"Wir müssen zum Dialog fähig sein"

Welche Rolle spielen die Medien für die Beziehungen zwischen Europa und dem Nahen Osten? Dazu äußert sich Lawrence Pintak, Direktor des Adham Center for Television Journalism an der Amerikanischen Universität Kairo.

Welche Rolle spielen die Medien für die Beziehung zwischen Europa und dem Nahen Osten und wie weit kann der virtuelle Dialog diese Beziehung beeinflussen? Darüber sprach Bernhard Hillenkamp mit Lawrence Pintak, dem Direktor des Adham Center for Television Journalism an der Amerikanischen Universität Kairo am Rande einer Konferenz zum Thema "Media and European-Middle Eastern Relations. A Virtual Dialogue?" in Beirut.

Lawrence Pintak; Foto: www.adhamonline.com/
Lawrence Pintak: "Dialog ist im gleichen Maße Zuhören wie Reden."

​​Sie waren schon in den achtziger Jahren hier in Beirut …

Lawrence Pintak: Ja, ich war in den achtziger Jahren als CBS-Journalist für den Nahen Osten zuständig, und Beirut war mein Standort. Wie viele andere Journalisten verbrachte ich knapp fünf Jahre hier im Hotel Commodore. Wegen der schweren Kämpfen und Bombardements schliefen wir in diesem Raum, der jetzt ein Konferenzraum ist.

Wurde in dieser Zeit schon von Dialog gesprochen?

Pintak: Wenn ich mir alte Reportagen aus der Zeit anschaue, z.B. zur Entführung der TWA-Maschine, fällt mir auf, dass wir in dieser Zeit die allgemeine Terminologie fast blind übernahmen. Terroristen waren islamische Terroristen, wir stellten solche Begriffe nicht in Frage.

Ob sie wirklich den Islam repräsentieren, wurde nicht problematisiert. Heute ist dies anders, die Journalisten stellen mehr in Frage. Damals dominierten die westlichen Medien. Sie bestimmten den Diskurs. Und arabische Medien waren nicht wirklich unabhängig.

Während der Konferenz haben wir gehört, dass die arabischen Medien wegen der staatlichen bzw. politischen, aber auch ökonomischen Bedingungen sehr stark eingeschränkt sind. Dies war in den 80er Jahren noch viel ausgeprägter. Hinzu kommt, dass es auf beiden Seiten, auf der arabischen wie der westlichen, keine Sensibilität für Dialog damals gab.

Was bedeutet heute Dialog in den Medien für Sie?

Pintak: Dialog ist im gleichen Maße Zuhören wie Reden. Damals gab der Westen den Ton an, wir hörten nicht zu. Als Journalisten trugen wir Informationen zusammen. Wie setzten uns nicht mit den Gesellschaften auseinander. Wir fragten nicht nach den Gründen der Entwicklungen. Vor allem im Fernsehen arbeiteten wir mit Stereotypen. Wie sollen wir mit Zuschauern umgehen, die nichts über die Region wissen?

Wie will man, und dies gilt natürlich auch für die Berichterstattung der heutigen Zeit, einem normalen Fernsehkonsumenten die Komplexität des Libanon näher bringen? Man benutzt Klischees: die Christen, die Muslime, die Drusen, aber auch die Amerikaner. Nach meiner Zeit im Libanon wählte ich einen anderen Weg, um der Vielschichtigkeit des Landes gerecht zu werden: ich schrieb ein Buch.

Also glauben sie nicht an den virtuellen Dialog, wie der Titel dieser Konferenz heißt?

Pintak: Ich bin sehr kritisch gegenüber dem Dialog, der im Internet betrieben wird. Ich glaube, man predigt zu den bereits Bekehrten. Die Surfer im Netz sind sehr selektiv. Sie wissen, was sie wollen und sind oft an den Themen schon interessiert.

Auf der anderen Seite sind auch die Islamisten sehr aktiv im Netz und haben sich den neuen Formen und Möglichkeiten der Technologie angepasst. Sie kommunizieren auch mit ihren selektiven Gruppen. Ich frage mich oft, wie die moderaten Stimmen sich dem entgegenstellen können. Verkürzt gesagt, ich glaube, die Massen werden nicht durch das Internet in einen Dialog einbezogen.

Aber es geht doch auch um Zugang zu Informationen und die Möglichkeiten des Internets.

Pintak: Aber dies ist doch nicht für die breite Öffentlichkeit. Die Eliten werden erreicht. Ja natürlich, das Internet ist fantastisch, um Informationen zu sammeln. Man könnte fast schon sagen, es gibt zu viele Informationen, man verliert sich in Details, gerät auf Abwege. Das Netz kann dich auffressen.

Dennoch haben die Medien, und auch die Massenmedien und ihre Vertreter, Dialog ermöglicht.

Al-Jazeera zum Beispiel: dieser Sender gab neuen Stimmen ein Sprachrohr. Schon das Wahrnehmen dieser Stimmen schafft Dialog. Auch die Talkshows des Senders, die Formate in denen diskutiert wird, fördern Austausch und Dialog.

Ich komme gerade aus Doha, wo al-Jazeera gemacht wird. Ich sagte den dortigen Verantwortlichen im Sender, dass ohne al-Jazeera Ben Laden nicht das wäre, was er heute ist. Ich meine dies nicht als Kritik oder werfe dem Sender Einseitigkeit vor. Aber das saudische oder das ägyptische Fernsehen hätte Ben Laden nie diese Medienpräsenz ermöglicht. Er hätte die Anschläge in New York auch ohne al-Jazeera gemacht, aber sein ideologischer Einfluss wäre ohne die elektronische Kanzel al-Jazeera sicherlich geringer gewesen.

Die Technik hat aber auch ermöglicht, dass George Bush nicht mehr etwas sagen kann und etwas ganz anderes tun. Wenn Bush sich verbal für einen palästinensischen Staat einsetzt, aber die israelischen Panzer in der West Bank Palästinenser töten, sprechen die Bilder für sich. Der Zuschauer erkennt die Doppelzügigkeit.

In Ihrem Beitrag sprachen Sie aber auch vom Info-Ghetto. Können Sie uns dieses Phänomen erklären?

Pintak: Früher gab es nur einen Diskurs, eine dominante Version der Geschichte. Wir sahen alle die gleichen Bilder. Heute, durch arabisches Satellitenfernsehen und vergleichbare Entwicklungen in anderen Teilen der Welt, gibt es eine Vielzahl von Versionen und Bildern einer Geschichte. Heute lassen sich die Zuschauer und Leser ihre Wahrheit, ihre Version der Geschichte dort präsentieren, wo es zu ihrer Weltsicht passt.

In den USA schaut ein Konservativer FOX News, ein liberaler Amerikaner hat auch seine speziellen Medien. Dies trifft auch für die arabische Welt zu. Das führt dazu, dass wir nicht mehr nur einen dominanten Diskurs haben. Zwar hat der arabische Leser und Zuschauer sehr wohl Zugang zu den westlichen Medien, die Amerikaner aber haben nur sehr beschränkt Zugang zu den arabischen Diskursen. Wir leben also in virtuellen Ghettos mit virtuellen Wänden.

Was bedeutet dies für die Ausbildung von jungen arabischen Journalisten?

Pintak: Ich versuche in unseren Programmen, dass die Studenten über ihre Rolle als Journalisten reflektieren. Diese ist für Studenten in allen Ländern gültig. Sie sollen sich stärker mit der benutzten Sprache und den Bildern auseinandersetzen. Die Medien haben zur Polarisierung beigetragen. Die jungen Journalisten sollen sich nicht nur auf die extremen Positionen der jeweiligen Seite konzentrieren.

Auf der Konferenz wurde gesagt, dass man nicht den Unterschied zwischen den beiden Medienwelten überbrücken, sondern ihn nur anerkennen sollte. Was sagen Sie dazu?

Pintak: Es gibt keinen grenzenlosen Journalismus. Ein westlicher Journalist wird immer aus seiner Perspektive berichten. Man sollte die eigene Sichtweise und die des anderen in der Berichterstattung als Faktor einbeziehen. Wir müssen nicht die Unterschiede überbrücken, aber wir müssen zur Kommunikation und zum Dialog fähig sein.

Interview: Bernhard Hillenkamp

© Qantara.de 2005

Lawrence Pintak, Direktor des Adham Center for Television Journalism an der American University in Cairo (AUC), nahm in Beirut an der Konferenz "Media and European-Middle Eastern Relations. A Virtual Dialogue?" teil, die gemeinsam vom Orient-Institut Beirut, der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem französischen Forschungsinstitut "Institut Français du Proche-Orient" organisiert wurde.

Qantara.de

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