdenken ist. Ich habe sofort die spanische Botschaft kontaktiert, um zu hören, was mit meinem Pass ist. Ich habe immer wieder angerufen, aber ich konnte niemanden erreichen. Ich habe den Mitarbeitern dutzende E-Mails geschickt, aber keine Antwort erhalten.

 







Es kursieren Gerüchte, dass einige Botschaftsmitarbeiter vor ihrer Evakuierung Dokumente, die noch in der Botschaft waren, vernichtet hätten. Ich weiß also nicht, ob mein Pass noch existiert. Wie mir geht es vielen Sudanesen, die vor Kriegsausbruch ein Visum beantragt hatten, für Schweden, die Niederlande oder Spanien. Die europäischen Behörden übernehmen keine Verantwortung. Sie reagieren nicht auf unsere Anfragen, sie ignorieren uns. Dabei wäre es möglich gewesen, die Pässe zurückzugeben.



Die Mitarbeiter der chinesischen Botschaft etwa haben die Antragsteller kontaktiert und ihnen ihre Dokumente zurückgegeben, bevor sie Khartum verlassen haben. Die spanischen Behörden sagen, dass sie nichts tun können und wir einen neuen Pass bei den sudanesischen Behörden beantragen sollen. Als ob in dem Chaos irgendjemand einen Pass ausstellen würde! Ich bin wütend und frustriert. Ich sitze in einem Kriegsgebiet fest und habe keine Möglichkeit, hier wegzukommen.



Das Recht auf Freizügigkeit ist ein Menschenrecht und die spanischen Behörden verwehren es mir. Sie haben ihre eigenen Mitarbeiter und Staatsbürger in Sicherheit gebracht und uns zurückgelassen. Das ist abscheulich und demütigend.  

"Zurück kann ich nicht"

In den vergangenen Tagen habe ich alles versucht, um nach Ägypten zu kommen. Ich habe Bekannte in Kairo kontaktiert, auf die ägyptischen Beamten eingeredet, sogar den ägyptischen Botschafter kontaktiert. Er sagt, er könne nichts tun. Die sudanesischen Behörden in Wadi Halfa sagen, sie hätten versucht, mit den Ägyptern eine Lösung für Leute wie mich zu finden, aber ohne Ergebnis. Ich bin im Krieg gefangen. Zurück kann ich nicht.

Sudanesische Flüchtlinge vor einem Gebäude des UNHCR im Südusdan: Foto: Jok Solomi/Reuters
Zuflucht im Südsudan?: "Ich habe heute gehört, dass der Südsudan sudanesischen Flüchtlingen die Einreise auch ohne Reisepass erlaubt,“ schreibt Mahir Elfiel. "Ich muss prüfen, ob das stimmt. Ich bin hier ganz im Norden des Sudan und es ist ein langer Weg in den Süden. Aber sollte das stimmen, werde ich das Risiko auf mich nehmen und versuchen, über die Grenze zu gelangen. Und dann warten, bis der Wahnsinn in meinem Land vorbei ist.“  Auf dem Bild sind Sudanesen zu sehen, die im Südsudan vor einem Gebäude des UNHCR warten.



Die Meldungen, die ich von meinen Bekannten aus Khartum erhalte, sind düster. Sie sagen, dass die Kämpfe eskalieren und die Kämpfer ein Haus nach dem anderen plündern, dass es in vielen Teilen der Stadt weder Strom noch Wasser gibt und die Lebensmittel zur Neige gehen. Wer jetzt noch in Khartum ist, riskiert alles.   

Ich denke die ganze Zeit darüber nach, was mit mir passieren wird. Ich lebe von meinen Ersparnissen, doch was mache ich, wenn die erschöpft sind? Manchmal bilde ich mir ein, dass ich Schüsse höre. Die Gewalt, die ich erlebt habe, verfolgt mich selbst hier in Wadi Halfa. Ich werde Hilfe brauchen, um das alles zu verarbeiten. Aber bevor ich mich um meine mentale Gesundheit kümmern kann, muss ich wissen, wie es weitergeht. Die Zukunft macht mir Angst.  

Ich habe heute gehört, dass der Südsudan sudanesischen Flüchtlingen die Einreise auch ohne Reisepass erlaubt. Ich muss prüfen, ob das stimmt. Ich bin hier ganz im Norden des Sudan und es ist ein langer Weg in den Süden. Aber sollte das stimmen, werde ich das Risiko auf mich nehmen und versuchen, über die Grenze zu gelangen. Und dann warten, bis der Wahnsinn in meinem Land vorbei ist.“ 

Protokoll: Andrea Backhaus

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