Ramadan - ein Test der Willensstärke
Als ich vor 18 Jahren zum ersten Mal versuchte zu fasten, endete dies in einem kleinen Desaster. Ich war in der Nacht zuvor ausgegangen und hatte ein paar Gläser Champagner getrunken. Am nächsten Tag lag ich verkatert, dehydriert und mit pochenden Kopfschmerzen im Bett. Um drei Uhr nachmittags gab ich auf, denn ich dachte, dass der Ramadan nichts für mich sei. Es beschämt mich zu sagen, dass der Ramadan damals im Winter lag und das Fasten im Vergleich zu heute sehr kurz war.
Im darauffolgenden Jahr hatte ich aufgehört, Alkohol zu trinken, und moderierte wieder täglich eine Unterhaltungssendung für NBC Europe. Der Ramadan stand wieder vor der Tür und obwohl wir die Show erst seit wenigen Monaten drehten, war ich fest entschlossen, es dieses Mal durchzuziehen. Ich tat mein Bestes, um mich psychisch darauf vorzubereiten, und mobilisierte all meine Kräfte.
Es war eine ganz besondere Herausforderung, denn der Ramadan fiel mit der Vorweihnachtszeit zusammen. Währenddessen produzierten wir doppelt so viele Sendungen, damit wir uns zwei Wochen Urlaub nehmen konnten. Ich stand jeden Tag von früh bis spät vor der Kamera und musste dazu noch endlose Begleitkommentare aufnehmen.
Normalerweise hätte ich mich mit einem Snack gestärkt und einen Schluck Wasser zwischen den Aufnahmen getrunken, um Mund und Stimmbänder feucht zu halten. Aber für einen ganzen Monat würde es mir nicht möglich sein, zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang zu essen und zu trinken. Trotz meiner guten Absichten war ich mir wirklich nicht sicher, ob ich es schaffen würde.
Ein wichtiges Prinzip des Islams
Während der ersten Tage hatte ich Kopfschmerzen, aber dann schien sich mein Körper daran zu gewöhnen und es war eigentlich gar nicht so schwierig wie ich dachte. Nach einer Weile bereitete mir der Ramadan sogar Freude. Nachmittags fühlte ich mich etwas schwindelig und als ob ich mich in einer anderen Realität befände – nüchtern, aber auf einer anderen Bewusstseinsebene.
Das Fasten schien mein Herz und meine Seele einfach empfindsamer zu machen. Obendrein steigerte es mein Geschmacks- und Geruchsempfinden beim Essen. Die Disziplin beim Fasten bescherte mir regelmäßig Erfolgserlebnisse: Ich erlebte jedes Fastenbrechen als einen kleinen Triumph.
Dadurch entdeckte ich ein wichtiges Prinzip des Islams. Gott hatte dies zum ersten Mal durch den Propheten geoffenbart: "Wenn mein Diener einen Schritt auf mich zugeht, gehe ich zehn Schritte auf ihn zu. Wenn mein Diener auf mich zuläuft, renne ich auf ihn zu." Das Geheimnis liegt darin, dass wir den ersten Schritt tun müssen, dann hilft uns Gott.
Fasten ist nicht zuletzt ein Test der Willensstärke. Wann immer ich schwach wurde, sagte ich mir, dass ich nach Sonnenuntergang so viel essen könnte wie ich wollte. Aber das Komische war, dass ich nach einem ganzen Tag des Fastens schon dazu neigte, von einem kleinen Happen satt zu werden.
Läuterung durch Verzicht
Traditionsgemäß brechen Muslime das Fasten mit ein paar Datteln, wie es auch der Prophet tat. Ich aß gerne ein oder zwei große, saftige Datteln zusammen mit einem Glas Milch. Meistens brachte ich einige mit zur Arbeit.
Meine Kollegen bei NBC waren sehr lieb und unterstützten mich. Einmal bot einer der Produzenten an, mir Mittagessen zu besorgen, weil ich durcharbeiten musste. Doch dann erinnerte er sich, dass ich fastete, und entschuldigte sich überschwänglich.
Meine Mitarbeiter waren ziemlich beeindruckt von meinem Durchhaltevermögen, manche gaben mir sogar Komplimente für mein strahlendes Aussehen – vielleicht weil Fasten ein Reinigungsprozess auf vielen Ebenen ist, sowohl physisch als auch spirituell.
Ich verzichtete nicht nur auf Essen und Trinken während des Tages, sondern versuchte auch Tratsch, Ungeduld und Wut zu vermeiden. Stattdessen gab ich mein Bestes, um zu jedem höflich und freundlich zu sein: Ich bin nicht sicher, ob ich es immer hinbekam, aber ich bemühte mich ganz bewusst darum.
Ich las jeden Tag ein bisschen im Koran und ging mit einer Freundin zu den abendlichen Tarawih-Gebeten in der South-London-Moschee. Möglicherweise sind es diese Dinge, die für eine besondere Ausstrahlung sorgen. Insgesamt lief trotz der harten Arbeit mein zweiter Ramadan erstaunlich reibungslos – und dank der Gnade Gottes seitdem jeder Ramadan.
Zurück zur ursprünglichen Natur
In der segensreichen Zeit des Ramadans kann ich immer wieder Mut schöpfen, denn in diesem Monat wurde der Koran dem Propheten Muhammad zum ersten Mal offenbart. "Wenn der Ramadan kommt, sind die Tore des Paradieses weit geöffnet und die Tore der Hölle verschlossen für jene, die fasten", sagte der Prophet. In diesem Sinne ist Fasten wie ein spiritueller Schild. Dieses Wissen gibt mir zusätzlich Kraft und Selbstvertrauen.
Erst gegen Ende des Monats wird es anstrengend, aber sobald die dreißig Tage vorüber sind, setzt eine gewisse Euphorie ein. Ich fühle mich gereinigt, erfüllt und näher an Gott. Es ist ein wunderbares Gefühl; ich wünschte, es hielte für immer an. Um das Ende des Ramadans zu markieren, eines Monats, welcher der Verehrung Gottes gewidmet ist, feiern wir das Eid al-fitr, das Fest des Fastenbrechens. Obwohl ich als neue Muslimin ohne Familie oft Schwierigkeiten hatte, Menschen zu finden, mit denen ich feiern konnte.
Mir gefällt die Verbindung zwischen den Wörtern fitr und fitra, welches "ursprüngliche Natur" bedeutet, den reinen Zustand in dem wir geboren werden und zu welchem wir durch die spirituelle Disziplin des Fastens im Ramadan zurückkehren wollen. Je mehr wir diesem Ziel näher rücken, desto größer ist der Triumph in den Augen Allahs.
Kristiane Backer
© Qantara.de 2013
Kristiane Backer, bekannt als frühere Moderatorin des Musiksenders MTV Europe, arbeitet als Fernsehjournalistin und Moderatorin für internationale Fernsehsender. 2009 erschien "Von MTV nach Mekka – Wie der Islam mein Leben änderte".
Übersetzung aus dem Englischen von Jonas Berninger
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de