"Manchmal sind selbst wir sprachlos"
Sie sind Mitherausgeber des auflagenstärksten Satiremagazins in der Türkei, Uykusuz (deutsch: schlaflos). Aber auch andere Magazine wie Leman und Penguen sind sehr populär. Woran liegt das?
Barış Uygur: Es gibt tatsächlich nur wenige Länder auf der Welt, in denen Satiremagazine so beliebt sind wie in der Türkei. Beispielsweise gibt es in Frankreich Zeitschriften wie Charlie Hebdo, das seit 1992 alle zwei Wochen erscheint. Im Unterschied zu uns ist Charlie textlastiger, es gibt weniger Karikaturen und diese sind meist mit wenigen Strichen gezeichnet. Die Karikaturen in unseren Zeitschriften sind dagegen sehr detailliert.
Soweit ich weiß, ist die Türkei das einzige Land, in denen solche Magazine so etabliert sind und auf eine solch lange Tradition zurückblicken. Als 1974 die Zeitschrift Gırgır (deutsch: Spaß) herauskam, gab es bereits schon Akbaba (deutsch: Aasgeier), die in den 1940er Jahren entstand und davor gab es Marko Paşa. Geht man noch weiter zurück, gab es noch vor der Republikgründung 1923 die Zeitschrift Karagöz, die mit osmanischen Buchstaben gedruckt wurde. Wir können also sagen, dass es seit der Zeit von Sultan Abdülhamit II. humoristische Zeitschriften in der Türkei gibt. So richtig populär wurden sie aber erst nach dem Militärputsch 1980, als alle anderen Zeitungen zensiert wurden. Damals war Gırgır eigentlich die einzige Oppositionszeitschrift, die mit dem Putsch erst politisch wurde, wodurch ihre Verkaufszahlen mit einem Mal auf rund 500.000 stiegen. In dieser Zeit erlebten alle Satirezeitschriften einen Boom. Eine weitere politische Zeitschrift, die es damals gab, heißt Mikrop (deutsch: Mikrobe) und wir als Uykusuz befinden uns auf einer Linie mit ihr. Wir blicken also auf eine lange Tradition zurück.
Sie betonen, dass Sie unabhängig und frei sind, weil Sie kein Teil eines Medienkonzerns sind. Gibt es denn wirklich kein Thema über das Sie nicht schreiben können?
Uygur: Nein, denn es findet sich immer ein Weg, jedes Thema behandelt zu können. Natürlich gibt es Themen, die offiziell verboten sind, die heftige Reaktionen nach sich ziehen oder juristische Konsequenzen haben können. Es gibt zum Beispiel einen Artikel zum Schutz des Staatsgründers Atatürk oder ein Gesetz zur Bewahrung religiöser Werte. Es ist auch verboten, den Militärdienst zu schmähen. Ausschlaggebend ist, wie man kontroverse Themen behandelt. Und über all das lässt sich schreiben, ohne dabei die Gesetze zu verletzen. Man muss nur professionell genug sein. Deshalb wurden wir bislang auch noch nie zensiert.
Ist es in erster Linie Ihre Absicht, die Leser zum Lachen zu bringen oder haben Sie immer auch eine politische Botschaft für sie parat?
Uygur: Wie Foucault bereits gesagt hat: Es gibt nichts, was nicht politisch ist. Alles was wir schreiben, jede Zeichnung und jedes Comic, das wir veröffentlichen, birgt eine bestimmte Botschaft. Manchmal erkennt man erst viel später, dass eine Karikatur, die auf den ersten Blick unpolitisch erscheint, eigentlich eine politische Aussage enthält. Z.B. hatte einer unserer Karikaturisten, der unter dem Namen Memo Tembelçizer (deutsch: Memo Fauler Zeichner) zeichnet, eine Karikatur mit der Botschaft "Hände weg von meinem Porno" veröffentlicht. Auf den ersten Blick wirkt das einfach wie eine anstößige Aussage. Doch Memo argumentierte: Wenn Ihr mir heute verbietet, im Internet Pornos zu gucken, wer weiß, was Ihr mir morgen verbietet. So offenbarte sich die politische Aussage dieser Zeichnung und die Haltung des Zeichners erst in Nachhinein.
Generell bemühen wir uns um eine Haltung, für die wir uns auch rückblickend nicht schämen müssen. Im Verlauf des sogenannten „postmodernen Coups“ von 1997, als das Militär am 28. Februar die damals regierende Refah Partisi (Wohlfahrtspartei) zwang, abzutreten, war ich noch bei der Zeitschrift Pişmiş Kelle (deutsch: gekochter Schädel) tätig. Neben den islamischen Zeitungen äußerten sich eigentlich nur wir und unsere Freunde von den Zeitschriften Leman, Ustura (deutsch: Rasiermesser) und Çete (deutsch: Bande) gegen das Vorgehen des Militärs. Ähnlich war es auch bei der Welle von Verhören um eine vermeintliche Mitgliedschaft bei "Ergenekon" – eine Organisation, die sich das Ziel gesetzt haben soll, die AKP-Regierung zu stürzen. Wir haben damals sehr deutlich gemacht, dass wir für niemanden der Festgenommenen bürgen möchten, doch dass uns dann die Art, wie die Verhöre durchgeführt wurden, suspekt war.
Man könnte annehmen, dass Satiriker davon profitieren, wenn die politische Lage in ihrem Land schlecht ist. Trifft das generell zu?
Uygur: Man darf nicht vergessen, dass es dann allen Bürgern schlecht geht, also auch den Humoristen. Manchmal blicken wir voller Neid auf unsere holländischen Kollegen und denken, so würden wir auch gerne arbeiten. Sie können sich einfach ihrer Arbeit widmen und werden durch nichts abgelenkt. Seit den Gezi-Park-Protesten sehen wir wie Menschen sterben oder verprügelt werden. Das geht uns nahe. Manchmal sind wir so betroffen, dass uns einfach nichts mehr einfällt. Da ist es gut, dass wir ein Team sind. Irgendjemandem fällt dann immer etwas ein, wie wir ein bestimmtes Thema aufrollen können.
Seit den Gezi-Park-Protesten werden sehr viele Karikaturen oder humoristische Zeichnungen über die Sozialen Medien wie Facebook und Twitter verbreitet. Ist das eine Konkurrenz für Sie?
Uygur: Auf gewisse Weise ja. Doch der Humor in den Sozialen Medien ist ein anderer als unserer. Er ist in diesen Medien viel schnelllebiger. Häufig sind das spontane Antworten auf ganz aktuelle Ereignisse und manchmal ist ein Witz, der in diesem Moment vielleicht lustig war, eine Woche später aber schon nicht mehr. Weil wir eine Zeitschrift sind, die wöchentlich erscheint, muss unser Humor nachhaltiger sein. Am Anfang jeder Woche setzen wir uns zusammen und besprechen die Themen und wie wir sie angehen möchten. Mittlerweile allerdings veröffentlichen wir unsere erste Seite online, also noch vor dem Drucktermin, und sichern uns damit quasi die Urheberschaft auf einen bestimmten Witz.
Derzeit scheint es in der Türkei einen neuen Krimiboom geben. Ihr jetzt auch im Deutschen erschienenes Buch „Rendezvous auf dem Friedhof von Feriköy“ ist der erste Band einer Serie um den Polizisten Süreyya Sami, der so populär war, das er noch im Erscheinungsjahr in zweiter und dritter Auflage gedruckt wurde. Was hat es mit dieser Krimi-Welle auf sich?
Uygur: Krimis waren in der Türkei schon immer beliebt, und die hier entstandenen Kriminalromane sind eben sehr gut. Eine erste Krimiwelle gab es bereits in den 1960er und 70er Jahren. Als der Übersetzer Kemal Tahir alle Mike Hammers-Krimis aus dem Amerikanischen übersetzt hatte, machte er sich kurzerhand selber ans Werk und schrieb weitere zehn Krimis im selben Stil – die Karte von New York, wo die Krimis spielen, vor sich auf dem Tisch. Meiner Meinung nach sind diese sogar besser als die Originale. In den 1980er Jahren nahm das Interesse an Krimis dann etwas ab. Vor ein paar Jahren erlebte das Genre einen neuen Boom und mittlerweile gibt es auch einige junge Krimi-Autoren.
Ich selber mag die Bücher von Schriftstellern wie Dashiell Hammett und Lawrence Block. Auf den ersten Blick scheint es, als wäre der Kriminalroman eine Gattung, die den Schriftsteller sehr einschränkt. Tatsächlich kann ich aber hier meine eigene Meinung und Haltung bestimmten Dingen gegenüber mit einbringen. Der Kriminalroman zwingt mich, den Kontakt zur Wirklichkeit niemals zu verlieren. Und wenn ich über die Realität schreibe, ist es ganz leicht, meine eigenen Einschätzungen und Gedanken in den Roman einfließen zu lassen.
Das Interview führte Ceyda Nurtsch.
© Qantara.de 2016
Barış Uygur wurde 1978 in Eskişehir geboren, studierte Kommunikationswissenschaft und Geschichte und arbeitete als Werbetexter. Neben seiner Tätigkeit als Autor der Satirezeitschrift Uykusuz, betreibt er ein Musiklabel. Auf Deutsch ist von ihm sein Debütroman Rendezvous auf dem Friedhof von Feriköy im Jahr 2014 im Binooki Verlag erschienen.