Jagd auf Aktivisten in sozialen Netzwerken
Die fünfjährige Rodschan Arabi wünscht sich sehr, dass ihr Vater vorbeikäme, um sie von der Vorschule abzuholen. Doch das ist unmöglich. Ihr Vater Soheil Arabi sitzt im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis - in der Todeszelle. Mehr als zwanzig Minuten im Monat darf die Tochter ihren Vater nicht sehen. Ihm wird vorgeworfen, auf Facebook den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Ein Vergehen, auf das in der Islamischen Republik Iran die Todesstrafe steht.
Die Einträge auf Facebook wurden auf acht verschiedenen Facebook-Accounts eingestellt. Die Behörden sind sich sicher, dass alle Konten Soheil Arabi gehören. Seine Frau Nastaran Naimi bestreitet das. Sie versucht nun - ebenfalls über Facebook - die Öffentlichkeit für den Fall ihres Mannes zu mobilisieren. Er habe nie selber etwas geschrieben, was man als Beleidigung des Propheten auffassen könnte, schreibt sie. Arabi habe lediglich Inhalte von anderen Webseiten kopiert und gepostet.
Nastaran Naimi, Fotografin wie ihr Mann Soheil Arabi, war zusammen mit ihm im November 2013 in ihrer gemeinsamen Wohnung in Teheran von Angehörigen der Revolutionsgarde festgenommen worden. Sie kam nach ein paar Stunden frei. Ihr Mann aber landete im Trakt 2A des Evin-Gefängnisses. Der untersteht der Revolutionsgarde. Er blieb dort zwei Monate lang in Einzelhaft. Unter Druck soll er ein "Geständnis" abgelegt haben.
"Under Radar": Facebook, Twitter und Co.
Anfang September wurde Arabi von einem Teheraner Revolutionsgericht zu drei Jahren Haft verurteilt - wegen "Propaganda gegen das System" und "Beleidigung des Religionsführers". Arabi legte Revision ein. Erst dann ergänzte das Teheraner Strafgericht die Vorwürfe um den Tatbestand "Beleidigung des islamischen Propheten". Es folgte das Todesurteil. Am 24. November bestätigte Irans Oberster Gerichtshof dieses Urteil.
Menschenrechtsaktivisten und Organisationen wie Human Rights Watch (HRW) sind fassungslos. HRW fordert den Iran auf, sein Strafgesetzbuch dringend zu überarbeiten. Menschen sollten nicht weiter wegen friedlicher Meinungsäußerungen kriminalisiert werden. Die Menschenrechtsorganisationen fordern den Iran auf, das Todesurteil im Fall Arabi umgehend aufzuheben.
Möglicherweise zeigt der internationale Druck Wirkung. Die der Opposition nahestehende Internetseite "Kalameh“ berichtete Ende der Woche, der Oberste Gerichtshof wolle den Fall Soheil Arabi noch einmal überprüfen. Die Mitarbeiter von "Kalameh" sind der Meinung, dass Sohei Arabi einer Kampagne der Revolutionsgarde zum Opfer gefallen ist. Sie mache Jagd auf Aktivisten in den sozialen Netzwerken.
Verhaftungswelle
Tatsächlich hat es im Iran in den letzten zwölf Monaten auffallend viele Verhaftungen von Internetaktivisten gegeben. Allein im letzten Juli wurden acht Aktivisten zu Haftstrafen zwischen acht und 21 Jahren verurteilt.
Ihnen wurde unter anderem "Versammlung und Gefährdung der nationalen Sicherheit", "Propaganda gegen den Staat" oder "Beleidigung der Heiligtümer" vorgeworfen. Die offizielle, iranische Nachrichtenagentur IRNA beschreibt sie als "junge Menschen" und "Administratoren von Facebook-Seiten".
Bereits im September waren elf Personen verhaftet worden. Laut staatlichen Medien sollen sie gestanden haben, im Internet Witze über den verstorbenen Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Chomeini verbreitet zu haben.
"Eigentlich müssen sie die ganze Stadt verhaften, wenn sie nach Schuldigen suchen“, meint der iranische Blogger Arash Abadpour. "Die jungen Menschen wollen mit Programmen wie WhatsApp, Viber oder Facebook nur die staatliche Zensur umgehen und relativ frei miteinander kommunizieren. Aber die Machthaber wollen alles kontrollieren.“
"Alle User werden identifiziert"
Am 6. Dezember 2014 wurde deutlich, dass der Iran sogar noch einen Schritt weitergeht: Demnächst will Teheran will nicht nur unliebsame Internet-Inhalte filtern, sondern sämtliche Web-Nutzer identifizieren, sobald sie sich einloggen. "Wer künftig das Internet nutzen will, wird identifiziert", sagte Telekommunikationsminister Mahmud Waesi. "Wir werden die Identität eines jeden Web-Users kennen", zitierte ihn die Nachrichtenagentur Isna.
Der Zugang zu Facebook und anderen sozialen Netzwerken ist im Iran schon seit längerem gesperrt. Die Mitgliedschaft bei Facebook selbst ist offiziell nicht strafbar. Sogar Politiker aus der Regierung besitzen Facebook- und Twitter-Accounts, so etwa Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif.
Viele Iraner nutzen Facebook dennoch mit Hilfe von VPN-Servern, die staatliche Zensurmechanismen umgehen. Dafür aber steht die Nutzung von VPNs unter Strafe, ohne die aber Facebook und Co. nicht zu erreichen sind. Präsident Hassan Rohani hatte im Wahlkampf versprochen, das zu ändern. Die jungen Menschen im Iran sollten freien Zugang zu Informationen und sozialen Medien bekommen.
Anderthalb Jahre nach Rohanis Sieg bei der Präsidentschaftswahl ist davon nichts zu sehen. Selbst Außenminister Zarif ist nicht mehr auf Facebook und Twitter aktiv. Rohanis Regierung hat keinen Einfluss auf die Justiz und das Parlament. Die Organe agieren unabhängig und sind weiterhin von konservativen Kräften dominiert.
Sorge um zum Tode Verurteilen
Arash Abadpour, 2012 Juror beim internationalen Blog-Award Best of Blogs der Deutschen Welle, ist ernsthaft besorgt um Soheil Arabi: "Soheil Arabi ist ein Facebook-Aktivist wie viele andere junge Iraner. Sein Todesurteil soll eine Warnung für die anderen sein. Sie sollen wissen, dass der Staat es ernst meint und jede Form von Opposition mit härtesten Strafen verfolgt."
Von Juni 2013 bis Juli 2014 wurden im Iran nach Angaben des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte im Iran, Ahmad Shahid, mehr als 850 Menschen hingerichtet, mindestens acht davon waren minderjährig. 2012 wurden nach Zahlen von Amnesty International 269 Personen im Iran hingerichtet. Diese Zahl hat sich im ersten Amtsjahr von Hassan Rohani also verdreifacht.
Salehi Hossein
© Deutsche Welle 2014