Der verdeckte Konflikt in der Golfregion
Am 8. November fing die US-Marine ein iranisches Boot ab, das mit Material für die Herstellung von Waffen auf dem Weg in den Jemen war. Experten zufolge beförderte das Boot 70 Tonnen Ammoniumperchlorat, das sich zur Herstellung von Treibstoff für ballistische Raketen verwenden lässt, und 100 Tonnen Harnstoffdünger, einem Vorprodukt für die Sprengstoffherstellung. Das US-Militär erklärte, das Boot stelle eine Bedrohung für die kommerzielle Schifffahrt und die Sicherheit in der Region dar. Es entsorgte die Ladung, übergab die Besatzung an die jemenitische Küstenwache und versenkte dann das Boot.
Angriff auf die globale Energieversorgung
Nicht zum ersten Mal wurden derartige Schiffstransporte gestoppt. Seit 2015 hat die US-Marine mehrere Schiffe mit Waffen und Komponenten für die Herstellung von ballistischen Raketen und Drohnen abgefangen. Anfang des Jahres wurde zudem gemeldet, dass ein ähnliches Boot aus Somalia, ebenfalls mit Harnstoffdünger an Bord, auf dem Weg zu den Huthi-Rebellen im Jemen war.
Eine weitere Schiffsladung aus dem Iran mit Raketen für die Huthi-Rebellen wurde im April dieses Jahres von der britischen Royal Navy im Golf von Oman beschlagnahmt. Sprengstoffexperten konnten nach Auswertung der Schiffsladung eine Verbindung zu dem von den Huthis im Januar dieses Jahres verübten Angriff auf Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, herstellen.
Wir haben erlebt, wie die Huthis 2016 Raketen auf die US-Marine in der Nähe der Meeresstraße Bab al-Mandab abgefeuert und wahllos Seeminen in Hoheitsgewässern vergraben haben. 2017 haben sie mit einem ferngesteuerten Boot die jemenitische Stadt Mokka am Roten Meer bedroht und 2018 saudische Schiffe im Hafen von Hodeidah angegriffen. Darüber hinaus fanden jüngst Angriffe auf die Häfen Al-Nashima in der Provinz Schabwa und Al-Dhaba in der Provinz Hadramaut statt, ganz zu schweigen von der Attacke auf einen Öltanker im Qena Oil Terminal in Schabwa im Oktober 2022.
Am 16. November dieses Jahres nahm der Iran den Öltanker "Pacific Zircon“ vor der Küste des Oman mit einer Drohne ins Visier. Dabei wurde der Rumpf des Tankers leicht beschädigt.
Auch dies war ein Versuch des Iran, in der aktuellen weltweiten Krisenlage die Energieversorgung zu stören, eigene Bedingungen in den Verhandlungen zur Wiederaufnahme des Atomabkommens durchzusetzen und seine expansionistische Politik in der Region voranzutreiben.
Drohende Umweltkatastrophe
Vor der jemenitischen Küste ankert der von den Huthis besetzte Öltanker Safer. Seit 2015 verweigern die Huthis den Experten der Vereinten Nationen den Zugang zu dem maroden Schiff. Die Experten wollen die Gefahrenlage beurteilen und dringend notwendige Maßnahmen einleiten, um eine Umweltkatastrophe zu verhindern. Die Kosten dieser Maßnahmen werden von Fachleuten auf 80 Millionen Dollar geschätzt.
Die Kontrolle der Huthis über Teile des Jemen mit iranischer Unterstützung ist nicht nur eine Bedrohung für den Jemen, sondern auch für die Sicherheit von Handelsschiffen und die Sicherheit der internationalen Schifffahrtswege.
So verletzen die Huthi-Rebellen sämtliche Vereinbarungen, einschließlich des Friedensabkommens von Stockholm und des von den Vereinten Nationen unterstützten Waffenstillstands, alle internationalen Gesetze und Resolutionen des Sicherheitsrats, während sie gleichzeitig die Deeskalations- und Friedensbemühungen untergraben.
Die US-amerikanische und die britische Marine haben daher im April dieses Jahres zusammen mit anderen verbündeten Ländern eine neue Task Force gebildet, um das Rote Meer zu überwachen, die Schifffahrt zu stabilisieren und die wichtige internationale Handelsroute durch die Meeresstraße Bab al-Mandab, das Rote Meer und den Golf von Aden zu sichern.
Diese Task Force ergänzt die aktive Rolle Saudi-Arabiens im Konflikt. Die Saudis führen die arabische Koalition an, sichern die internationalen Schifffahrtswege im Roten Meer und in der Meeresstraße von Bab al-Mandab und vereitelten bislang Dutzende von Terroranschlägen, die die Huthis in den letzten acht Jahren geplant hatten, bei denen ferngesteuerte, mit Sprengfallen versehene Boote und Seeminen zum Einsatz kamen – Militärtechnik, die die Rebellen ohne Ausnahme aus dem Iran importieren.
Durch die Straße von Hormus gehen zehn Prozent des Welthandels
Seit Mai 2022 fordern mehrere europäische Länder unter der Initiative Frankreichs, die European Supervision Mission on the Strait of Hormuz, die Anfang 2020 aus acht europäischen Ländern gebildet wurde, auf das Rote Meer und den Indischen Ozean durch die Meerenge Bab al-Mandab auszuweiten. Über diese Meerenge werden zehn Prozent des Welthandels abgewickelt. Es ist anzunehmen, dass dieser Anteil nach dem Krieg Russlands gegen die Ukraine noch zunehmen wird.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den Sanktionen gegen russische Ölexporte suchen die europäischen Länder nach alternativen Lieferanten. In der Folge wenden sie sich stärker der Golfregion zu, die sich aufgrund ihrer großen Vorkommen und der gut ausgebauten Infrastruktur als beste Alternative anbietet.
Mittlerweile haben Italien und Deutschland mit Katar Lieferverträge abgeschlossen, Frankreich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dabei geht es nicht nur um fossile Energien, sondern auch um eine Zusammenarbeit zwischen Europa und den arabischen Golfstaaten bei sauberen Energien, die über die vorangehenden Abkommen zwischen der Europäischen Union, Saudi-Arabien und den VAE zu grünem Wasserstoff hinausgeht.
Der Westen braucht sichere Handelswege
Die Ost-West-Beziehungen hängen maßgeblich von der Stabilität des Seehandels über die Straße von Hormus und die Meerenge Bab al-Mandab ab. Beide Meeresstraßen dienen als Verkehrsknotenpunkte zwischen Europa, Asien und Afrika. Eine große Anzahl westlicher Länder ist von Handelsbeziehungen mit der arabischen Welt abhängig – insbesondere mit den arabischen Golfstaaten.
Die Weltwirtschaft befindet sich derzeit in einer Rezession. Die Großmächte sind gezwungen, sich geopolitisch neu auszurichten. So wollten die USA ursprünglich ihr Engagement im Nahen Osten schrittweise zurückfahren. Jetzt wird die US-Regierung durch die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gezwungen, die Stabilität in der Region und insbesondere im Jemen neu zu bewerten.
Mehrere europäische Länder befinden sich bereits im Wettlauf um die Sicherung der internationalen Handelsrouten und die Stärkung ihrer führenden Rolle in der Seeschifffahrt auf diesen wichtigen Schifffahrtswegen.
Fachleute gehen davon aus, dass sich das Bruttosozialprodukt der Region am Roten Meer bis 2050 mehr als verdreifachen wird: von 1,8 Billionen Dollar auf 6,1 Billionen Dollar. Trotz dieses Potenzials sehen Wirtschaftsprognosen auf der Grundlage aktueller Daten keine wesentliche Zunahme der Investitionen in die Sicherheit des Welthandels am Persischen Golf in den kommenden Jahrzehnten, was wohl auf die Instabilität in der Region zurückzuführen ist.
Dies könnte sich grundlegend ändern, wenn gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung der Region unternommen werden und das Volumen des Welthandels durch das Rote Meer und die Straße von Bab al-Mandab bis 2050 um mehr als das Fünffache des derzeitigen Niveaus wächst, nämlich von 881 Milliarden Dollar auf 4,7 Billionen Dollar.
Der Westen muss die Ursachen angehen
Trotz aller Bemühungen widmet sich die westliche Welt immer noch den Symptomen, nicht den Ursachen der Probleme. Die einfachste Lösung läge in der Anwendung der sogenannten Upstream-Theorie, wonach man die Symptome bis zum Ursprung des Problems zurückverfolgt. Paradoxerweise ist sich China der Bedeutung dieser Region vollauf bewusst.
China versucht, sein globales Gewicht durch die Belt and Road Initiative (Neue Seidenstraße) wiederherzustellen, investiert in Dschibuti und führt dort große Infrastrukturprojekte durch. China baut seinen Einfluss in der Region beständig aus und beschneidet gleichzeitig gezielt die Handlungsspielräume der Vereinigten Staaten.
Anstatt weitere Initiativen zu lancieren und viel Geld und Mühe in den Schutz der Schifffahrtsrouten zu investieren, sollten sich die Regierungen – insbesondere in Europa – darauf konzentrieren, den Präsidialrat und die rechtmäßige Regierung des Jemen zu unterstützen, die das gesamte politische und soziale Spektrum des Landes repräsentieren, damit diese die Kontrolle durchsetzen und für Sicherheit und Stabilität entlang der jemenitischen Küste sorgen kann.
Gleichzeitig würde dies die militärischen Fähigkeiten der Huthis eindämmen, die neuerdings in den verdeckten Krieg des Iran gegen Energieinfrastruktur, Anlagen, Häfen und Öltanker in internationalen Gewässern eintreten.
Die Fakten liegen ebenso auf dem Tisch wie die Lösungen. Die Frage lautet: Werden die europäischen Länder das Problem an der Wurzel packen oder werden sie weiter Zeit mit der Bekämpfung der Symptome verschwenden?“
Muammar Al-Eryani
© Qantara.de 2022
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers
Muammar Al-Eryani ist Minister für Information, Kultur und Tourismus der international anerkannten jemenitischen Regierung.