Die Aufbruchstimmung im Libanon ist verflogen

Der Mord am früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri markierte im Libanon vor einem Jahr den Anfang vom Ende der syrischen Vorherrschaft. Vom Engagement der Massen ist nicht viel geblieben.

Von Peter Philipp

​​Als eine Autobombe vor einem Jahr Ex-Ministerpräsident Rafik Hariri in Beirut in den Tod riss, war das nicht einfach ein weiteres Attentat in der langen Serie unaufgeklärter politischer Morde Libanons. Diese Bombe, die am 14. Februar 2005 explodierte, löste ein politisches Erdbeben aus:

Libanesen jeder Provenienz begannen für eine wahre Unabhängigkeit ihres Landes zu demonstrieren und den Abzug der syrischen Truppen zu fordern. Eine Forderung, die aus dem Ausland - besonders in den Vereinten Nationen, USA und Frankreich - lautstark unterstützt wurde.

Ein Jahr danach befinde sich alles im Stillstand, meinen frustrierte Libanesen. Sie sind enttäuscht, dass das Engagement der Massen nach dem Mord der Furcht vor neuen Problemen gewichen ist - bis hin zu der vor einem erneuten Ausbruch des langen Bürgerkrieges, der dem Land so viel Leid und Opfer bereitet hatte.

Keine echte Unabhängigkeit

Dabei hatte das Engagement überraschend schnell zum Erfolg geführt: Nach fast dreißig Jahren verließen die Syrer binnen weniger Tage das Nachbarland. Der Libanon atmete auf. Aber bald sollte sich zeigen, dass man nicht in der Lage war, eine echte Unabhängigkeit und einen demokratischen Neubeginn umzusetzen.

Besonders deutlich zeigte sich dies bei den Wahlen wenige Monate nach dem Hariri-Mord. Es traten wieder die alten Kräfte an - dieselben Gruppen, Familien und Personen, die immer schon im Libanon mitgemischt haben und die einen Teil der Verantwortung für die Probleme der Vergangenheit tragen.

Zunächst war die anti-syrische Front noch am lautstärksten und auch am ehesten in der Lage, einen neuen Libanon zu repräsentieren. Denn hier fanden sich verschiedene früher miteinander rivalisierende Gruppen zusammen, die nun gemeinsam gegen Damaskus antraten.

Schon bald aber bekam diese Front ihre ersten Risse. Am deutlichsten, als der aus dem Pariser Exil zurückgekehrte christliche Ex-Präsident Michel Aoun sich mit der pro-syrischen Hisbollah zusammentat und damit auf die Seite seiner ehemaligen syrischen Erzfeinde schlug.

Bröckelnde Front

Es dauerte auch nicht lange, bis in Beirut wieder Bomben explodierten: Vierzehn Anschläge forderten das Leben von elf prominenten Libanesen. Vor allem Journalisten und Politiker, die als syrienkritisch galten. Die Täter wurden bisher nicht gefunden, in Beirut ist man aber überzeugt, dass der lange Arm des Assad-Regimes dahinter steckte.

Damaskus hatte lange genug im Libanon das Sagen, um auch nach einem Rückzug seiner Truppen in der Lage zu sein, dort Kollaborateure zu mobilisieren. Und auch die Untersuchung des Hariri-Mordes durch den Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis zeigte auf eine wichtige Rolle Syriens im Mordfall.

Führende libanesische Politiker zogen die Konsequenz und verließen das Land: Die wichtigsten Vertreter der Anti-Syrien-Front versammelten sich für Monate in Paris, und der Sohn des Ermordeten Ex-Premiers, Saad Hariri, ging nach Saudi-Arabien.

Der Zeitungsherausgeber und Abgeordnete Gebran Tueni kehrte zu früh zurück: Einen Tag später kam er bei einem Anschlag um. Drusenführer Walid Dschumblat verlässt kaum noch seinen Heimatort Mukhtara im Shuf-Gebirge, und Saad Hariri dürfte sich auch nicht gerade wohl fühlen, seit er nun wegen der Gedenkfeierlichkeiten für seinen Vater aus dem Exil zurückgekehrt ist.

Nicht nur die Anschläge geben zu denken, sondern auch kürzlich die Ausschreitungen in Beirut: Zunächst ging es um den Karikaturenstreit, dann aber griff der Mob auch libanesische Kirchen an, und viele Christen fühlten sich in die ersten Tage des Bürgerkrieges zurückversetzt.

Ein Gefühl, das übertrieben gewesen sein mag, aber doch sehr deutlich zeigt, dass der Libanon weit von einer Normalisierung entfernt ist. Auch ein Jahr nach dem Mord an Rafiq Hariri.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006

Qantara.de

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