Wir sind auch das Volk!
Israels arabische Intellektuelle sorgen seit einigen Wochen für Aufregung im Land. Zum Jahresende haben sie ein Grundsatzdokument veröffentlicht, mit dem sie nicht nur auf die bislang ausgebliebene Gleichberechtigung der arabisch-palästinensischen Minderheit in Israel pochen. Das Dokument enthält auch einen umfassenden Forderungskatalog an den israelischen Staat.
Vision für die Zukunft der palästinensischen Araber
Die Grundsatzerklärung, die von über 40 führenden palästinensischen Intellektuellen aus Israel formuliert und in Auszügen in israelischen Tageszeitungen verbreitet wurde, ist mit "Eine Vision für die Zukunft der palästinensischen Araber in Israel" überschrieben.
Schon im Titel wird der jahrzehntelange Versuch des jüdischen Staates, die Zugehörigkeit seiner arabischen Minderheit zum palästinensischen Volk – etwa durch die Verwendung des offiziellen Terminus "israelische Araber" zu verwischen – für gescheitert erklärt.
Zu den Unterzeichern gehören vor allem Dozenten an Universitäten und unabhängigen Forschungsinstituten. Darunter befinden sich etwa der Historiker Aziz Haidar von der Hebräischen Universität in Jerusalem, der die Benachteiligung der Araber in der israelischen Wirtschaft untersucht hat, sowie andere arabische Wissenschaftler und Universitätsdozenten, die sich mit der Geschichte und Kultur der Palästinenser in Israel befassen.
Daneben sind auch Menschenrechtsaktivisten und Repräsentanten arabisch-israelischer NGOs vertreten. In der Liste der Unterzeichner findet man aber auch einige Bürgermeister arabischer Ortschaften – wie Scheich Haschem Abdelrahman aus Umelfachem oder Awni Touma aus Kefar Yasif. Die Verfasser der Erklärung betrachten sich in erster Linie als arabische Palästinenser, als, wie sie schreiben, "einen Teil der arabischen Nation und des arabischen Kulturraums".
Aufgrund der Niederlage im israelisch-palästinensischen Krieg von 1948 sei ihnen die israelische Staatsangehörigkeit vom jüdischen Staat aufgezwungen worden, wodurch sie in ihrer angestammten Heimat, dem historischen Palästina, von der Mehrheit zur Minderheit geworden seien.
Diskriminierung und Assimilierung
In einer ausführlichen Passage wird der Umgang des Staates Israel mit der palästinensischen Minderheit kritisiert. Von systematischer Diskriminierung ist da die Rede, von Bodenkonfiszierungen und Benachteiligungen bei der Verteilung von Staatsgeldern und anderen staatlichen Ressourcen.
Eines, betonen die Verfasser, sei dem jüdischen Staat aber trotz aller Versuche einer "Judaisierung kolonialistischer Prägung" nicht gelungen: die Palästinenser durch aufgezwungene Assimilierung und israelische Staatsangehörigkeit zur Aufgabe ihrer nationalen und kulturellen Identität zu bewegen.
Die Autoren der Grundsatzerklärung legen weiterhin Wert darauf, dass die in Israel lebenden Palästinenser Teil der israelischen Gesellschaft und auch israelische Staatsangehörige bleiben. Allerdings knüpfen sie daran eine Reihe von Bedingungen. So verlangen sie eine tatsächliche und gleichberechtigte Beteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen im Land.
Sie soll den Palästinensern in Israel – analog zu den Juden – die Bewahrung ihrer nationalen und kulturellen Identität sichern. Von einem Aufbruch in eine "neue Ära" ist die Rede, in der palästinensische Identitätsrechte nach den heute gültigen Maßstäben des Völkerrechts als Minderheitsrechte gesetzlich verankert werden sollen.
Neue Definition des Staates gefordert
Ohne eine gründliche Revision des exklusiv jüdischen Charakters des Staates, der in der Erklärung als "Ethnokratie" bezeichnet wird, sehen die Wortführer der palästinensischen Minorität keine Zukunft für sich im Land. Sie fordern den Staat deshalb auf, sich neu zu definieren – und zwar nicht wie bislang als "Heimat der Juden", sondern als "gemeinsame Heimat" für Juden und palästinensische Araber.
Eine völlige Umgestaltung des Erziehungssystems, das in seiner jetzigen Form die arabischen Mitbürger ihrer Kultur und Geschichte nur entfremde, sei überfällig. Damit soll auch eine Änderung der staatlichen Symbole einhergehen. So ist der Soziologe Asad Ghanem aus Haifa, einer der Verfasser, zwar dafür, der jüdischen Mehrheit die Verwendung ihrer bisherigen zionistischen Staatssymbole weiterhin zuzugestehen. Jedoch ist er dagegen, dass diese den Arabern im Land aufgezwungen werden.
Und der israelisch-arabische Dichter Suliman Massalha hat bereits eine alternative Nationalhymne für den Staat Israel verfasst. Sie heißt, anders als die jüdische "Tikwa" (Hoffnung), schlicht "Lied für das Land": Darin wird mahnend an das Blutvergießen in der Vergangenheit erinnert und der künftige Frieden zwischen den "Söhnen Arabiens, Nazareths und Abrahams" beschworen – von "Juden" keine Rede mehr.
Obgleich in der Erklärung der Intellektuellen, die auch von der staatlichen Dachorganisation der israelischen Araber mitgetragen wird, nicht explizit von einer Autonomie gesprochen wird, meinen jüdische Beobachter diese als Ziel in dem Grundsatzdokument durchaus auszumachen.
Eine "Palästinisierung" der israelischen Araber?
Für viele von ihnen scheint damit das eingetreten zu sein, was die israelisch-jüdische Mehrheitsgesellschaft schon lange befürchtet hat: Die sogenannte Palästinisierung der israelischen Araber als Nebeneffekt der Etablierung eines Staatswesens in den Palästinensergebieten.
Kein Wunder, dass die politische Rechte in Israel Alarm schlägt. Für sie ist die Grundsatzerklärung ein Beweis dafür, dass Israels Araber eine fünfte Kolonne darstellten und im Begriff seien, dem jüdischen Staat ihre Loyalität aufzukündigen.
Politisch eher links orientierte Beobachter begrüßen hingegen die Initiative der israelischen Palästinenser, auch wenn hier die Sorge vor einem nationalen Separatismus der israelischen Araber mitschwingt – und die Angst davor, es bald mit einer Art alternativem "arabischen Parlament" zu tun zu haben.
Sorgen dieser Art will Ghaida Rinawie-Zuabi, der treibende Motor dieser Initiative, durch intensive Öffentlichkeitsarbeit zerstreuen. Der israelischen Zeitung "Haaretz" gegenüber sagte die 34jährige, die heute Entwicklungsbeauftragte in der Dachorganisation der arabischen Kommunen in Israel ist: "Der Unterschied zu früheren Initiativen liegt darin, dass dieses Mal die Araber sich selbst Gehör verschaffen."
Und sie müssten noch lernen, dies auf sensible Weise zu tun – ebenso sollten aber auch die jüdischen Israelis an ihrer Bereitschaft arbeiten, den arabischen Mitbürgern zuzuhören.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2007
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