"Die nächste Revolution kommt bestimmt"
Die von Ihnen gegründete Jugendbewegung 6. April war maßgeblich am Sturz des Diktators Husni Mubarak beteiligt. Heute ist es still geworden um die Revolutionäre der ersten Stunde. Schlägt das Herz der ägyptischen Revolution noch?
Ahmed Maher: Im Moment können wir Aktivisten nichts ausrichten. Die Machthaber – zuerst die Muslimbrüder, nun die Übergangsregierung – haben die öffentliche Meinung gegen uns aufgebracht. Man hört nicht auf uns. Jeder, der sich gegen die Regierung stellt, läuft Gefahr, als Terrorist abgestempelt zu werden. Wir erleben gerade eine gefährliche Zuspitzung der Situation in Ägypten.
Wie sehr haben die ständigen Attacken der Regierung Ihrer Bewegung zugesetzt?
Maher: Wir haben einen großen Teil unserer Basis verloren. Die Geheimdienste des Regimes haben viele Aktivisten eingeschüchtert. Andere sind wegen des Drucks von Freunden oder der Familie ausgestiegen. Sie trauen sich einfach nicht mehr länger, bei uns mitzumachen. Wir müssen nun wieder fast von vorne anfangen.
Die Protestbewegung 6. April unterstützte bei der Stichwahl ums Präsidentenamt im vergangenen Jahr den Kandidaten der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi. Das kreiden viele Ägypter der Bewegung nun an.
Maher: Wir haben damals Mursi unterstützt, weil der einzige Gegenkandidat ein Mubarak-Getreuer war. Gleichzeitig haben wir Mursi davor gewarnt, dass er so enden werde wie Mubarak, sollte er dessen Methoden übernehmen. Die Ratschläge von uns Aktivisten hat er jedoch ignoriert und stattdessen versucht, die Macht zu monopolisieren.
Auch nach dem Sturz Mursis haben wir versucht, die Islamisten zum Einlenken zu bewegen, um ein Blutbad zu verhindern. Doch die Gruppe hat jeden Kompromiss abgelehnt. Die Muslimbrüder tragen große Schuld an der jetzigen Krise.
Sollte die Muslimbruderschaft aus der Politik verbannt werden, so wie es von einigen Vertretern der Übergangsregierung gefordert wird?
Maher: Es wäre sehr gefährlich, die Muslimbrüder auszuschließen. An einer echten demokratischen Entwicklung müssen alle politischen Bewegungen beteiligt werden. Nur so ist es möglich, die Gewalt zu stoppen. Allerdings ist es auch unablässlich, dass die Muslimbrüder aus ihren Fehlern lernen, wenn sie wieder eine politische Rolle spielen wollen.
Anstelle von 6. April schreibt nun die Jugendbewegung "Tamarod" (Rebellion) Schlagzeilen. Dieser gelang es mit einer Unterschriftenkampagne, die Massen gegen Mursi zu mobilisieren. Wie stehen Sie zu der Bewegung?
Maher: Wir haben "Tamarod" geholfen, Unterschriften zu sammeln, weil auch wir Mursi zu Fall bringen wollten. Ansonsten gibt es zwischen uns keinerlei Kontakt. Ich spekuliere nicht gerne über die Absichten anderer, aber es scheint, als ob "Tamarod" einen Militärstaat anstrebt. Das lehnen wir ab. Wir haben nicht vergessen, dass die Armee viele Aktivisten getötet und ihre Revolutionsversprechen gebrochen hat.
Dennoch feiert der ehemals im Volk verhasste Sicherheitsapparat mit der Armee an der Spitze ein politisches Comeback. Hat die Bewegung 6. April die Gefahr, die von einem "tiefen Staat" ausgeht, unterschätzt?
Maher: Der größte Fehler von uns Revolutionsaktivisten war es, nach dem Sturz Mubaraks nicht sofort auf einen Rückzug der Armee aus der Politik zu drängen. Damals, im Februar 2011, waren wir Aktivisten die Helden der Nation und hätten die Möglichkeit gehabt, einen solchen Schritt zu wagen. Für eine kurze Zeit haben wir das Land quasi regiert.
Kritisiert wird oft auch, dass die Bewegung 6. April und andere Aktivistengruppen keine Parteien gegründet haben, um ihren Einfluss auf der Straße in politisches Kapital umzuwandeln.
Maher: Die Revolutionsbewegungen sind leider sehr zerstritten, es gibt viele konkurrierende Ideologien. Mit dem Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte die Bewegung 6. April lange einen wichtigen Verbündeten in der Politik. Nun hat dieser das Land verlassen. Wir wollen deshalb in den kommenden zwei Jahren unsere eigene Partei gründen. Bislang haben die Menschen nur die Wahl zwischen Armee und Islamisten. Ägypten braucht eine dritte Option. Schon bei der kommenden Parlamentswahl wollen wir eine Rolle spielen, dann allerdings noch in einer Koalition mit gleichgesinnten Gruppen. Es gibt glücklicherweise auch in der jetzigen Regierung Minister, die unseren Zielen nahestehen.
Was gibt Ihnen nach der Rückkehr der Armee in die Politik die Hoffnung, die Revolutionsziele von 2011 doch noch zu verwirklichen?
Maher: Es war von Anfang an klar, dass die Revolution nicht nach wenigen Tagen beendet sein würde. Wir wussten, dass es mehrere Revolutionswellen geben würde. Die Revolte gegen Mubarak war eine solche Welle, der Sturz Mohammed Mursis am 30. Juni eine weitere. Die nächste Welle wird bestimmt kommen, sobald sich die Menschen von den jetzigen Machthabern unterdrückt fühlen. Ich bin überzeugt, dass unser Kampf für Freiheit schlussendlich erfolgreich sein wird.
Kann und soll sich Europa in diesen Kampf einmischen?
Maher: Europa soll zu seinen Prinzipien stehen und sich für die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten stark machen.
Interview: Markus Symank
Ahmed Maher ist einer der zwei Gründer der ägyptischen Protestbewegung 6. April. Im Juni 2010 half Maher mit, Demonstrationen gegen die Ermordung des Bloggers Khaled Said zu organisieren. Auch während des Aufstandes gegen Diktator Husni Mubarak spielte er eine zentrale Rolle. Der 32-jährige Ingenieur ist heute eine der wichtigsten Stimmen der Revolutionsbewegung am Nil.
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de