Die unbeugsamen Frauen von Kabul
Bilder aus Afghanistan in deutschen Medien zeigen meist Krieg und Gewalt. Welches Bild möchten sie mit Ihrer Arbeit vermitteln?
Lela Ahmadzai: Ich fotografiere seit 2003 in Afghanistan. Ich zeige ungern blutige Szenen oder Bilder von Frauen mit Burka. Als Klischeebild wird das zwar immer wieder angefragt, aber ich vermeide, diese Erwartungen zu bedienen. Ich habe selbst den Krieg erlebt und weiß, dass nicht ständig Bomben und Raketen explodieren. Durch meine Langzeitdokumentationen kann ich ein anderes Bild zeigen und etwas über das Leben der Menschen erzählen.
In Ihrer Ausstellung "Die Unbeugsamen" porträtieren sie vier Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, unter anderem eine Bäckerin. Warum ist es wichtig, ihr eine Stimme zu geben?
Ahmadzai: Die einfache Frau repräsentiert die Mehrheit der Afghaninnen. Die Veränderungen, die sie erlebt, sind minimal, zum Beispiel dass ihre Kinder jetzt zur Schule gehen können oder sie noch als Bäckerin arbeiten darf. Leider werden die afghanischen Frauen immer wieder für Fragen der Macht instrumentalisiert und dann fallen gelassen. Ich habe Angst, dass dies mit dem Abzug der NATO erneut passiert. Die Bäckerin kann nicht aus Afghanistan weg, da sie nicht genug Geld für eine Flucht verdient. Die anderen drei Protagonistinnen hätten durchaus die Möglichkeit, das Land zu verlassen, da sie aus der Oberschicht kommen. Sie haben das auch schon getan. Aber solche Frauen sind eine Minderheit in der Gesellschaft.
Neben Ihren Arbeiten zeigt das Willy-Brandt-Haus derzeit Bilder Ihrer 2014 in Afghanistan getöteten Kollegin Anja Niedringhaus. Was bedeutet ihr Tod für Sie?
Ahmadzai: Es tut mir sehr leid, dass eine weitere Journalistin in Afghanistan ihr Leben gelassen hat. Besonders schmerzlich ist, dass Anja Niedringhaus in dem Land ermordet wurde, von dem sie so geschwärmt hat. Vor allem die Warmherzigkeit der Afghanen hatte es ihr angetan. Aber leider ist der Beruf des Journalisten gefährlich. Der Polizist, der sie erschossen hat, wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Ausstellungseröffnung habe ich die Mutter von Anja Niedringhaus gefragt, warum sie die Todesstrafe abgelehnt hat. Sie antwortete mir, dass man Schlechtes nicht mit Schlechtem vergelten kann.
Sie reisen mehrmals im Jahr nach Afghanistan. Worauf müssen Sie bei Ihrer Arbeit achten?
Ahmadzai: Ich muss auf vieles achten. Es gelten zum Beispiel völlig andere kulturelle Kodizes. Wenn ich an einen neuen Ort komme, muss ich anhalten und eine Erlaubnis einholen. Für mich ist das etwas einfacher, weil ich - anders als viele Kollegen - keinen Übersetzer brauche. Wichtig ist auch, wie ich auftrete, wie ich mich kleide oder wie ich die Älteren begrüße. Wenn der Zugang einmal da ist, geht die Arbeit meistens sehr gut und ich kann immer wiederkommen, was eine intensive Arbeit ermöglicht.
Bedeutet dies, dass es mehr eine kulturelle Frage als eine Sicherheitsfrage ist?
Ahmadzai: Die Sicherheitsfrage stellt sich natürlich auch immer von Neuem. Ich kommuniziere zum Beispiel nie meine Reisepläne, bevor ich in die Region fliege. Ich poste nichts auf Facebook und ich twittere nicht – also absolut "low profile". Vor Ort bin ich dann viel bei Freunden und Verwandten. Das ist ein guter Schutz, weil die nach mehr als 30 Jahren Krieg ein gutes Gespür für die Lage haben. Manchmal sagen sie "Lela, heute gehst Du nicht los" - auch wenn ich meist nicht weiß, warum. Ich nehme das hin und vertraue ihnen einfach. Gespür ist ein wichtiger Faktor für die Sicherheit in Afghanistan.
Sie sind Mitinhaberin von "2470media", einer Produktionsfirma für multimediales Storytelling. Ist multimediales Erzählen die einzige Möglichkeit, auf dem Markt zu bestehen?
Ahmadzai: Der Markt ist leider schwer geworden. Das betrifft nicht nur den Fotojournalismus. Multimediastories verkaufen sich da nicht per se besser. Schöne Geschichten mit interaktiven Elementen wie man sie zum Beispiel in der NYT oder dem Guardian findet, sind Ad-Ons, um Leser anzulocken. Aber die werden nicht gut verkauft und die Redaktionen bleiben auf den Kosten sitzen. Bei "2470media" nehmen wir auch kommerzielle Aufträge an, um damit umfangreiche, nicht so gut bezahlte Recherchen zu finanzieren. Darüber hinaus ist die Arbeit im Team sehr wichtig. Nur so lassen sich umfangreiche Projekte wie die gegenwärtige Ausstellung realisieren.
Viele Ihrer Bilder sind vor allem als Multimediapräsentation im Internet zu finden. Welche Bedeutung hat eine Ausstellung für Sie?
Ahmadzai: Ich liebe Ausstellungen, weil die Fotografien da ganz anders ankommen. Online oder im Printmagazin meine Bilder zu entdecken ist zwar schön, aber alles ist sehr viel schnelllebiger. Bei einer Ausstellung kommen die Zuschauer extra an einen Ort, machen Halt und nehmen sich bewusst Zeit, um sich auf Fotos einzulassen. Das ist großartig, weil damit meine Bilder eine besondere Wertschätzung erfahren.
Das Gespräch führte Felix Koltermann.
© Deutsche Welle 2015
Lela Ahmadzai wurde 1975 in Kabul geboren und kam im Alter von 17 Jahren nach Deutschland. Seit 2003 dokumentiert sie den gesellschaftlichen und politischen Wandel in Europa und Asien. 2014 gewann Lela Ahmadzai für ihre Multimedia-Reportage "Stille Nacht. Das Massaker von Kandahar" den zweiten Preis des internationalen World Press Photo Award. Ihre Ausstellung "Die Unbeugsamen" ist noch bis 24. Januar 2016 im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen. Parallel dazu wird die Ausstellung "Geliebtes Afghanistan – Fotografien von Anja Niedringhaus" gezeigt.