Kleinkriminelle am Galgen
Dass im Iran Weintrinker ausgepeitscht, Ehebrecherinnen gesteinigt und Homosexuelle an Kränen aufgehängt werden, kennt man seit langem aus den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen. Der Staat manifestiert in diesen Strafen seinen Deutungsanspruch über das islamische Recht.
Die Bürger Irans erinnern sich, wenn sie von solchen Züchtigungen und Hinrichtungen in der Zeitung lesen oder gar in aller Öffentlichkeit einer solchen beiwohnen, dass sie in einer Islamischen Republik leben. Was Recht und Unrecht ist und welche Strafe auf welche Verbrechen steht, das entscheiden die Richter auf der Grundlage unabänderlicher religiöser Quellen, so wollen es die Machthaber vom Volk verstanden wissen.
Eine klare Richtschnur, der Islam, und gelehrte Männer, die danach Recht sprechen und Gerechtigkeit walten lassen – so sieht das Ideal aus. Die Realität hat dieses Ideal seit den Tagen der Revolution von 1979 eingetrübt. Und im Augenblick ist das Scheitern an den eigenen Ansprüchen besonders offenkundig.
Seit kurzem zieht im Iran ein Straftatbestand die Todesstrafe nach sich, bei dem das früher nicht der Fall war: Raub. Großes Aufsehen erregte im Land der Fall zweier Männer Anfang zwanzig, die Mitte Januar in einem Teheraner Stadtpark öffentlich hingerichtet wurden. Sie hatten in Teheran auf offener Straße mit gezücktem Messer einen Passanten überfallen und ihm seine Geldbörse geraubt. Das Raubgut betrug dem Vernehmen nach umgerechnet nicht einmal 50 Euro.
Ein unbekannter Fotograf hat Bilder von der Hinrichtung der beiden Täter geschossen. Ein Foto zeigt einen der Verurteilten, wie er Trost bei seinem vermummten Henker sucht, bevor dieser ihm die Schlinge um den Hals legt.
"Krieg gegen Gott"
Was ist passiert? Raub wurde in der Islamischen Republik bislang im schlimmsten Fall mit dem Abhacken der rechten Hand bestraft. Und oft hatten die Verurteilten die Möglichkeit, die Körperstrafe in eine Gefängnis- oder Geldstrafe umzuwandeln. Im Bereich der Raubdelikte ist aus den islamischen Quellen die Todesstrafe lediglich für "Wegelagerei", arabisch "qat' at-turuq", abzuleiten. Damit war der bewaffnete Überfall auf Handelskarawanen in der Wüste gemeint. Auf diesen Begriff nehmen die Strafverfolger im Iran nicht Rekurs.
Die Begründung des Revolutionsgerichts für das Aufsehen erregende Todesurteil sieht so aus: den Tätern wird zur Last gelegt, mit ihrem Raubüberfall im Land ein Gefühl der Unsicherheit und Instabilität in einer Weise verbreitet zu haben, die den Bestand der Islamischen Republik als Ganzes gefährde. Damit machten sie sich der "moharebeh", des Krieges gegen Gott, schuldig. Denn die Islamische Republik sei der von Gott gewollte Staat. Und auf "moharebeh" steht die Todesstrafe. So hat es Khomeini eingerichtet.
Der Chef der iranischen Justiz, Ayatollah Sadegh Amoli-Laridjani, macht aus dem willkürlichen Charakter des Todesurteils keinen Hehl. "Natürlich könnte die Tat auch anders bestraft werden. Aber um den kriminellen Elementen klarzumachen, dass ihre Taten einen hohen Preis haben, hat sich die Justiz für die Todesstrafe entschieden(...) Das Todesurteil wurde um der Abschreckung willen verhängt."
So zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur "Fars". Der Staat geht das Thema offensiv an. Das Fernsehen zeigte während des Strafprozesses Ende Dezember mehrfach das Video einer Überwachungskamera, das den Raubüberfall dokumentieren soll. Die Hinrichtung fand folgerichtig "in aller Öffentlichkeit" (persisch "dar mala'e 'am") statt. Bürger in Teheran berichten, in der Stadt seien riesige Poster aufgehängt worden mit der Aufschrift: "Auf Raub steht die Todesstrafe" ("modjazat-e zur-giri edam ast").
Straßendiebe und Räuber als neue Staatsfeinde?
Straßendiebe und Räuber als die neuen Staatsfeinde? Was ist passiert? Staatsfeinde waren bislang eher kritische Intellektuelle wie Hashem Agha-Djari, missliebige Filmemacher wie Dschafar Panahi oder die studentischen Rädelsführer der "Grünen Welle", der Protestbewegung gegen die umstrittene Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten im Jahre 2009.
Solche Leute müssen im Iran eigentlich mit einer Anklage wegen "moharebeh" rechnen. Oder sogar damit, dass sie ohne Anklage "an Herzversagen" auf einem Polizeirevier sterben, wie der junge Blogger Sattar Beheshti vor wenigen Wochen. Oder dass sie eines Tages verschwinden und kurze Zeit später als Leiche an einem einsamen Straßenrand wieder auftauchen, wie so viele Schriftsteller und prominente Querdenker in der Mordserie 1998-2002.
Aber Straßendiebe und Räuber? Die Islamische Republik scheint, vier Monate vor der Präsidentschaftswahl, in eine neue Phase des Kampfes um ihr Überleben eingetreten zu sein. Die Staatsmedien schwadronieren von einer neuen großen Zwietracht ("fetneh"), die das feindliche Ausland anlässlich der Wahl im Land säen wolle.
Die internationale Isolation, die das Regime in zunehmendem Maße seit der blutigen Niederschlagung der "Grünen Bewegung" 2009 über sich gebracht hat, zeitigt Folgen. Die Wirtschaftssanktionen fordern, anders als vor 2009, inzwischen einen hohen Preis.
Neue soziale Not
Sie treffen bei weitem nicht mehr nur das Atomprogramm und die militärische Rüstung sondern die Wirtschaft insgesamt. Der Wert der Landeswährung Rial verfällt, während die Lebenshaltungskosten in die Höhe schnellen. Wichtige Medikamente kommen nicht mehr ins Land. Zehntausende Krebspatienten erhalten keine Chemotherapie mehr. Im Iran herrscht eine humanitäre Krise.
Die neue soziale Not führt in der Tat zu einer Zunahme von Diebstählen und Raubüberfällen. Das berichten einhellig Bürger aus dem Iran. Das Regime scheint deswegen so nervös und besorgt zu sein, dass es auf die denkbar brutalste Art zuschlägt, mit der Hinrichtung der Kleinkriminellen in aller Öffentlichkeit.
Totale Abschreckung ist die Devise. Nicht nur politischer Protest sondern alles, was das Gespenst der Unordnung und der Anarchie aus der Flasche entweichen lassen könnte, soll im Keim erstickt werden. "Wir müssen eine neue Epoche der Auseinandersetzung mit den Kräften des Bösen einleiten", formuliert es Justizchef Amoli-Laridjani.
Politische Glaubwürdigkeit spielt in dieser Phase des Überlebenskampfes für die Machthaber keine Rolle mehr.
Stefan Buchen
© Qantara.de 2013
Stefan Buchen arbeitet als Fernsehjournalist für das Politikmagazin Panorama. Er ist Autor der ARD-Dokumentation "Die Lügen vom Dienst – der BND und der Irakkrieg".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de