Fragwürdige Allianzen
Anschläge auf US-Truppen und deren Verbündete überall auf der Welt haben den islamistischen Gruppen offensichtlich beträchtliche Sympathien eingebracht.
Nicht nur in der islamischen Welt sind diese Anschläge begrüßt worden, sondern auch von Kritikern aus den unterschiedlichsten ideologischen Lagern, die die weltpolizeilichen Machtgebärden dieser Armeen noch nie billigen mochten.
Es fällt allerdings auch auf, dass abseits solcher oft unreflektierten Schulterschlüsse vielerorts eine bewusste Annäherung zwischen islamistischen Kräften und linkspolitischen Gruppierungen stattfindet.
Anti-imperialistische Dogmen
Letztere scheinen zu glauben, al-Qaida, die Muslimbruderschaft, die Hisbollah, die Hamas und nicht zuletzt der iranische Präsident Ahmadinedschad bildeten alle zusammen eine neue anti-imperialistische Front, die nun angetreten sei, das historische Projekt der westlichen Linken zu vollenden.
Diese vermeintlich einheitliche Bewegung leidet in den Augen solcher Linksintellektueller womöglich zwar an einem "falschem Bewusstsein", gilt aber angesichts ihrer "geschichtlichen" Rolle dennoch als unterstützenswert.
Dieser Trend ist nicht zu übersehen: Venezuelas Präsident Hugo Chávez fliegt nach Teheran, um seinen iranischen Kollegen in die Arme zu schließen. Der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone und der Parlamentsabgeordnete der britischen "Respect Party" (allgemein angesehen als kämpferischer Arm der "Socialist Workers Party") begrüßen einträchtig den Besuch des ägyptischen Scheichs Yusuf al-Qaradawi in der Stadt.
Viele Mitglieder sektiererischer linker Splittergruppen, die gerade noch gegen den drohenden Irakkrieg demonstriert hatten, zeigen plötzlich keinerlei Skrupel, sich mit radikalen muslimischen Organisationen zu verbünden. Was ursprünglich kaum mehr als eine taktische Kooperation war, hat sich inzwischen beachtlich weiterentwickelt.
Politische Verfehlungen
Wer über historisches Bewusstsein, kritisches politisches Denkvermögen oder auch einfach nur über ein langes Gedächtnis verfügt, muss all dies besorgniserregend finden. Weil nämlich damit eine der fragwürdigsten und gefährlichsten Behauptungen bekräftigt wird, die nicht die politische Linke, sondern, im Gegenteil, der rechte Imperialismus aufgestellt hat.
Eine Behauptung, die auch den "Krieg gegen den Terror" und die entsprechende US-Politik seit dem 11. September rechtfertigen soll, nämlich: dass der Islamismus eine anti-westliche Bewegung sei.
Diese Behauptung ist ein typisches Beispiel dafür, dass Halbwahrheiten gefährlicher sein können als direkte Lügen. Denn es ist zwar richtig, dass sich der Islamismus in seinen verschiedenen politischen und gewalttätig-extremistischen Erscheinungsformen gegen die USA richtet.
Aber lange bevor die Muslimbruderschaft, die Dschihadisten und andere militante Islamisten "den Imperialismus" attackierten, griffen sie nicht minder gewalttätig die Linke an. Von Asien bis Afrika - überall agierten Islamisten als "Handlanger des imperialistischen Westens".
Die historische Bedeutung des Islams im Sozialismus
Das war jedoch nicht von Anfang an der Fall: Die ersten Kontakte militanter Islamisten zur westlichen Linken fanden schon sehr bald nach der Oktoberrevolution statt. Zu jener Zeit propagierte die sowjetische Führung eine "anti-imperialistische" Bewegung in Asien, die gegen die britischen, französischen und niederländischen Kolonialmächte gerichtet war und durchaus zumindest taktische Bündnisse mit militanten Muslimen einging.
Beim Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) im Jahr 1920 zeigten die Sowjets beispielsweise großes Interesse für eine von Tan Malaka in Indonesien geführte Gruppe. Viele der Delegierten besuchten nach dem Treffen die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, um dort einem "Kongress der Völker des Ostens" beizuwohnen.
Dieser Kongress, der in einem festlich geschmückten Opernhaus stattfand, wurde berühmt für seine feurigen Appelle an die unterdrückten Massen Asiens. Zumeist armenische oder jüdische Bolschewistenführer riefen damals zu einem Dschihad gegen die britischen Kolonialisten auf.
Noch jahrzehntelang hielten die Sowjets den Islam, wenn auch nicht für progressiv, so doch für sozialistisch interpretierbar.
In den 1980er Jahren besuchte ich zwei damals noch kommunistische Staaten, die inzwischen gleichermaßen vergessen sind: die "Demokratische Republik Afghanistan" und die "Demokratische Volksrepublik Jemen". Ich hatte damals die Gelegenheit, mir Lehrbücher anzusehen, anhand derer nicht Religionsgelehrte, sondern Laien an höheren Schulen ihre Klassen unterrichteten.
In diesen Büchern wurde der Islam als eine Frühform des Sozialismus verstanden. Ein ähnlicher Kurzschluss von islamischer Tradition und modernem Staatssozialismus fand in den sechs "islamischen" Republiken statt, die es in der Sowjetunion gab.
Ganz anders sah es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Islamistische Gruppen bildeten nun eine klare gemeinsame Front gegen Kommunismus, Sozialismus und Liberalismus sowie gegen deren Wertvorstellungen – nicht zuletzt im Hinblick auf die Rechte der Frauen.
Als organisierte politische Bewegung fand der Islamismus seine modernen Wurzeln mit der Gründung der Muslimbrüderschaft 1928 in Ägypten, die ihre Antworten auf neuzeitliche politische Fragen in islamischen Texten suchte.
Die westlich-säkulare Hydra
Der Sozialismus in all seinen Formen wurde nun als einer der vielen Köpfe einer westlich-säkularen Hydra identifiziert und musste um so erbitterter bekämpft werden, als er in der arabischen Welt eine große Anhängerschaft hatte, im Iran ebenso wie in vielen anderen islamischen Ländern.
Die Feindseligkeit des Islamismus gegenüber linken Bewegungen und die Art und Weise, wie Islamisten im Kalten Krieg eingesetzt wurden, um den Kommunismus zu bekämpfen, sollten genauer betrachtet werden.
Bereits im spanischen Bürgerkrieg hatte Francisco Franco Zehntausende marokkanischer Söldner angeheuert, um die spanische Republik zu bekämpfen – mit der Begründung, dass der Katholizismus und der Islam im Kommunismus einen gemeinsamen Feind hätten. Und so ging es nach 1945 weiter.
In Ägypten trugen kommunistische und islamistische Bewegungen noch bis zur Revolution von 1952 diverse blutige Kämpfe aus. Und Saudi-Arabiens Widerwillen gegen das Ägypten von Gamal Abdel Nasser und den sowjetischen Einfluss im Nahen Osten führte das Land seinerzeit dazu, die Islamische Weltliga als eine antisozialistische Allianz zu unterstützen, finanziert von Riad und mit Rückendeckung aus Washington.
Es gibt weitere bemerkenswerte Beispiele für die anti-linken Tendenzen des Islamismus. In den 1990er Jahren gipfelte dieser Trend geradezu in einer Kampagne mit dem Ziel, linke und unabhängige liberale Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Die Linke als Zielscheibe der Islamisten
In Ägypten wurde der Schriftsteller und Politiker Farag Fouda, der sich für eine Modernisierung des Islam eingesetzt hatte, 1992 ermordet. Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus wurde 1994 mit einem Messer angegriffen - anscheinend wegen der offenen und toleranten Haltung zur Religion in seiner "Kairoer Trilogie" - und entging nur knapp dem Tod.
Der Schriftsteller und Philosoph Nasr Hamid Abu Zaid, der es gewagt hatte, die Verfahren historischer und philologischer Textanalysen auf den Koran und andere klassische islamische Überlieferungen anzuwenden, erhielt mehrere Todesdrohungen, bis er 1995 schließlich ins Exil ging.
Doch bereits viel früher erreichten die Feindseligkeiten ihren traurigen Höhepunkt: So etwa erstmalig 1965 in Indonesien, wo die Zerschlagung der Linken beinahe unbemerkt vor sich ging und nicht in den Kontext der Geschichte des Islamismus eingeordnet wurde.
Seinerzeit wurde dort die blockfreie und "anti-imperialistische" Regierung von Präsident Sukarno von der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) unterstützt, der größten ihrer Art im nicht-kommunistischen Teil Asiens.
Nach einem Konflikt innerhalb des Militärs putschten dann von den USA unterstützte rechte Kräfte und holten zu einem umfassenden Schlag gegen die Linke aus.
Besonders im ländlichen Java wurden die neuen Machthaber dabei mit Begeisterung von Islamisten unter der Führung der "Nahdat ul Ulema"-Gruppe unterstützt. Dass Militär und Islamisten sich in ihrer antikommunistischen Haltung derart einig waren, spielte für die nun einsetzenden Massaker, die nahezu eine Million Menschen das Leben kosteten, eine bedeutende Rolle.
Die Auswirkungen dieser Ereignisse können kaum hoch genug eingeschätzt werden, nicht nur in Hinblick auf Indonesien selbst, sondern auch auf die Kräfteverhältnisse in Südostasien zu einem Zeitpunkt, als die Auseinandersetzungen in Vietnam eskalierten.
Politische Unvereinbarkeit
Dieser traurige historische Abriss muss nun ergänzt werden durch einen Blick auf die aktuellen Geschehnisse in Ländern, in denen Islamisten zunehmend an Einfluss gewinnen.
Die Haltung, die Vertreter des politischen Islams heute zu Frauenrechten, freier Meinungsäußerung und den Rechten Homosexueller oder anderer Minderheiten einnehmen, können in der Regel durchaus als reaktionär bezeichnet werden.
Reaktionär, nicht faschistisch. Denn es ist ebenso überflüssig wie leichtfertig, radikale islamistische Gruppen und deren Gedankengut als "faschistisch" zu brandmarken, da die vielen Unterschiede einen Vergleich hinfällig erscheinen lassen.
Man braucht allerdings auch keine derartigen Schlagworte um zu begreifen, dass das ideologische Programm der Islamisten den Prinzipien der Linken grundsätzlich zuwiderläuft – jenen Prinzipien, die sich vom klassischen Sozialismus ableiten.
Die heutigen Nachfolger dieser Tradition haben keinerlei Bedarf an jenem "falschen Bewusstsein", das so viele vermeintlich Linke den Dschihadisten in die Arme treibt.
Fred Halliday
Aus dem Englischen von Ilja Braun
© Qantara.de 2006
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