Hohe Erwartungen an deutschen Staatsanwalt

Am 21. Oktober wird der deutsche Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis seinen Bericht zum Mord am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik al-Hariri vorlegen. Ob der Fall damit abgeschlossen ist, bleibt abzuwarten. Von Bernhard Hillenkamp

Am 21. Oktober wird der deutsche Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis den Vereinten Nationen seinen Bericht zum Mord am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik al-Hariri vorlegen. Ob der Fall damit endgültig aufgeklärt ist, bleibt abzuwarten. Hintergründe von Bernhard Hillenkamp

Detlev Mehlis; Foto: AP
"Schwer wie Zementsäcke" lasten die Erwartungen der Libanesen auf Detlev Mehlis

​​Nach dem Mord an dem ehemaligen Premierminister Rafik al-Hariri im Februar 2005 entstand im Libanon eine Protestbewegung, die den Rücktritt aller Sicherheitschefs und die Aufklärung des Attentats forderte.

Aber nicht nur die libanesischen Demonstranten, auch die internationale Staatengemeinschaft wurde aktiv. Der irische Polizeioffizier Peter Fitzgerald wurde mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats zur Spurensicherung in den Libanon geschickt.

Einen Monat später veröffentlichte er in seinem Abschlussbericht nicht nur Details zum Tathergang, sondern beschrieb den politischen Hintergrund der Spannungen zwischen der syrischen Regierung und Hariri vor dem Attentat. Ferner stellte er den libanesischen Behörden ein Armutszeugnis aus: Die libanesische Untersuchung sei unkoordiniert und inkompetent verlaufen.

Erneut wurde der UN-Sicherheitsrat tätig und setzte mit der Resolution 1595 eine internationale Untersuchungskommission ein. Die libanesische Regierung konnte sich diesem Votum nicht widersetzten.

Was die Regierung allerdings als eine ausländische Einmischung in interne Angelegenheiten interpretierte, war für die Opposition ein Garant für die Neutralität der Untersuchung. Die Suche nach der Wahrheit war zu einem nationalen und internationalen Imperativ geworden.

Unpopuläre Enthüllung

Als der Berliner Oberstaatsanwalt während seines Urlaubs auf Mallorca einen Anruf aus dem Büro von Kofi Annan erhielt, hatte die UN einen passenden Leiter für die Untersuchungskommission zum Mord an al-Hariri gefunden. Aufgrund seiner Erfahrung mit der Region durch seine Aufklärungsarbeit im Zusammenhang mit dem Attentat auf das Maison de France 1983 und mit den Anschlägen auf die Berliner Diskothek La Belle schien Detlev Mehlis ein geeigneter Kandidat zu sein.

Allerdings begann er seine Arbeit mit einer bei der Opposition unpopulären Enthüllung: Auf einer Pressekonferenz erklärte Mehlis, dass die Explosion – entgegen der bisherigen Theorie - überirdisch gewesen sei und präsentierte das Foto eines Kleinlasters, in dem die tödliche Ladung zur Explosion gekommen war.

Außerdem wies er auf der Pressekonferenz auf ein Zeugenschutzprogramm hin und stellte sich den Fragen der Reporter. Ruhig und sachlich wirkt der als Fuchs, Wolf oder auch Colombo bezeichnete Detlev Mehlis in der libanesischen Öffentlichkeit.

Anklage von vier Geheimdienstchefs

Ihm wurden in dieser Phase von den unterschiedlichsten Lagern Sympathien entgegen gebracht. Die Erwartungen und auch das Vertrauen waren groß. In einem Hintergrundgespräch gestand er, dass die Hoffnungen des gesamten libanesischen Volkes "wie Zementsäcke" auf seinen Schultern lasteten.

Als Mehlis Ende August in einer Nacht- und Nebelaktion vier libanesische Sicherheitschefs verhaften ließ, schien die libanesische Öffentlichkeit wie gelähmt. Für die arabische Welt war etwas Einmaliges geschehen. Die vier Geheimdienstchefs wurden der Planung des Mordes an dem ehemaligen Ministerpräsident angeklagt.

Mit der Verhaftung wurde die volle Dimension der Suche nach der Wahrheit sichtbar. Es steht das ganze System der Sicherheitsapparate des Libanons auf dem Spiel. Für viele war dies der endgültige Beweis für die Ernsthaftigkeit der Kommission.

Als Mehlis Zeugen in Damaskus verhören wollte, breiteten sich die Untersuchungen auf die Region aus. Begleitet werden diese Entwicklungen von der Forderung, die Hizbollah und palästinensische Gruppen im Libanon zu entwaffnen. "Vielen Libanesen sind dies zu viele Veränderungen, die scheinbar aus dem Ruder laufen", so ein politischer Beobachter.

Auswirkungen auf Syrien

Von einer Politisierung der Untersuchung war nun die Rede. Vor allem die USA, so diese These, wollten die Ergebnisse der Kommission nutzen, um politische Veränderungen in Syrien zu erzwingen. Kritiker warfen Mehlis daraufhin vor, antisyrisch zu sein und von der amerikanischen Politik instrumentalisiert zu werden.

Es wurden Parallelen zur Verurteilung Libyens als staatsterroristisches Land und zum darauf folgenden amerikanischen Bombardement hergestellt. Eine Politisierung der Untersuchungskommission, so einige Kritiker, werde sich in Syrien wiederholen und von den USA als Vorwand für eine Strafaktion gegen Syrien genutzt werden können.

Begleitet wird die Aufklärungsarbeit der UN-Kommission durch eine Serie von Attentaten, vor allem in christlichen Gebieten. Vierzehn unaufgeklärte Anschläge hat es in einem Jahr gegeben, und viele wünschen sich ein Ende der Ungewissheit. Einige befürchten, dass sich die Lage bis zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse noch zuspitzen werde.

Der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora sprach gar davon, dass "sich der Libanon im Krieg gegen den Terrorismus" befände. Diese Diktion, die man eher von George W. Bush gewöhnt ist, lässt viele aufhorchen; sie sehen darin die These von einer Instrumentalisierung der Ergebnisse im Sinne der US-Politik bestätigt.

Unklarer Ausgang

Die öffentliche Diskussion scheint wieder auf das Niveau der Phase direkt nach dem Mord an Hariri zurückgeworfen zu sein. Jeder benutzt die kursierenden Gerüchte, um die eigenen Thesen und Befürchtungen vor den regionalen Auswirkungen zu belegen.

Das Vertrauen in die Kommission scheint eine Glaubensfrage geworden zu sein. Nach dem Attentat lief die Trennungslinie zwischen den Anhängern der Regierung und der Opposition, heute sind es regionalpolitische Erwägungen, die die Lager trennen.

Am 21. Oktober will Mehlis seinen Abschlussbericht Kofi Annan in New York vorlegen. Keiner der großen politischen Morde im Libanon wurde bisher wirklich aufgeklärt. Ob ein internationales oder nationales Gericht die Anklage gegen die libanesischen und möglicherweise syrischen Verdächtigen führen wird, ist unklar.

Der libanesische Justizminister, ein Vertrauter von Präsident Emil Lahoud, erklärte, "die libanesischen Behörden haben nicht die Kapazitäten für die Anklageführung, sie werden internationale Hilfe benötigen".

Keine "Erlösung" für Libanesen

"Die Erwartungen an diesen Bericht sind absurd hoch", so verlautet es aus dem Umkreis von Mehlis. Zwar werde der Bericht "viele interessante und brisante Erkenntnisse" enthalten, es bedürfe aber weiterer Ermittlungen: "Ein Verbrechen dieser Größenordnung lässt sich nicht in wenigen Wochen aufklären." Gut unterrichtete Quellen wollen sogar wissen, dass "die Beweise gegen eine syrische Beteiligung nicht für eine Anklage ausreichen".

Die erhoffte "Erlösung" wird der Bericht Ende Oktober also nicht bringen. Und der Fall wird mit der Veröffentlichung des Berichts der UN-Kommission sicherlich nicht abgeschlossen sein.

Die Libanesen werden also noch weiter im Bann der Untersuchung und deren regionalen und internationalen Auswirkungen leben müssen. Doch der Weg zur Wahrheit, der nötig ist, um den Glauben an Staat und Gesetz wiederherzustellen, ist noch weit und sicherlich unbequem.

Bernhard Hillenkamp

© Qantara.de 2005

Qantara.de

Zivilgesellschaft im Libanon
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Nach dem Mord an dem ehemaligen Premierminister Rafik al-Hariri gingen in Beirut tausende Libanesen auf die Straße. Über die Forderungen, Ziele und Zukunftsperspektiven dieser sich formierenden Zivilgesellschaft sprach Bernhard Hillenkamp mit dem renommierten Sozio-Ökonom Omar Traboulsi.