Ermahnung vom Kalifen
Für ihr dreitägiges Jahrestreffen errichteten die aus Pakistan stammenden Ahmadi-Muslime eine ganze Zeltstadt mit weitgehender Geschlechtertrennung.
Frauen und Männer hatten ihre jeweils eigenen Gebets-, Versammlungs- und Essensbereiche. Auch ein Basar mit pakistanischen Waren wurde zweigeteilt. Beiderseits des blickdichten Zauns wurden Lebensmittel und Haushaltsgegenstände verkauft.
Damit heiratswillige Ahmadi-Männer und -Frauen trotz der räumlichen Trennung zueinander finden konnten, wurde in einem Wohnwagen ein Ehevermittlungsbüro eingerichtet.
Aufruf zum Kopftuch-Tragen
"Das Schamgefühl ist ein Teil des Glaubens", betonte Mirza Masroor Ahmad und rief die Frauen zum Kopftuch-Tragen auf. Um seine Anhängerinnen unmittelbar anzusprechen, hielt er eine seiner Ansprachen im Frauenzelt. Die Männer verfolgten seine Rede derweil auf einer Großbildleinwand in ihrem Bereich.
Das religiöse Oberhaupt der Gemeinde warnte eindringlich vor einem als unmoralisch geltenden Lebensstil. So sollten Frauen auch bei Hochzeiten nicht tanzen.
"Beim Tanzen wird der Körper auf sehr beschämende Weise zur Schau gestellt", kritisierte er. "Wenn die Frau ihre religiösen Pflichten gut versteht, wird sie auch ihre Kinder gut erziehen."
Jugendarbeit für den Nachwuchs
Die Sorge um die Zukunft der Kinder in einer mehrheitlich nicht-islamischen Gesellschaft spielte eine große Rolle. Dass die Kleinen in mancher Hinsicht anders aufwachsen als ihre Eltern, wurde in Mannheim vor allem an der Sprache deutlich.
Während die älteren Männer sich vorwiegend in den pakistanischen Sprachen Urdu und Pandschabi unterhielten, sprach ein Großteil der Kinder Deutsch miteinander. Neben den traditionellen Fell- oder Filzmützen und den bunten pakistanischen Kappen waren viele Baseballmützen zu sehen.
Für die jüngere Generation gab es beim Jahrestreffen auch europäische Speisen. Viele Jugendliche könnten sich mit den scharf gewürzten Gerichten der Eltern nicht recht anfreunden, erklärte ein Ahmadiyya-Vertreter.
Damit die Kinder trotz der westlichen Umgebung in den Glaubenslehren verwurzelt bleiben, gibt sich die Gemeinschaft große Mühe. Sie stellte eine eigene Jugendarbeit auf die Beine und gibt Schriften für Jungen und Mädchen heraus.
Wiederbelebung des Islam
Der derzeitige fünfte Kalif der Ahmadiyya-Muslime ist ein Urenkel des Gemeindegründers. 1891 hatte Mirza Ghulam Ahmad im britisch-indischen Qadian erklärt, er sei der im Islam verheißene Messias. Er wollte nach dem Selbstverständnis der Ahmadis keine neue Religion verkünden, sondern den Islam in seiner ursprünglichen Form wiederbeleben.
Seine Anhängerschaft wuchs schnell, vor allem im Gebiet des heutigen Pakistan. Allerdings spaltete sich die Bewegung 1914 nach dem Tod seines ersten Nachfolgers, der als Kalif (arabisch für Stellvertreter) verehrt worden war. Ein Teil der Gläubigen sprach sich für ein Führungskomitee aus.
Eine offenbar weitaus größere Gruppe wählte stattdessen einen neuen Stellvertreter des Messias. Seitdem werden die Kalifen dieser Ausrichtung jeweils auf Lebenszeit bestimmt. Die Gemeinschaft hat nach eigenen Angaben weltweit mehrere Millionen Anhänger.
Schlicht Abtrünnige?
Ein Großteil der sunnitischen und schiitischen Muslime sieht in den Ahmadiyya-Muslimen jedoch keine Reformer, sondern schlicht Abtrünnige. 1974 erklärte das pakistanische Parlament die Ahmadis zu Nicht-Muslimen. Es kam zu blutigen Verfolgungen und Anfeindungen, die teilweise bis heute andauern.
Viele Anhänger der Glaubensgemeinschaft flohen ins Ausland. Die "Ahmadiyya Muslim Gemeinde" in Deutschland zählt laut Selbstdarstellung heute etwa 30.000 Mitglieder, darunter auch einige hundert Deutsche, Türken und Araber. Die Gläubigen gründeten Ortsgemeinden und bauten Moscheen.
Besonderes Aufsehen erregte jüngst ihr Moscheeprojekt im Berliner Bezirk Pankow-Heinersdorf. Vorbehalte gegen islamische Gebetsstätten treffen die Ahmadis genauso wie andere Muslime, obwohl es zwischen den islamischen Dachverbänden hierzulande und der Ahmadiyya-Gemeinde kaum Kontakte gibt.
Abdullah Uwe Wagishauser, Vorsitzender der Gemeinde in Deutschland, wies in Mannheim Vorwürfe zurück, der Islam sei gewaltbereit oder integrationsfeindlich. Ihm zufolge ist die Religion in ihrem Wesen friedlich und tolerant.
Gehorsam gegenüber dem Kalifen
"Wir Ahmadi-Muslime erleben diesen Islam heute wie die Muslime zu Mohammads Zeiten als eine spirituelle, grenzüberschreitende Kraft", sagte Wagishauser.
Die Gemeinschaft betont, sie strebe keine Machtposition an und stehe für die Trennung von Staat und Religion ein. Im Hinblick auf Moralvorstellungen und die Einhaltung der Gebetsvorschriften und anderer religiöser Regeln sind die Ahmadis jedoch sehr streng.
Um im Diesseits und Jenseits Gottes Wohlgefallen zu erlangen, müssten Koran und Gebote beachtet werden, stellt das spirituelle Oberhaupt klar. Dazu gehöre auch der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Kalifen, schärfte er Männern wie Frauen ein.
Andreas Gorzewski
© Qantara.de 2007
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Buchtipp: "Zwischen Pop und Dschihad" von Julia Gerlach
Jung, trendbewusst und tief religiös
Bei den so genannten "Popmuslimen" hat Julia Gerlach eine neue islamische Jugendkultur ausgemacht. In ihrem jetzt vorgelegten Buch "Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland" kommen einige selbst zu Wort. Ingmar Kreisl hat es gelesen.
Inssan-Festival in Berlin
Pop und Politik im Sinne des Propheten
Auf dem Inssan-Festival in Berlin präsentierte sich die islamische Gemeinde in den unterschiedlichsten Facetten. Auch der Pop-Muslim Sami Yusuf und die Ex-MTV-Moderatorin und muslimische Konvertitin Kristiane Backer waren zugegen. Ariana Mirza unternahm einen Streifzug.