Steiniger Weg zur Modernität

Der Vormarsch der islamischen Gerichte beschneidet die Rechte von Nicht-Muslimen und bedroht den sozialen Frieden einer wohlhabenden Nation.

Kommentar von Sadanand Dhume

​​Wer im Meer schlechter Nachrichten aus der muslimischen Welt nach einem Tropfen Hoffnung sucht, verweist oft auf Malaysia. Das Land verfügt über eine funktionierende Demokratie, eine solide Wirtschaft; die drei ethnischen Gruppen - Malaien, Chinesen und Inder - leben friedlich zusammen.

Malaysia hat in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen, um sich diesen Ruf zu verdienen. Doch einige Entscheidungen der Hardliner unter den islamischen Rechtsgelehrten verdeutlichen die Widersprüche des malaysischen Modells und lassen Zweifel darüber aufkommen, ob es dem Land gelingt, wie angestrebt bis 2020 zu einer führenden Industrienation der Welt aufzusteigen.

In einer zunehmend globalisierten und von hartem Wettbewerb geprägten Welt kann das Land keine Modernisierung seiner Wirtschaft erreichen, ohne seine Gesellschaft zu modernisieren. Konkret bedeutet dies, dass den universellen Werten von Meinungsfreiheit und Freiheit in der Forschung gegenüber dem engstirnigen Diktat islamischer Orthodoxie Vorrang gegeben wird.

Mittelalterliches Denken

Das jüngste Beispiel für einen solchen Zusammenstoß der Moderne mit dem Mittelalter ist Revathi Masoosai, eine 29-jährige Frau indischer Herkunft. Ihre Eltern sind Muslime, doch Revathi Masoosai wuchs bei ihrer hinduistischen Großmutter auf.

Im März zwang ein islamisches Gericht Revathi zur Trennung von ihrem hinduistischen Ehemann, Suresh Veerappan, und übergab deren 15 Monate alte Tochter in die Obhut von Revathis Mutter.

Nach malaysischem Recht gilt jede Person mit muslimischen Eltern automatisch als Muslim, und das Konvertieren zu einer anderen Religion ist nicht zulässig (eine Einschränkung, die für Nicht-Muslime im umgekehrten Fall nicht gilt). Da sich alle Muslime fortan unter dem Rechtsmantel der Scharia befinden, ist ihnen die Anrufung eines weltlichen Gerichts nicht möglich.

Angst vor religiösen Fanatikern

Revathis Fall ist nur der letzte einer ganzen Reihe ähnlich gelagerter Vorkommnisse. Bereits 2005 entschied ein islamisches Gericht, dass M. Moorthy, ein bekannter Bergsteiger und, seiner Frau zufolge, ein praktizierender Hindu, kurz vor seinem Tod heimlich zum Islam konvertiert sei. Deshalb wurde der Leichnam, trotz des Protests der Witwe, nach islamischer Sitte bestattet.

Ein weiterer Fall, der es zu zweifelhafter Popularität brachte war Lina Joy, eine IT-Kauffrau in den Mittvierzigern, die seit fast zehn Jahren erfolglos darum bemüht ist, eine offizielle Anerkennung für ihre Konversion vom Islam zum Christentum zu erlangen.

In den letzten Monaten gingen viele Hindus auf die Straße, um dagegen zu protestieren, dass eine Reihe von Tempeln niedergerissen wurden, darunter mindestens zwei aus dem 19. Jahrhundert.

In all diesen Fällen sah die malaysische Regierung unter Premierminister Abdullah Badawi weg; Badawi, der sich offiziell zur so genannten Staatsdoktrin des "Islam Hadhari" bekennt, die sich durch eine tolerante, gemäßigte Auslegung des Islam auszeichnet, verrät damit seine Furcht vor der Wut religiöser Fanatiker.

Zunehmende Islamisierung

Der Kern des Problems liegt zweifellos in Malaysias unklarem Verhältnis zur Modernisierung. Im Gegensatz zum benachbarten Singapur, das für Gleichheit vor dem Gesetz und eine strenge Leistungsgesellschaft steht, bemüht Malaysia sich darum, den Anschluss an den Wohlstand nicht zu verlieren. Und all dies vor dem Hintergrund einer sich verstärkenden Islamisierung und angesichts einer Almosenpolitik gegenüber den ethnischen Malaien, die dem Gesetz nach Muslime sein müssen.

Noch bis vor kurzem war das Malaysia der Tugendwächter und der Gotteslästerungsgesetze auf der einen Seite, das der glänzenden Wolkenkratzer und der Hochgeschwindigkeitszüge auf der anderen Seite strikt voneinander getrennt.

Doch der Aufstieg Chinas, Indiens und Vietnams und der Trend von einer Billiglohn-Produktion zu einer wissens- und technologieabhängigen Wirtschaft lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, ob dem malaysischen Modell noch eine Zukunft beschieden sein wird.

Das Land braucht Forschungsfreiheit, um die Kreativität seiner Bewohner zu entfalten. Es muss für eine Atmosphäre von Toleranz sorgen, um die Abwanderung der gut qualifizierten Nicht-Malaien zu stoppen und gleichzeitig Anreize für Talente und Investitionen aus Übersee zu bieten.

Ohne ein radikales Umdenken in den kontroversen Fragen der ethnischen Zugehörigkeit und des religiösen Überlegenheitsanspruchs dürfte dies jedoch kaum möglich sein.

Privilegien des malaiischen Bevölkerungsanteils

Nach den Unruhen von 1969 in Kuala Lumpur zwischen der wohlhabenden chinesischen Minderheit und ethnischen Malaien richtete der Staat ein Programm zur Sicherstellung eines höheren Einkommens für die Malaien ein. So wurden malaiische Geschäftsleute bei Regierungsaufträgen stark begünstigt, Malaien erhielten praktisch ein alleiniges Recht auf großzügige Auslandsstipendien.

​​Anstatt also den Malaien eine effektive Chancengleichheit zu sichern, wurde eine Klasse geschaffen, die durch Vetternwirtschaft nach oben gelangte und vom Staat getragen wird; diese Privilegien werden von den Malaien nicht nur als Geburtsrecht betrachtet, allzu oft schlägt sich dieses ethnische Überlegenheitsgefühl auch in religiöser Intoleranz nieder.

Ein Silberstreifen am Horizont sind in dieser Situation liberal gesinnte Muslime, wie der Anwalt Malik Imtiaz Sarwar und der Politikwissenschaftler Farish Noor, die sich vielen Nicht-Muslimen und einer großen Zahl von Blogs in der Kritik an diesem Trend anschließen.

Und doch konnten diese Probleme zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt auftreten. Malaysias traditioneller Vorteil bei der kostengünstigen Fertigung von elektronischen Geräten wird von Staaten wie China und Vietnam ernsthaft bedroht.

Unklare Zukunft

Die Regierung hat massiv in die technologische Infrastruktur des Landes investiert, und dennoch fällt es ihr, angesichts des harten Kampfes um die gut qualifizierten und trotz der Lockerung einiger der erwähnten Quotenregeln, schwer, indisch- und chinesischstämmige Techniker ins Land zu holen oder dort zu halten.

Viele der besten Köpfe unter den Studenten — vor allem Nicht-Malaien — wandern nach Australien, in die USA und nach Singapur ab, Länder, in denen sie Meinungsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz genießen.

So birgt das Schicksal von Revathi Masoosai für Malaysia weit reichende Implikationen. Der endgültige Ausgang des Streits wird zeigen, ob sich das Land für eine Zukunft als wohlhabende und pluralistische Handelsnation entscheidet, im Einklang mit der weltweiten Entwicklung, oder ob es bei der längst fälligen Modernisierung in der jetzigen Unentschlossenheit verharrt und die wirtschaftliche wie gesellschaftliche Erneuerung damit zum Scheitern verurteilt sein wird.

Sadanand Dhume

© Yale Global 2007

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Sadanand Dhume ist "Bernard Schwartz Fellow" an der Asia Society in Washington, D.C., USA und ehemaliger Indonesien-Korrespondent der Far Eastern Economic Review und des Asian Wall Street Journal. Vor kurzem hat er ein Buch über den Aufstieg des radikalen Islam in Indonesien veröffentlicht.

Qantara.de

Islam in Malaysia und Indonesien
Extremismus auf dem Vormarsch
Fundamentalisten in Malaysia und Indonesien streben nach immer stärkerer Kontrolle und Vereinheitlichung des Islam; der soziale Frieden sei dabei das erste Opfer, meint Baladas Ghoshal.

Politischer Islam in Malaysia
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